Banales Märchenspiel

 

Der erste Entwurf des Bayreuther Lohengrin 2018 von Neo Rauch und Rosa Loy habe ihm Brabant als ein untergegangenes Land gezeigt, erzählt Yuval Sharon, „ohne Elektrizität, ein Land, das die Energie verloren und das Verlorene zum Göttlichen überhöht hat“. Entsprechend dunkel ist, es als der Heerrufer die Grafen, Edle und Freie von Brabant unter der Gerichtseiche zusammenruft, wo der König Heinrich mit hängenden Insektenflügeln auf einem Isolator kauert. Blaugrauer und schilfig dunkler als im Festspielhaus muten die Szenen auf den beiden DVDs der vorjährigen Bayreuther Aufführungen an (2 DVD DG 004400735616), wie ein alter Film, aus dem man bestimmte Farben herausgefiltert hat, ein Gemälde aus alten Zeiten, aus dem die Figuren in ihren historischem Wämsern, Radkragen und Kniebundhosen aus dem Transformatorenhäuschen in den Lichtkreis treten. Rauchs Kulissen und Sharons übersichtliche Arrangements setzen bewusst auf die Anmutung ausgestanzter Märchenbilder und niedlicher Szenen zwischen Bilderbuch und „Toteninsel“, van Dyck und böser Königin. Würden die Mannen keine Bärte tragen, könnte man sie ohne weiteres für die sieben Zwerge und ihre possierlichen Freunde halten. Dass diese Scharade nicht ins Banale und Lächerliche oder unfreiwillig Komische abrutscht, davor bewahrt sie Christian Thielemann, der die Musik so aufrichtig, ernsthaft und anrührend mit der Aura des Märchenhaften und Übersinnlichen entfaltet. Die Bildregie rückt den Betrachter nah ans Geschehen heran, meidet die Totale weitgehend oder unterstreicht beim Blick von schräg unten oder oben den Charakter des Figurentheaters oder märchenhaft Entrückten, wodurch sich der Eindruck von der Live-Aufführung etwas korrigiert, wirkt bei den Lichtblitzen, die das Papphäuschen beim Erscheinen des Superelektrikers Lohengrin durchzucken und der Luftnummer beim Zweikampf Lohengrins mit Telramund aber auch ein bisschen wie Augsburger Puppenkiste. Dadurch gerät die stets präsente und immer böse um die Ecke guckende Waltraud Meier ins Hintertreffen. Inmitten dieser flämischen und puppenspielhaften Veduten wirkt Lohengrin in seinem Piloten- oder Elektrikeroverall tatsächlich wie der Ritter aus einer fremden Welt. Piotr Beczala singt diesen zupackenden Handwerker mit der Zuversicht eines Sängers, der keine Uniform scheut und nie lächerlich wirkt, mit aufrichtigem Ton, der ganz zart und lyrisch bleibt, aber über ausreichend Durchsetzungsvermögen verfügt, um die Gesangsbögen zu formen und sie mit Nachdruck und Bedeutung zu unterlegen. Beczala spielt den Schwanenritter mit einer ätherischen Entrücktheit und Unschuld, zu schön, um wahr zu sein. Alle klingen, scheint mir, vorteilhafter als in der von mir im Vorjahr besuchten Aufführung. Auch Anja Harteros singt mit konzentrierterem Ton, wenngleich ohne den Dornröschenglanz, ist in „Euch Lüften“ vom einigem reifem Liebreiz, doch letztlich keine ideale Elsa. Mustergültig Georg Zeppenfeld als Heinrich mit schlankem, schön zentriertem und auf Linie bedachtem Bass, der auf den DVD nicht so leicht und hell wie im Haus klingt, voll dunkler Würde in seinem Gebet. Seinem Heerrufer, einen eifernden politischen Steifbügelhalter, gibt Egils Silins wütende Attacke und ironische Zwischentöne, Tomas Konieczny dem Telramund berstende Wucht. Szenisch ist seine Begegnung mit der wilden Seherin auf der DVD womöglich noch uninteressanter als live. Auch wenn Waltraud Meier als kluge, weniger intrigante als raffinierte Ortrud – Sharon bezeichnet sie als „Überlebenskünstlerin“, die „beabsichtigt, Elsa vor der giftigen Gesellschaft zu retten, um sie in eine Freidenkende zu verwandeln“ –  nach dreißig Jahren in ihrem letzten Bayreuther Festspielsommer mit sorgfältiger Diktion und stimmgestalterischer Autorität die Summe ihre Erfahrung zieht und in den „Entweihten Göttern“ geschickt ihre Grenzen ausreizt.

Auf DVD habe ich dieses drollig unvollkommene, platt papierene Märchenspiel von der Emanzipation der Elsa, die anfangs demütig zu ihrem Retter aufblickt, sich im orangefarbenen Schlafgemach und schließlich im ebenso schrill orangefarbenen Kleid als Ausreißerin erweist, ihr Ränzel packt und mit dem grünen Männchen davon geht – Sharon ist alles andere als ein Meister der Personenführung –  eher genossen als im Festspielhaus Rolf Fath