Und noch eine …

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Noch einmal, ehe Corona über das Kulturleben auch Italiens hereinbrach, hatte zu Sant‘ Ambrogio 2019 die traditionelle Inaugurazione der Opernsaison halb Milano auf die Beine gebracht, die einen, um Juwelen und Pelze auszuführen, die anderen, um gegen Tierquälerei zu demonstrieren. Der Staatspräsident hatte in der Mittelloge Platz genommen, die Nationalhymne wurde beklatscht, aber nicht gesungen, und zum allerersten Mal, man glaubt es kaum, war Puccinis Tosca an einem 8. Dezember in der Scala zu erleben. Wie inszeniert man eine Tosca zu einem so besonderen Ereignis an diesem besonderen Ort? German Trash will man sich nicht vorwerfen lassen, aber auch nicht als verstaubt und altmodisch gelten. So entschieden sich David Livermore (Regie) und Giò Forma (Bühne) für auf und niederfahrende Säulen, Statuen und Gemälde für den ersten Akt, zu einer Art tanzender Architektur, durch die nicht nur das bekannte Personal sich seinen Weg suchen musste, sondern auch viele Nonnen, die dann im zweiten Akt auch Scarpias Gemach bevölkerten, dazu noch das Personal riesiger Gemälde mit Szenen aus Heiligenlegenden, deren Figuren ab und zu zum Leben zu erwachen schienen, ohne aber in das Geschehen einzugreifen. Für den dritten Akt dann hatte das Regieteam sich etwas ganz Besonderes neben einem sich drehenden Engelsflügel ausgedacht: Tosca springt, und ein Double sinkt und schreit (stumm) und steigt schließlich, umgeben von einer Gloriole, empor in den Himmel, wo hoffentlich nicht Scarpia bereits auf seine Aburteilung wartet. Für Mitteleuropäer mag das schrecklicher Kitsch sein, für das Publikum in der Scala, dem Applaus nach zu urteilen: Bellissimo.

In diesem Ambiente tummelt sich das Personal in Kostümen der Entstehungszeit des Werkes, symbolträchtig könnte es sein, dass Toscas Gewand (Kostüme Gianluca Falaschi) im zweiten und dritten Akt bis zu den Knien blutrot ist, als wate sie durch dasselbe, während Scarpias und  seiner Schergen Kostüme mit roten Flecken übersät sind. Viel wird auch mit Farbwechseln gearbeitet, so überzieht Schwarz das Gemälde der Attavanti, werden die Heiligen blass, wenn es unter ihnen zu heftig , der Folterkeller für kurze Zeit sichtbar wird. Trotz des eine ganz andere Stimmung vermittelnden Vorspiels zum dritten Akt ziehen pausenlos schwarze Gewitterwolken dräuend über die Engelsburg hinweg. Es gibt also sehr viel zu sehen, von Personenregie ist weniger zu bemerken.

Sind die Augen ob all der Pracht, der aufdringlichen Symbolik, der Massen von Personal oft irritiert, so genießen die Ohren ein wahres Fest, angefangen vom Orchester unter Riccardo Chailly, das ein wunderbares Vorspiel zum dritten Akt zaubert, auch im Fortissimo stets klar konturiert bleibt, die Musik blühen und leuchten lässt. Machtvoll und doch gebändigt singt der Chor das Te Deum.

An einigen Stellen horcht man auf, weil Ungewohnte erklingt, so nach „Ma fa gli occhi neri“, nach dem „Vissi d’arte“ und ganz zum Schluss. Chailly hatte die Urfassung, so wie Tosca 1900 in Rom uraufgeführt wurde, gewählt, und wieder einmal wurde der Beweis erbracht, dass Komponisten nicht ohne Bedacht Änderungen an ihren Partituren vorgenommen haben.

Fast ohne Fehl und Tadel sind die Sänger. Alfonso Antoniozzi ist ein eher würdiger als lächerlicher Sagrestano, Carlo Bosi ein besonders fieser Spoletta mit krähendem Charaktertenor, Carlo Cigni ein sonorer Angelotti.

Einen prachtvollen, urgesunden Bariton setzt Luca Salsi für den sardonisch grinsenden Scarpia ein, wie alle anderen ist er beispielhaft textverständlich. Genau auf der für die Partie angemessenen Grenze zwischen lyrischem und Spintotenor ist Francesco Meli als Cavaradossi mit strahlenden Acuti, triumphalem „Vittoria“ und hochkultiviertem „E lucevan le stelle“. Dazu sieht er noch gut aus wie der junge Puccini. Ein Jahr nach ihrem Rollendebüt an der MET ist Anna Netrebko in der Partie der Tosca wahrlich angekommen mit dunkel getöntem, in allen Lagen gleich gut ansprechendem, ebenmäßig gefärbtem Sopran der leuchtenden Höhen und präsenten tiefen Lage. Da gibt es nichts auszusetzen, wenn man in Tosca mehr die leidenschaftliche Frau aus dem Volk als die raffinierte Sängerin sieht, der man es abnimmt, dass sie sich nicht mit Messerstichen begnügt, sondern Scarpia mit gekonntem Würgegriff den Rest gibt (C-Major 76340). Ingrid Wanja