Gleich dreimal lässt Donizetti in seinem reichen Opernschaffen die englische Königin Elisabeth I. vergeblich nach einem Liebhaber schmachten, und zweimal davon ist es der Graf Leicester, der allerdings unterschiedliche Damen mit seiner Gunst beehrt. Oft auf die Bühnen kommt Maria Stuarda, der die Rivalität mit der Königin nicht gut bekommt, weniger, aber immerhin bekannt ist Roberto Devereux, der einer Sara den Vorzug vor der Herrscherin gibt, im kaum bekannten Il Castello di Kenilworth ist wieder Leicester das Objekt königlicher Begierde, aber bereits, wenn auch heimlich, verehelicht. Schon bei seiner Uraufführung in Neapel hatte diese erste der Königinnenopern nicht viel Glück, was auch daran lag, dass Rossini, vor Donizetti Opernlieferant am San Carlo, ein Werk ähnlichen Inhalts mit Elisabetta, regina d‘Inghilterra komponiert hatte. In Bergamo, das in jedem Herbst seinen Komponisten mit einem Festival ehrt, wurde bereits 1989 die zweite Fassung des Castello mit einem Bariton als Bösewicht mit Mariella Devia und Denia Mazzola Gavazzeni aufgeführt, im Jahre 2018 nun die ursprüngliche Fassung mit einem Tenor in dieser Partie: Die vorliegende Aufnahme ist also die erste derselben auf CD/ DVD und stammt aus Bergamo 2018 (wo der Kollege Rolf Fath im vergangenen Jahr darüber berichtet hatte).
In der Vorlage von Walter Scott wird die Heldin, und dadurch wird sie eigentlich erst zu einer solchen, ermordet. In der Oper steht eher Elisabetta wegen ihrer Großmut, ihrem Verzeihen-Können, im Mittelpunkt. Leicester lebt mit der ihm heimlich angetrauten Amelia auf Schloss Kenilworth. Als sich Elisabetta zu einem Besuch anmeldet, malt er sich eine Zukunft an ihrer Seite aus und betraut seinen Vertrauten Warney mit der Aufgabe, Amelia versteckt zu halten. Der nutzt die Situation zu Annäherungsversuchen aus, wird aber zurückgewiesen und plant deshalb die Ermordung Amelias. Diese kann fliehen und beichtet der Königin die Vermählung. Leicester spürt inzwischen Reue wegen seines Verhaltens gegenüber der eigentlich geliebten Gattin, die Königin verzeiht und das lieto fine kann stattfinden. Die Handlung ist also weit weniger brisant als der Streit zwischen zwei Königinnen oder der Verzicht auf Liebe und Herrschaft in den beiden anderen Elisabetta-Opern. Ein wenig hört man bereits in die Lucia hinein, insbesondere im Gebrauch von Harfe oder Glasharmonika als Begleitung für die Damen.
Die Besetzung ist zumindest auf dem Papier vorzüglich. Carmela Remigio allerdings klingt als Amelia zunächst einmal nur unerweckt, flach und, wenn man es positiv ausdrücken will, extrem elfenhaft. Erst in der sanften Klage gegenüber Elisabetta, „Par che mi dica ancora“, bringt sie mehr Volumen und Gefühl in ihren Gesang. Mild und mädchenhaft ist auch die Elisabetta von Jessica Pratt, die viel Sinn für die kleinen Notenwerte und zahlreiche abbellimenti zu ihrem Markenzeichen macht. Die schöne, leichte Höhe verstärkt ebenfalls den positiven Eindruck, schwärmerisch klingt „il suo celato ardore“, rasant „tremi il vile“, und ein irrer Intervallsprung am Ende des zweiten Akts löst ebenso Bewunderung aus wie der strahlende Spitzenton als Abschluss. Mit Verzierungen ohne Ende ist der Schluss mit dem Perdono der Getäuschten gespickt. Sehr hörenswert ist der Tenor Xabier Anduaga, ein junger Spanier mit frischer, durchschlagskräftiger Stimme, sensationeller Höhe und Dominanz in den Ensembles. Auftrumpfen kann auch Stefan Pop als Ränkeschmied Warney mit farbigem, schön schaurigem in „taci amor“ und mit zugleich baritonal klingender Mittellage wie tenoraler Höhe. Mit dunkel verhangenem Bass und tröstlich klingendem Mezzo stützen Dario Russo als Lambourne und Federica Vitali als Fanny. Riccardo Frizza am Dirigentenpult ist die sichere Bank für einen frisch und straff dargebotenen Donizetti (Dynamic CDS 7834.02; auch als DVD DYN-57834 Bluray). Ingrid Wanja