Alles Puppen

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Gut zwanzig Jahre nach der Marthaler-Inszenierung unter Sylvain Cambreling mit Angela Denoke in der Titelrolle füllen die Salzburger Festspiele die sehr schmale Auswahl der Katja KabanovaAufführungen auf DVD, die zwischenzeitlich u.a. noch durch die schöne Carsen-Aufführung mit Karita Mattila bereichert wurde, mit einer neuen Variante an. Diesmal aus der Felsenreitschule, vor deren Ausmaßen Barrie Kosky und sein Ausstatter Rufus Didwiszus im August 2022 keine Scheu hatten. Mussten sie auch nicht, so geschickt, wie sie die Breitwand mit den Bewohnern des Städtchens Kalinow an der Wolga füllten, die unseren Protagonisten den Rücken zukehren. Obwohl die Bühne angefüllt mit Menschenmassen ist, sprich mit ein paar hundert Menschenpuppen, bleibt sie im Grunde auf radikale Weise leer. Vor dieser bewegungslosen und gefühllosen Masse lässt Kosky KátŤa Kabanová als hartes Gesellschaftsdrama ohne Dekorationen, Möbel und Versatzstücke ganz auf die Protagonisten bezogen in der Gegenwart (gedämpft farblose Kostüme von Victoria Behr) spielen. Live war das in der Felsenreitschule sicher wirkungsvoller als auf der DVD. Einziger Gegenstand scheint der Gehstock der Kabanicha zu sein, mit der sie ihre Familie knutet und als Domina den ihr ergebenen und hündchenhaft tapsenden Dikoj züchtigt, was Jens Larsen besser spielt als singt. Koskys reduzierte Inszenierung ist größtenteils spannend. Oft auch suggestiv. Nimmt sich freilich auch etwas hilflos aus, wenn Benjamin Hurell als Kudrjáš auf dem Boden hockt und David Butt Philip als Boris nervös und angestochen hin- und herläuft. Butt Philip und Hurell führen die Reihe britischer Janacek-Tenöre fort, Butt Philip etwas schwerer, quasi auf dem Sprung zum jugendlichen Heldentenor, farbloser Hurlett mit keuschem Oratorienton, beide lyrisch beweglich. Ein Kraftpaket garstiger Schwiegermutterfiesheit ist Evelyn Herlitzius, deren schneidend scharf charakterisierte Kabanicha keinen Widerspruch duldet. Klar und eindringlich baut Kosky die Situation auf. Berührend, wie sich Varvara und Katja ihre Träume erzählen, vor allem, da Jamila Balazova und Corinne Winters packend, eindringlich und authentisch mädchenhaft wirken und sich bei ihnen Gesang und Ausdruck auf bezwingende Weise ergänzen und durchdringen. Da merkt man auch immer wieder, wie gut der in Brünn geborene Jakub Hrúša diese Musik mit ihren kleinteilig gebrochenen Gesangslinien beherrscht und sie mit den Wiener Philharmoniker nicht nur in den sprechenden Naturklängen der Zwischenspiele ausspielt. Die fragile Corine Winters ist eine von den schmalen vögelchenzarten Singschauspielerinnen, die zum Hingucken zwingen, keine unverkennbare Stimme, aber eine hingebungsvolle Darstellerin. Vielleicht sollte der Sopran etwas mehr Körper und Volumen haben, doch das spielt keine Rolle, wenn Katja erzählt, dass sie eine Todsünde begangen habe und wie sie sich nach einem anderen Leben außerhalb der trübseligen Ehe mit ihrem hilflosen Mann Tichon (zu alt und unauffällig Jaroslav Břrzina) sehnt. Der einzige Mann, der sie aus der Öde führen könnte, ist Boris, doch David Butt Philips bleibt zu gesichtslos. Wie schon bei der Salzburger Erstaufführung von Janáčeks Tragödie nach Ostrowskis Schauspiel Das Gewitter kommt die Wolga auch diesmal nicht vor (Unitel 809108). Katja lässt sich am Ende durch eine Bodenlucke fallen. Ihr Mann fischt nur noch ihr nasses Kleid heraus.   Rolf Fath