Geisterstunde

 

„This is no opera!“ tönt die Dame, die sich statt des Hutes, den sie zu Beginn der Oper trug, nun einen Walkürenhelm übergestülpt hat und behauptet „Wagner is opera!“ Im Finale des ersten Aktes von John Coriglianos The Ghosts of Versailles geht es drunter und drüber. Zuvor hat im Palast des Türkischen Botschafters die arabische Diva Samira den Gästen kräftig eingeheizt und die Mädchen zu einem wilden Tanz verführt. Ein Tohuwabohu wie bei Rossini.

John Corigliano the gosts of versailles dvdVon dessen Freuden- und Singtaumel, für den es keinen logische Anlass gibt, insbesondere von der Italiana, ließ sich auch John Corigliano inspirieren, als er sich für seine erste und einzige Oper, zu der James Levine 1979 auf einer Dinner Party den Anstoß gegeben hatte, auf Spurensuche begab (nachzulesen im Beiheft der wie immer gediegen ausgestatteten Pentatone-Aufnahme). Der Stoff war in La mère coupable, dem letzten der drei „Figaro“-Stücke von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, rasch gefunden, wodurch sich in der Nachfolge von Mozart und Rossini ebenso rasch die Form als opera buffa ergab, allerdings einer „grand opera buffa“, schließlich sollte die Oper zum hundertjährigen Bestehen der Met uraufgeführt werden: „Once I decided to take on the commission I wanted to write an buffo opera because that forces you to write beautiful ensembles from beginning to end“. Es dauerte allerdings. Erst 1991 gelangten The Ghosts of Versailles zur Uraufführung an der Met. Nicht unwesentlichen Anteil am großen Erfolg hatte das Star-Ensemble, das die Geister alter Aufführungen aus der Goldenen Ära zu beschwören schien, mit Stratas, Fleming, Horne, Gino Quilico, Graham Clark und Hagegård, welches es aber nachfolgenden Bühnen nicht eben leicht machte, Schritt zu halten.Zumal es von der glanzvollen Met-Produktion (Marilyn Horne als monomentale Türkenbaba, getragen von strammen Herren) auch eine DVD gibt/ DG.

Die Höflinge sind wieder angeödet – „bored as a rug”, “bored as an egg”, “bored as a potato” – denn in Marie-Antoinettes Theaterchen im Petit Trianon soll eine Aufführung stattfinden. Die Königin ist vom dritten Teil der „Figaro“-Saga so gerührt, dass der Dichter sein Stück so umlenken will, dass sie nicht aufs Schafott muss. Coriglianos Librettist William M. Hoffmann hat Pirandello gelesen und Beaumarchais‘ Fünfakter La mère coupable nicht einfach für die Oper adaptiert, wie Milhaud, sondern nach dem Motto „was wäre wenn?“ Ludwig XIV, Marie-Antoinette und den in die Königin verliebten Beaumarchais samt den alten Geistern, die sich in der Gegenwart schrecklich langweilen, in einer verkastelten

Rahmenhandlung auf die Bühne geholt und die Halsbandaffäre hineinmontiert.

Dazu hat der 1938 geborene Corigliano, dessen Vater über zwanzig Jahre Konzertmeister der New Yorker Philharmoniker war, eine Musik geschrieben, die sich nach dem gräulichen Gewisper der Geister zu einem animierenden Spiel mit

den Vorbildern einfindet. Corigliano begnügt sich nicht mit Zitat, Collage und Parodie, wenngleich die Kenntnis von Mozart und Rossini das Vergnügen steigert, sondern findet einen eigenen, zeitgemäßen Plapperstil, der die zweihundert Jahre mühelos überwindet und ein bisschen an Menottis Buffa-Rivival The last savage erinnert, in dessen Met-Aufführung 20 Jahre zuvor Stratas ebenfalls mitgewirkt hatte.

Der im Februar und März 2015 entstandene Mitschnitt aus dem Dorothy Chandler Pavillon in Los Angeles wirkt nach der vorausgegangenen drögen Pentatone-Tat mit Cold Montain wie ein erfrischendes Bad (PTC 5186 538). James Conlon leitet eine ausgesprochen inspirierte Aufführung. Corigliano hat wirkungsvolle Arien, Duette, Ensembles geschrieben, darunter der Beginn der „Oper in der Oper“, der dem Lever im Rosenkavalier abgeschaut ist, wodurch das Westküsten-Ensemble, wenn auch etwas sparsamer als seinerzeit an der Met zusammengestellt, in bestem Licht erscheint. Keiner hätte auf sein Bravourstück verzichten wollen: wenngleich hie und da ein kleiner Strich der Wirkungskraft der Nummern vermutlich keinen Abbruch getan hätte.

Mit sicherem und festem Klang singt Patricia Racette die anrührenden Erinnerungen der Königin, Lucas Meachem hat als Figaro eine Bravourarie ganz im Stil seines Rossini-Ahnen, der Bösewicht Bégearss wird von Robert Brubaker mit galligem Trompetentenor gesungen, den Beaumarchais gibt Christopher Maltman mit steifem Kavliersbariton und die reife Broadway-Diva Patti LuPone macht sich gar nicht schlecht in der 10-Minuten-Bravour-Szene der Samira, die immerhin von Marilyn Horne kreiert wurde. Mit dabei die einst vielversprechende Lucy Schaufer als unauffällige Susanna sowie Brenton Ryan als Léon und Stacey Tappan als Florestine, die unehelichen Kinder der Almavivas, er Rosinas (Guanqun Yu) Sohn aus der Affäre mit Cherubino (Renée Rapier), sie die illegitime Tochter des Grafen (Joshua Guerrero). James Conlon leitet die Geister sehr effektvoll durch die beiden Akte, bis die Königin nach rund 150 Minuten ihr Schicksal annimmt und das Schafott beschreitet. Rolf Fath

  1. Stefan

    Gibt es von der Premièrenproduktion wirklich eine DVD? Meines Wissen und aktuell auf Amazon gab es das nur auf VHS… ich habe diese Aufführung damals mehrmals live gesehen und hätte die DVD schon längst daheim im Regal!

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