Das Label ALPHA-CLASSICS wartet immer wieder mit überraschenden Raritäten auf – jetzt bringt es auf zwei CDs die Oper El Prometeo des 1635 in Rimini geborenen und 1700 in Wien gestorbenen Komponisten Antonio Draghi heraus (ALPHA 582). Als Hofkomponist der Habsburger schrieb er über 160 Werke verschiedener Gattungen. Für seine Vertonung des Prometheus-Mythos nutzte er die 1669 in Madrid uraufgeführte Komödie La estatua de Prometeo von Calderón – verfasste die Oper zunächst in italienischer Sprache; erst danach wurde sie ins Spanische übersetzt. In dieser Fassung wurde das Stück am 22. 12. 1669 anlässlich des Geburtstages der spanischen Königin uraufgeführt.
Dem schweizerisch-argentinischen Dirigenten Leonardo García Alarcón verdankt die Musikwelt die Wiederentdeckung schon vieler vergessener Werke des Barock, die er dann bei diversen Festivals (Aix-en-Provence, Paris, Nancy, Berlin) zur Aufführung brachte. So auch Draghis Oper, die er 2018 an der Opéra de Dijon einstudierte und danach im Auditorium des Opernhauses aufnahm. Dafür musste er den fehlenden 3. Akt ergänzen. In seiner Komposition bezog er sich auf die musikalische Sprache Draghis in den ersten beiden Akten, aber auch auf Meister der Geschichte der Wiener Oper (Cesti und Caldara bis hin zu Mozart) sowie Monteverdi. Dessen Stil des recitar cantando übersetzte er in eine iberische Variante. Schon die Ouverture, in welcher Kastagnetten ertönen, bringt spanisches Kolorit ein und stimmt ein auf eine lebhafte, temperamentvolle Musik. Die Hoffnung auf eine solche trügt allerdings, denn den Hörer erwarten viele Dialoge in rezitativischem Sprechgesang und diverse Klagegesänge. Dazwischen sind Ritornelle gesetzt, Chöre oder Ballette beschließen die drei Akte.
2005 gründete Alarcón die Cappella Mediterranea, die sich anfangs auf die Musik des Mittelmeerraumes konzentrierte, das Repertoire später auf Madrigale und Opern erweiterte. Bekannt wurde das Ensemble vor allem durch die Wiederbelebung vergessener oder wiederentdeckter Werke und deren Aufführung in Opernhäusern und bei Festivals. Auch der mitwirkende Choeur de Chambre de Namur, 1987 gegründet, ist spezialisiert auf dieses Genre und arbeitet regelmäßig mit renommierten Dirigenten der Alten Musik zusammen. 2010 übernahm Leonardo García Alarcón die künstlerische Leitung des Chores.
Nach der kurzen, aber stürmischen Ouverture, welche das aufgewühlte Meer suggeriert, beginnt das Geschehen mit der Lobpreisung der Göttin Tetis (Mariana Flores mit hellem, schlankem Sopran), die auf einer riesigen Muschel erscheint, durch Prometeo und seinen Rivalen Pelèo. Fabio Trümpy singt den Titelhelden mit kultiviertem lyrischem Tenor, kann aber auch die später folgenden Lamenti mit stärkster Expressivität formulieren. Scott Conner kontrastiert mit resonantem, voluminösem Bass. Prometeo wird von der Nymphe Nisèa begehrt (Giuseppina Bridelli mit einem Mezzo von bohrender Intensität), hat sich jedoch in Tetis verliebt, die ihrerseits Pelèo favorisiert. Auch Jupiter (Alejandro Meerapfel mit nachdrücklichem Bariton) verliebt sich in Tetis – die Nachricht überbringt ihr Nerèo (Victor Torrès mit dunklem, klangvollem Bariton). Bei einer Weigerung würde sie tausend Tode sterben. Verzweifelt schenkt Prometeo seine Liebe nun einer von ihm selbst geschaffenen Statue. Von Pandòra (Anna Reinhold mir farbigem Mezzo) erführt Jupiter vom Zorn seiner Gattin Juno, so dass er seine Heiratspläne aufgeben muss.
Im 2. Akt begibt sich Prometeo in Begleitung seines treuen Satyro (mit buffonesker Klangrede, aber zuweilen auch lärmend der Bariton Borja Quiza) auf die Suche nach dem Feuer. Es gelingt ihm, der Sonne eine Flamme zu rauben und damit seine Statue zum Leben zu erwecken. Der erzürnte Jupiter fordert Pandòra auf, Rache zu nehmen. Von Mercurio (der Tenor Zachary Wilder mit buffoneskem Tonfall) verlangt er, Prometeo an einen Felsen des Kaukasus anzuketten. Dessen Statue ist zerstört, was ihn einen jammernden Klagegesang anstimmen lässt. Ein Chor trauernder Sterblicher beschließt den Akt.
Im letzten wird Aragne/Ariadne (Lucía Martín-Cartón mit munterem Sopran), die Minerva (Ana Quintans mit larmoyantem Sopran) im Wettstreit um die schönste Webarbeit besiegt hat, wegen Götterbeleidigung in eine monströse Spinne verwandelt. Noch spektakulärer ist die folgende Szene, in welcher sich ein Geier auf Prometeo stürzt und an dessen Leber hackt. Doch die Oper endet versöhnlich, dem Anlass des Geburtstages einer Königin angemessen. In seiner Großmut vergibt Jupiter Prometeo und lässt ihn durch seinen Sohn Hercules (Kamil Ben Hsaïn Lachiri mit kraftvollem Bariton) befreien. Zudem verzichtet er zugunsten von Pelèo auf seinen Anspruch auf Tetis, während Nisèa die Liebe von Prometeo gewinnt. Beide stimmen nach dem feierlichen Chor „O Suma Deidad“ mit „Que gloria“ einen innigen Gesang an, der das Werk überraschend verhalten beendet. Bernd Hoppe