Verdienstvoll, aber …

 

Keine Spur von Atonalität, dafür viel Wagner und Strauss im Orchester und Puccini in den Gesangsnummern finden sich in Italo Montemezzis 1943 via Radio (NBC) uraufgeführtem Einakter L‘Incantesimo (Die Verzauberung), ohne dass das Echo darauf auch nur vergleichbar war mit dem auf die bekannteste seiner Opern, L’Amore dei tre Re, die sich 25 Jahre lang im Repertoire der Met gehalten hatte, von Toscanini dirigiert wurde. Montemezzi war nicht etwa einer der europäischen Emigranten aus faschistischen Ländern in den USA, sondern mit einer reichen amerikanischen Erbin verheiratet und durchaus im Briefwechsel mit Mussolini, den er für die Aufführung seiner patriotischen Oper La Nave, deren Libretto von d’Annunzio stammte und die in operalounge.de anlässlich ihrer amerikanischen Präsentation ausgiebig vorgestellt wurde, zu interessieren versuchte.

L’Incantesimo  erlebte seine szenische Uraufführung erst nach dem Tode des Komponisten 1952 in der Arena di Verona. Wenn man den heutzutage zwischen Aida, Carmen und Tosca sich bewegenden Spielplan des Freilichttheaters betrachtet, bewundert man den Mut der damaligen Spielplangestalter. Jüngst gab es in Lettland einen Abend mit der Kombination Pagliacci/Incantesimo, eine gute Idee, ein hochpopuläres mit einem unbekannten Werk zu koppeln.

Das Werk spielt im Mittelalter in einem Schloss zu Füßen der Alpen zur Winterszeit. Der Schlossherr Folco (Bariton) erwartet die Ankunft des Wahrsagers  Salomone (Bass), der ihm erklären soll, was es bedeutet, dass er auf der Jagd in einer von ihm erlegten sterbenden Hirschkuh seine Gattin Giselda (Sopran) zu erblicken glaubte. Der Ersehnte erscheint gemeinsam mit dem einstigen Rivalen, Rinaldo (Tenor) um die Gunst Giseldas, der sie immer noch liebt und zu erobern hofft. Salomone erklärt, es sei der Mangel an Liebe, die Folco nur in Verbindung mit dem Tod spüren könne,  die zu der Erscheinung geführt habe. Er müsse an den Ort der  blutigen Tat zurückkehren, und wenn er dort anstelle der Hirschkuh seine Gattin finde und ihren Körper zurückbringe, sei er der Liebe fähig. Rinaldo benutzt die Abwesenheit des Gatten, der nur den Kadaver des Tieres finden wird, dazu, Giselda seine Liebe zu erklären. Diese will seinem Werben nachgeben, wenn es ihm gelingt, am Morgen aus dem verschneiten Garten einen in voller Frühlingspracht zu zaubern – dann würde sie an die Kraft der Liebe glauben und die Seine werden. Das Wunder geschieht und die Oper endet mit der ekstatischen Anrufung von l’amore durch Giselda.

Die über alle Maßen verdienstvolle Firma Bongiovanni aus Bologna, die sich trotz inzwischen fast hundertfünfzehnjährigen Bestehens nur mit einem „70 anni“ schmückt, hat einmal mehr einer vergessenen oder eigentlich nie recht auf der Bühne präsenten Oper zur Wiederentdeckung verholfen, wenn auch leider mit einer teilweise mehr als heiklen Besetzung. Denia Mazzola Gavazzeni, Witwe des besonders um den Verismo verdienten Dirigenten Gianandrea Gavazzeni, singt nicht nur in L’Incantesiomo, sondern auch in der folgenden Debussy-Kantate L’Enfant Prodigue die weibliche Hauptrolle. Die Stimme klingt nun ausgesprochen ältlich, brüchig, bricht auch manchmal einfach weg, und anstelle von scherzosa klingt sie ausgesprochen nervosa. Nur die Musikalität der Sängerin bewahrt sie vor der totalen Katastrophe.Ebbene, allora Rinaldo“ ist eine tremolierende Bankrotterklärung.

Bei Debussy wird zumindest der Sopran nicht unter Druck gesetzt und klingt damit angenehmer in der Rolle der verhärmten Mutter. Markig, viril und dunkel ist der Bariton von Armando Likaj, ausgesprochen metallisch und den Charakter des starren Folco angemessen treffend. Gut gelingt ihm die Jagd-Erzählung in ausdrucksvoller Verhangenheit. Als Vater bei Debussy weiß er auch mildere Töne anzuschlagen, und auch der Tenor Giuseppe Veneziano kann die angenehme Stimme strömen lassen, die zuvor bereits bei „si, l’amore tutto può“ als Rinaldo durch ihr Strahlen aufgefallen war. Als Salomone lässt Fulvio Otelli einen dumpfen Bass hören.

Der Chor, La Camerata di Cremona, der zuvor wenig zu tun hatte, kann im Bonus, FaurésCantique de  Jean Racine“, für sich einnehmen, das Orchestra Filarmonica Italiana unter Marco Fracassi glänzt bei allen Stücken in den fein ziselierten Einleitungen und behauptet auch als Begleitung der Sänger seine Position als hochprofessionelles Musikerensemble (GB 2498/99-2Ingrid Wanja