Endlich sind die Geister nach Hause gekommen. Die Geister von Marie-Antoinette und Louis XIV. trafen sich im Dezember 2019 in der Opéra Royal im Château de Versailles, wo die Geschichte der Ghosts of Versailles, die John Corigliano und William M. Hoffmann in ihrer zweiaktigen Grand Opera Buffa erzählen, ihren Anfang nahm. Begleitet werden der französische König und seine Gattin vom Grafenpaar Almaviva, Figaro und seiner Susanna, samt den unehelichen Kindern der Almavivas, Florestine und Léon. Mit dabei auch Beaumarchais, der die Geschichte von Rosina und ihrem Grafen zwischen 1775 und 1797 genüsslich in seiner Figaro-Trilogie ausgebreitet hatte. Möglich machte dieses Stelldichein in Versailles eine gemeinsame Produktion der Opéra Royale mit dem Glimmerglass Festival, bei dem die von Joseph Colaneri dirigierte Produktion von Jay Lesenger im Juli 2019 am Vorabend des französischen Nationalfeiertags und 230 Jahre nach dem Sturm auf die Bastille ihre Premiere hatte. Später reiste nahezu das gesamte Team über den Atlantik, wo es sich in Versailles mit dem Orchestre de l’ Opéra Royal zusammenschloss.
Das Ergebnis präsentiert das Château de Versailles in einer umfangreichen Ausgabe, die neben den beiden CDs, die Coriglianos zweieinhalbstündige Oper beansprucht, zusätzlich die gesamte Aufführung auf DVD und Blu-Ray bereithält (CVS036, dreisprachiges Beiheft, aber ohne Libretto), wobei DVD und Blu-Ray darüber hinaus eine 38minütige Dokumentation über Coriglianos auf dem Höhepunkt der Aida-Krise 1988 entstandene erste Sinfonie Of Rage and Remembrance (Von Zorn und Erinnerung) bieten. Wenige Jahre nach John Conlons ausgezeichneter Los Angeles-Aufnahme aus dem Frühjahr 2015 (bei Pentatone) steht bereits eine weitere Einspielung der 1991 unter James Levine an der Metropolitan Opera uraufgeführten und damit üppig dokumentierten zeitgenössischen amerikanischen Oper zur Verfügung, die zusätzlich mit dem Siegel des historischen Rahmens versehen ist.
Quasi historisch, wie altmodische Molière- oder Beaumarchais-Aufführungen einst an der Comédie Française, mutet Lesengers zurückhaltende Inszenierung an, die das vom Librettisten überkonstruierte und das Verständnis wenig befördernde Stück über eine Liebe zwischen Marie Antoinette und Beaumarchais mit der Halsbandaffaire, einer Theater-auf-dem-Theater-Aufführung von La mére coupable, dem letzten und am wenigsten bekannten Teil der Figaro-Trilogie, und dem Versuch verknüpft, das Schicksal der Königin umzulenken, in fassliche Bilder (Bühnenbild von James Noone und opulente Kostüme von Nancy Leary) quetscht. Ort der in der Gegenwart und im Herbst 1793 spielenden Handlung, die die Geister folgendermaßen kommentieren, „He’s in love, he’s in love, he’s in Love! Beaumarchais is in love with Marie Antoinette! The Queen is sad! She longs for death! She’s been dead fort two hundred years!“, ist das Theater im Petit Trianon.
Man muss sich erst an Coriglianos Musiksprache mit ihrem müden Geister-Gewisper und hurtigen Konversations-Plapperei und der Melange aus Zitat und Gefälligkeit gewöhnen. Bald aber nehmen die gekonnte Ausformung der Arien und Szenen gefangen, darunter die virtuose, orientalisch umkleidete Cabaletta der arabischen Diva Samira, die post-barbersche Süße der Duette, etwa das elegische „Look at the green here in the glade“ zwischen Cherubino und Rosina, welches Beaumarchais und Marie Antoinette zum Quartett erweitern, die nach dem Vorbild der Italiana gezauberten rossinischen Ensembles und die Ironie – „This is no opera!“ behauptet eine Dame im ersten Finale „Wagner is opera!“
Ein Star-Ensemble, wie es der Met mit Stratas, Fleming, Horne, Gino Quilico, Graham Clark und Hagegård oder Conlon in Los Angeles mit Patricia Racette, Lucy Schaufer, Lucas Meachem, Robert Brubaker, Christopher Maltman und Patti LuPone zu Gebote stand, darf in Versailles nicht erwartet werden. Corigliano hat aber so wirkungssicher für die Stimmen geschrieben, dass sich die meisten Sänger, nicht nur Gretchen Krupp, die als pralle Samira naturgemäß abräumt, recht gewinnend präsentieren: Teresa Perrotta singt die beiden großen Szenen der Marie Antoinette, vor allem ihren Abschied („Once there was a golden bird“), mit exquisiter Melancholie und fülligem Sopran, für den Beaumarchais setzte Jonathan Bryan seinen ansprechenden lyrischen Bariton vorteilhaft ein („I risk my soul for you, Antonia“). Ben Schaefer traut man nach seinem Corigliano-Figaro auch die Gegenstücke von Mozart und Rossini zu, Kayla Siembieda ist mit rundweichem Mezzosopran, der sich im Duett mit Rosina reich entfaltet („As summer brings a wistful breezel“) und sprühender Diktion als Susanna ein wahres Bühnentalent, Joanna Latini, deren Rosina im Duett mit Cherubino (Katherine Maysek) von zarter Eleganz ist, und der Tenor Brian Wallin verblassen als Grafenpaar daneben fast ein wenig; ebenso Peter Morgan als König. Als Bösewicht Bégearss setzt Christian Sanders seinen Charaktertenor in der Wurm-Arie „Long live the Worm“ und im Revolutionsgeschehen mit schleuderndem Effekt ein. Joseph Colaneri und das Orchestre de l’ Opéra Royale unterstützen die Sänger durch ein pointiertes, kammermusikalisches Spiel, das auch in den Revolutionsszenen durchsichtig bleibt. Nun soll den Geistern aber auch wieder für eine Weile Ruhe gegönnt sein. Rolf Fath