Händels Dramma per musica um Kaiserin Agrippina, die ihren Sohn Nerone zum Nachfolger des vermeintlich gestorbenen Kaisers Claudio machen will, war zuletzt auf vielen Bühnen und in mehreren Veröffentlichungen anzutreffen. Beispielsweise legte Naxos die Aufzeichnung vom März 2016 aus dem Theater an der Wien vor, welche eine Inszenierung von Robert Carsen festhielt. An der Bayerischen Staatsoper gab es im Rahmen der Münchner Opernfestspiele im Sommer 2019 eine Neuproduktion durch Barrie Kosky und jüngst tourten Joyce DiDonato und Franco Fagioli damit mit sensationellem Erfolg konzertant durch Europa. Nun legt Erato dieses Ereignis in einer Einspielung auf drei CDs vor, welche im Mai 2019 in Dobbiaco entstand (0190295336585). Die Besetzung ist spektakulär und vereint in fast allen Partien die derzeit international führenden Interpreten im Genre der Barockoper.
Joyce DiDonato singt die Titelpartie und markiert mit dieser Interpretation einen neuen Standard in ihrer ohnehin exzeptionellen Diskographie. Sie formt den intriganten Charakter der Herrscherin mit einer faszinierenden Fülle von Farben und Gestaltungsnuancen. Die Rezitative sind spannende Psychogramme, in jedem Moment erfüllt von lebendigem Ausdruck. Auch technisch ist die Sängerin über jeden Tadel erhaben. Schon ihre erste Arie von munterem Duktus,„L’alma mia“, zeigt die Stimme in ihrer unangefochtenen Flexibilität, so dass die Koloraturläufe bestens gelingen. Die folgende getragene Arie, „Tu ben degno“, ist dagegen meisterhaft geformt in ihrer Verschlagenheit und Hinterlist. Munter und kokett hüpft „Ho un non so che nel cor“, während das vierte Solo der Titelheldin im 1. Akt, „Non ho cor che per amarti“, sich als ernsthafter Gunstbeweis für Poppea darstellt. Ihr größter Auftritt,„Pensieri“, ist im 2. Akt platziert und wird vom Orchester mit harschen Akkorden eingeleitet und begleitet. Die Sängerin setzt hier bewusst heulende Töne und grelle Ausbrüche als existentielles Ausdrucksmittel ein und steigert sich im B-Teil in rasenden Furor. Den Akt beendet sie brillant mit dem beschwingten und an Trillern reichen „Ogni vento“. Ihr als Titelheldin gebührt auch am Ende noch ein Solo – das getragen-sanfte „Se vuoi pace“, welches hören lässt, dass sich offenbar alle Verwirrungen gelöst haben. Poppea und Ottone besingen ihr Glück und angesichts des glücklichen Ausgangs steigt sogar Giunone vom Himmel herab und stimmt die jubelnde Arie “V’accendano le tede“ an. Marie-Nicole Lemieux erfreut mit pastosem Ton und bravourösen Läufen.
Franco Fagioli ist ein aufregender Nerone mit sinnlichem Countertenor. Schon in seiner Auftrittsarie, „Col saggio tuo consiglio“, besticht er durch brillante Spitzentöne und hohe Virtuosität. Brillant jongliert er mit den Noten in „Sotto il lauro“ im 2. Akt. Auch in dem kantablen “Quando invita la donna“ kann er mit schmeichelnder Stimmgebung punkten. Zu Beginn des 3. Aktes hat er dann mit „Coll’ardor del tuo bel core“ eine Bravournummer, welche er mit furioser Attacke angeht und mit seinen vehementen Koloraturläufen staunen macht. Mit „Come nube“ kann er diesen Eindruck sogar noch überbieten – eine tour de force von abenteuerlicher Bravour mit rasenden Koloraturpassagen und schier unwirklich scheinenden Variationen im Da capo.
Die Kaiserin hatte sich der Unterstützung ihrer Gefolgsleute Pallante (Andrea Mastroni mit autoritärem Bassbariton) und Narciso (Carlo Vistoli mit hohem Countertenor von reizvoll-lieblichem Klang) versichert, die beide in sie verliebt sind. Claudios Diener Lesbo (Biagio Pizzuti mit auftrumpfendem Bass) verkündet unter Trompetengeschmetter die Rückkehr des Kaisers. Es war der getreue Ottone, der ihm das Leben rettete und dafür die Thron-Nachfolge versprochen bekam. Eratos neuer Counter-Trumpf Jakub Józef Orlinski singt ihn engagiert und jugendlich klangvoll. Den 2. Akt eröffnet er mit der bewegten Arie „Coronato il crin d’alloro“. Er ist in Ungnade gefallen, kann aber Poppea seine Treue beweisen. „Voi che udite il mio lamento“ ist ein schmerzliches Lamento, das der Counter empfindungsreich vorträgt. Und mit „Vaghe fonti“ fällt ihm eine der schönsten Eingebungen Händels zu – ein kurzes Arioso in siciliano-Manier –, für das er entrückte Klänge findet. Auch „Pur ch’io ti stringa“ im 3. Akt ist von elegisch-klagendem Charakter, wofür sich Orlinskis Stimme besonders eignet. Ottones Liebe gehört Poppea, die aber auch von Claudio und Nerone hofiert wird. Luca Pisaroni als Kaiser ist mit larmoyant und zuweilen verquollen klingendem Bass nicht auf dem Ausnahmeniveau der übrigen Besetzung. „Cade il mondo“ im 2. Akt offenbart zudem auch seine Defizite in der Extremtiefe. Am besten gelingt ihm das forsche „Basta che sol tu chieda“ am Ende des 2. Aktes, das er mit energischem Zugriff angeht.
Elsa Benoit singt Poppea mit verführerisch tönendem Sopran, die reich verzierte Auftrittsarie „Vaghe perle“ absolviert sie brillant mit feinen staccati. Wenig später beweist sie in„Fa’ quanto vuoi“ resoluten Ausdruck und forsche Koloraturattacke. Sie beendet den 1. Akt mit der bewegten Arie „Se giunge un dispetto“, in welcher der Konflikt der Figur entschlossen geschildert wird. Launisch gibt sie sich dagegen in „ Ingannata una sol volta“ und „Col peso del tuo amor“. Mit„Bel piacere“ im 3. Akt hat sie nochmals Gelegenheit, ihren feinen Sopran in einem kultivierten Vortrag zu bester Wirkung zu bringen.
Für Händels Komposition, in der sich viele Nummern aus seinen früheren Werken finden (auch aus Oratorien, Kantaten und Motetten), ist Maxim Emelyanchev am Pult des Ensembles Il Pomo d’Oro der denkbar beste Anwalt. Schon in der Sinfonia sorgt er mit gravitätischen Akkorden zu Beginn und später dem fiebrigen Mittelteil für spannende Akzente. Das Preludio im 2. Akt ist von dramatischer Spannung erfüllt, der nachfolgende, von Bläsergeschmetter umrahmte Chor „Di timpani e trombe“ atmet pompösen Glanz. Am Ende kann er mit dem Orchester zum lieto fine noch die sechs Balli differenziert und Affekt geladen zu Gehör bringen.
Die Ausgabe bringt im Anhang noch zwei Nummern der Poppea – die lebhafte Arie „Fa’ quanto vuoi“ aus dem 1. Akt, welche vor der Premiere gestrichen wurde, und ihr inniges Liebesduett mit Ottone, „No, no, ch’io non apprezzo“ aus dem 3. Akt. In letzterem vereinen sich die Stimmen von Benoit und Orlinski in schönster Harmonie. Bernd Hoppe