Gestalterisches Potenzial

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Die australische Sopranistin Emma Moore (am DMT Weimar engagiert) und ihre Klavierpartnerin Klara Hornig nennen ihre gemeinsame Produktion für das decurio-Label Volupté, was so viel wie Lust, Wollust und Wonne bedeutet. Man darf bei diesem außergewöhnlichen Lieder-Programm darüber diskutieren, ob der delikate Tonatz aus der Feder von Claude Debussy, Clemens Krauss und Viktor Ullmann diesem Etikett mehr entspricht oder eben die Sprachkunst von Charles Baudelaire, Rainer-Maria Rilke und Ricarda Huch.

Claude Debussy hat sich in seinen zwischen 1887 und 1889 komponierten Liedern von jenen rauschhaften Fantasien inspirieren lassen, welche Charles Baudelaire in seinen „Fleurs de Mal“ niederschrieb. Diesen Momentaufnahmen der Ausschweifung stellte Claude Debussy eine Musik zur Seite stellte, welche mit ihren dominierenden Wagner-Einflüssen bis hin zur vielfach dominierenden Tristan-Harmonik eine Sonderstellung in Debussys Werk einnimmt. Ebenso hatten es Emma Moore und Klara Hornig auf die Lieder von Clemens Krauss (1893-1954) abgesehen, welche bisher einen Exotenstatus im Repertoire beanspruchten. Aber gerade deswegen stand dieser heute eher unbekannte Zeitgenosse von Richard Strauss auf der Wunschliste des Duos, der sich hier der metaphernreichen Sehnsuchtspoesie der „Acht Gesänge“ nach Gedichten von Rainer Maria Rilke angenommem hat.

Viktor Ullmanns (1898-1944) Bekanntheitsgrad definiert sich vor allem durch seine Oper „Der Kaiser von Atlantis“ – und noch mehr durch seine Lebensschicksal: Von den Nazis ins KZ Theresienstadt deportiert, etablierte er in Gefangenschaft ein Konzertleben, das zum Symbol für die Kraft von Musik unter feindlichen Bedingungen wurde. Völlig unpolitische, hochromantische Liebeslyrik präsentiert sein fünfteiliger Zyklus nach Gedichten von Ricarda Huch, der Jahre vor Ullmanns Deportation entstand. Es geht vor allem um die vielen kleinen, zarten Zeichen, mit welchen die Realität verzaubert wird. Verglichen mit den aufbrausenden Debussy-Liedern am Anfang und den spätromantischen Ausschweifungen bei Clemens Krauss überwiegt in diesem dritten Programmpunkt dieser Aufnahme eine schlankere Diktion. Aber in jedem Fall entfaltet der Gesang von Emma Moore bei diesen drei Repertoire-Entdeckungen viel flexibles gestalterisches Potenzial. Das will etwas heißen bei der breiten Ausdruckspalette dieses Repertoires mit ihrem immensen Tonumfang in vielen Passagen. Wohlgemerkt: Emma Moores vielseitig herausgeforderte vokale Bravour lässt die gemeinsame Augenhöhe mit ihrer Klavierpartnerin Klara Hornig nie außer acht. Letztere macht ihrem Ruf als ausgemachte Spezialistin für Liedbegleitung Ehre, wenn sie mit ihrem weitsichtig vorausdenkenden Spiel immer dort ist, wo sie gebraucht wird – was wiederum Emma Moore das „Eintauchen“ erleichtert. (Emma Moore und Klara Hornig mit Liedern von Debussy, Ullmann, Krauss; decurio 2022). Stefan Pieper