Spiel mit Männer-Klischees

 

„The best a man can be“, behauptet die Gilette-Werbung, die Mariame Clément ihrer Bregenzer Inszenierung von Massenets Don Quichotte im Juli 2019 vorschaltete. Ein scheinbar erregter Zuschauer springt aus einer der ersten Reihen auf, was habe Werbung mit der Oper zu tun. Dann erst nähert sich durch die Reihen des immer noch hell erleuchteten Zuschauerraum der Ritter von der traurigen Gestalt in seiner Rüstung und nimmt den Zuschauer als Sancho mit auf die Bühne und setzt sich dort in eine Zuschauerreihe, um sich ein historisches Spektakel altbackener Drei Musketiere-Prägung mit hübschen Posen an der Rampe, betriebsamer Chor-Neckerei und einem spanischen Dorfplatz wie aus dem Bilderbuch anzusehen. So könnte es bei der Uraufführung 1910 auch auf der Bühne in Monte-Carlo ausgesehen haben, als Schaljapin den Don Quichotte kreierte. Ein Spiel im Spiel. Und ein Spiel mit Männer-Klischees. Cléments ständige Ausstatterin Julia Hansen macht die Ausflüge ihrer Meisterin und ihres Helden in ein Badezimmer, Ghetto und Büro wie stets mit ingeniöser Bilderflut mit. Mehrfach verblenden Clément und Hansen in der Comédie héroique historische und zeitgenössische Bilderwelten in einer verspielten, aber auch technisch aufwändigen und prätentiösen Inszenierung, die auf der DVD (Unitel 754008) vielleicht nicht in ihrer ganzen Vielfalt zu erfassen ist. Vorhang runter. Rodriguez und Juan unterhalten sich, auf ihre Smartphones starrend, in den Zuschauerreihen auf der Bühne, dann endlich taucht Don Quichotte auf seinem Gaul in der Szenerie auf. Da hat man dann schon vergessen, dass der Werbespot mit richtigem und falschen Männerverhalten einen Beitrag zur Metoo-Debatte liefern sollte.

Der athletisch schlanke Gábor Bretz, der als Spiderman richtig gute Figur macht, ist anfangs der runzelig eingefallene Don Quichotte. In seiner Sérénade des ersten Aktes, „Quand apparaissent les étoiles“, noch etwas schwach sehnsuchtsvoll, doch bald kann er einige Farben seines edel lasierten und expansiven hohen Basses ausspielen, am besten im heroischen „Je suis le chevalier errant“ am Ende des dritten Aktes, wozu die bösen Jungs ergriffen nicken. Insgesamt erreicht der vielseitige Bretz in dieser Aufführung, die ihn mit einem ständigen Kostümwechsel in Trab hält, mit durchgehend schönem Ton nicht seine gewohnte Qualität. Die Dame seines Herzens ist die mit dunkelschwerem Timbre und schwerfälliger Eleganz ausgestattete Russin Anna Goryachova. David Stout gefällt als wandelbarer Sancho.

Im zweiten Akt macht sich Nassrasierer Quichotte im Badezimmer fertig, während sein auf dem Klodeckel hockender Begleiter Kommentare ins Internetz stellt. Nach dem Duschen nimmt Quichotte, bewaffnet mit Spraydose, Klobürste und -Deckel den Kampf mit dem Ventilator und einem sprudelnden Wasserhahn auf. Kabarettistisch, kurzweilig, albern. Dann schlägt er sich beim Wechsel an den Stadtrand – „We could be heroes“ steht an der Mauer – in der Begegnung mit einer Gang den Kopf blutig. Da hilft kein Spiderman-Kostüm. Für den Ausflug ins Ghetto hat Clément den Prague Philharmonic Choir Jeans, Hoodies und Caps übergezogen. Das ist die schwächste Episode. Schließlich resigniert Pollunder- und Brillenträger Quichotte im Großraumbüro, verkriecht sich unter seinem Schreibtisch. Hansen hat wieder gut gearbeitet und Teeküche, die vielen Arbeitskojen und den Galskasten für die Chefin auf die breite Bühne gestellt. Neben den feschen, ihre Chefin beflissentlich umwuselnden Bürohengsten (Léonie Renaud und Vera Maria Bitter als Pedro und Garcias in unkleidsamen Anzügen, Paul Schweinester und Patrik Reiter als Rodriguez und Juan) kann sich der ältliche Angestellte wenig Hoffnung auf Chefin Dulcinée machen, die sich bei einer Feier ein Bärtchen anklebt und mit „Ne pensons qu’au plaisir d’aimer“ den Angestellten eine Showeinlage liefert. Schließlich das Sterben des Don Quichotte auf einer Bühne auf der Bühne, das sich Dulcinée aus einer Sitzreihe wie im Kino anschaut. Das ist alles ein wenig viel, unterstreicht aber den episodenhaften Charakter der fünf Akte, an deren feingliedriger Struktur sich Daniel Cohen mehr aufreibt als die alle Einfälle bunt verschachtelnde Clément. Die Regisseurin hat aber bald den roten Faden, ihr Thema – welches eigentlich? – und ihren Helden aus Blick verloren. Man achtet in dieser wendig assoziierenden Aufführung, einfach weniger auf die Musik, denn selbst in den Préludes und Entreactes lassen die Wiener Symphoniker nicht durch besonders farbenreiches Spiel aufhorchen.  Rolf Fath

 

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