Ob die beiden die Titelfigur umwieselnden Tänzerinnen Kunst oder Kitsch sind, darüber lässt sich streiten, nicht aber darüber, dass die in immer schneller werdendem Tempo zwischen ihre Schlussarie eingestreuten Aufnahmen von Flüchtlingskindern übelster Agitprop sind, der mit dem Werk absolut nichts zu tun hat. Schon Verdi ist mit Schillers Die Jungfrau von Orleans rücksichtslos umgegangen, indem er für Giovanna d’Arco aus 27 Personen fünf werden ließ, in den Mittelpunkt die angebliche Liebe der Jungfrau zum König stellte, den Vater zu einem Eckpunkt der Dreiecksgeschichte werden und Johanna auf dem Schlachtfeld statt auf dem Scheiterhaufen sterben ließ. Die Regisseurin Saskia Boddeke und ihr Mitregisseur Peter Greenaway setzen im wunderschönen Arkaden-Teatro Farnese von Parma mit Hilfe von Bühnenbildnerin Annette Mosk auf Videoprojektionen und Choreographie (Lara Giudetti) anstelle einer ausgefeilten Personenregie und schaffen zum Teil sehr schöne Bilder, werten aber auch die Sänger, was die Optik betrifft, erheblich ab, denn mit den zahllosen wunderschönen Madonnenportraits oder den Hunderten von Papierschmetterlingen kann kein Solist konkurrieren, und ob die beiden zusätzlichen Jungfrauen, die kindliche Giovanna innocente mit Krone und die reifere Giovanna guerriera mit Schwert, den Sopran eher irritieren als unterstützen, ist nicht auszumachen. Am Schluss gibt es einen grandiosen Aufmarsch der Symbole aller bekannten Religionen, und man wartet nur noch auf ein „Seid umschlungen, Millionen“ als akustische Zugabe. Da wollte einmal mehr ein Regieteam zu viel und erstickte die gerade bei Verdi ja sehr private Geschichte um jungfräuliche Reinheit oder Verlust derselben in einem Wust von weltanschaulicher und tagespolitischer Problematik. Cornelja Doornekamp kleidete Solisten und Chor vorwiegend in Weiß, dazu kommen Farbtupfer in Blau für die Franzosen und in Rot für die Engländer.
Der vorzügliche Chor unter Martino Faggiani stammt vom benachbarten Teatro Regio di Parma, das Orchester I Virtuosi Italiani schlägt sich unter Ramon Tebar ebenso wacker. Luciano Ganci ist ein in Italien vielbeschäftigter Tenor, der den Re Carlo auch in Berlin bei der Operngruppe gesungen hat. Er verfügt über ein farbiges, nobles Timbre, auch die Höhe zeigt eine sichere Präsenz, und erst ganz zuletzt klingt der Tenor etwas spröder. Schon ganz große Partien wie Lady Macbeth oder Aida hat Vittoria Yeo gesungen, ist ebenfalls vor allem in Italien zu erleben und verfügt über einen frischen, klaren Sopran, der in der Höhe manchmal leicht klirrt. Die Mittellage ist noch ausbaufähig, schöne Schwelltöne zeugen von einer guten Technik, aber ein tatsächlich jungfräulich anmutendes Timbre lässt ihr derzeitiges Repertoire als noch zu gewagt erscheinen. Eher am Material als an der Technik und am Wissen um guten Verdigesang, im 2. Akt zu hören, mangelt es beim Giacomo von Vittorio Vitelli, dessen Bariton in der Höhe schütter und ansonsten spröde klingt.
Das holländisch anmutende Regieteam weist darauf hin, dass nicht Parma allein, sondern zudem Amsterdam für die Produktion verantwortlich ist, die 2016 in Italien zu erleben war und die 2018 bei C-major erschienen ist (C-Major 745608/ 2016). Ingrid Wanja