Petersburg: Verdi gelangte bis dorthin und führte die erste Fassung von La Forza del Destino auf, Johann Sebastian Bach wäre gern dort gewesen, musste aber in Leipzig bleiben und weiter für den Thomanerchor Kantaten schreiben, nun gibt es eine CD mit Musik, die es an den Petersburger Hof schaffte und vielleicht sogar während einer der hochsommerlichen Nuits Blanches, so der Titel der Silberscheibe, dort aufgeführt wurde. Die kanadische Sopranistin und Barockspezialistin Karina Gauvin hat gemeinsam mit dem Pacific Baroque Orchestra unter Alexander Weimann Musik, die am Zarenhof des 18.Jahrhunderts gespielt wurde, aufgenommen, darunter als Prominentesten Christoph Willibald Gluck, außerdem die beiden Ukrainer Dimitri Stepanowitsch Bortnianski und Maxime Sozontowitsch Berezovski, dazu den in Italien ausgebildeten Evstignei Ipatievitsch Fomine sowie Domenico Dall’Oglio, Tartini-Schüler, der gemeinsam mit seinem Bruder fast 30 Jahre lang am Zarenhof tätig war. Eher dem kalten russischen Winter allerdings huldigt das Cover, das die Sängerin mit üppiger Nerzstola und Schleierhütchen zeigt, hinter dem die Augen geheimnisvoll leuchten.
Aus Bortnianskis Oper Le Faucon (Der Falke) stamm die Arie der Elvire über die Liebe zu ihrem Sohn, die das Orchester mit süß-geschmeidigem Klang einleitet, der zu der Stimme von schönstem Ebenmaß in allen Registern, weich und sehr feminin, optimal passt, ein schönes Wechselspiel zwischen Instrumenten und menschlichem Organ garantierend. Später gibt es noch die effektvolle Ouvertüre zu dieser Oper um einen Edelmann, der das Herz bereits erwähnter Elvire dadurch gewinnt, dass er sein letztes Gut, einen Falken, für sie schlachtet und auftischt. Lediglich ein Orchesterstück trägt Dall’Oglio mit dem Allegro aus der „Sinfonia Cosacca“ bei, die allerdings eher barock als kosackisch klingt.
Von Bortnianski hingegen hat es noch ein zweites Werk auf die CD geschafft, Alcide aus dem Jahr 1778, in dem der junge Herkules vor die Entscheidung gestellt wird, welchen Lebensweg er gehen will, den angenehmen oder den ruhmreichen, aber beschwerlichen. Seine Entscheidung ist bekannt. In seinen beiden Arien demonstriert die Sängerin eine Stimme von jugendlicher Frische, singt raffinierte Schwelltöne und lässt die Verzierungen nicht wie mühsam erkämpfte, sondern wie beiläufig dargebotene klingen.
Arien zweier unterschiedlicher Partien lässt die Gauvin in Berezovkis Oper Demofonte, einmal des zu Menschenopfern gezwungenen Königs Demofonte, der hoffnungsvoll in eine bessere Zukunft blickt, einmal des sich den Opfern widersetzende Timante, der sich, sein Schicksal beklagend, an seinen kleinen Sohn wendet. Die erste Arie klingt eher wie eine Vokalise als sinnerfüllt, demonstriert aber die hervorragende Technik der Sängerin, die Leichtigkeit, mit der die Stimme geführt wird, die zweite lebt vom ihr innewohnenden Kontrast, „voi foste il mio diletto, voi siete il mio terror“, dem sie mit innigem Ton souverän Ausdruck verleiht.
Das Herzstück der CD sind natürlich die Auszüge aus Glucks Oper Armide, der der Sopran viel Jugendlichkeit, viel Kapriziöses, viele einander widersprechende Gefühle mit auf den Weg gibt. Erstaunlich ist dabei, wie sie zugleich sehr zart und sehr präsent sein kann. Nuancenreich gestaltet sie die Arie „Ah! si la libertè“, mit sanftem Tonansatz, und „Le perfide Renaud “ zeugt in der wunderbar instrumental geführten Stimme von Verletzbarkeit, so wie die Wutausbrüche stets die Einheit des Timbres bewahren. Alles in allem ein weiteres Zeugnis der Gestaltungskunst der kanadischen Sängerin (ATMA ACD2 2791). Ingrid Wanja
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