Selbst wer bereits gefühlte hundert Mal MozartsOper Le Nozze di Figaro erlebt hat, wird von der 2009 in Madrid entstandenen Produktion des Werks gefangen genommen werden und begeistert sein. Das liegt zum einen an der wunderbaren Bühne von Daniel Bianco, der in die Zeiten zurückführt, als künstlerische Opulenz und handwerkliches Können das Publikum verzauberten, hier nun mit dem Blick auf eine Orangerie von Figaros und Susannes Zimmer aus oder mit einem verzauberten Park für das letzte Bild. Und immer spielen die berühmten spanischen Kacheln eine Rolle, als farbige Wandverkleidung oder als die Szene dominierendes Sitzmöbel im nächtlichen Garten. Zur zauberhaften Bühne passen die Kostüme (Renata Schussheim) mit verständlicherweise spanischen Elementen für das dem „Volk“ zugehörige Personal, während der Adel im feinsten Rokoko repräsentiert. Die Lichtregie von Eduardo Bravo sorgt ebenso für lichtdurchflutete Räume wie für das Aufblitzen der Wasserfontänen im Dunkel des Parks.
Die Dienerschaft nimmt neugierig und stumm kommentierend an allem teil, wessen sie ansichtig werden kann, die Personenregie von Emilio Sagi setzt neue Akzente, wenn Figaro in den Kuss zwischen Conte und Contessa bereits im zweiten Akt hineinplatzt, wenn die Contessa viel mehr als gemeinhin noch Züge der temperamentvollen Rosina aus Rossinis Barbiere hat, nicht nur nobel leidend wehmütig Erinnerungen nachhängt.
Das Ensemble ist ein erlesenes, und das gilt nicht nur für die Hauptrollen, sondern auch für Bartolo, Basilio und Marcellina, die allesamt ihre oft gestrichenen Arien singen dürfen. Köstlich ist Raúl Gimenez, einst vorzüglicher Rossini-Tenor, als Don Basilio, vor dessen Hang zum Intrigieren man sich wirklich fürchten muss, eine Wucht Carlos Chausson mit seiner Vendetta-Arie als Don Bartolo, dünnstimmig, aber überzeugend vom Altjüngferlichen zum Mütterlichen sich wandelnd Jeanette Fischer als Marcellina, hübsche Klänge in Moll lässt die Barbarina von Soledad Cardoso erklingen.
Um die Bedeutung der Rezitative weiß der Figaro von Luca Pisaroni, der mit viriler, farbiger Stimme in seine Arien überzuleiten weiß und besonders mit „Aprite“ einen besonderen Erfolg erzielen kann. Etwas zu ältlich in Optik und Stimmklang ist die Susanna von Isabel Rey, deren Rosenarie nicht schimmert, deren grässliche Frisur allerdings wesentlich dazu beiträgt, dass man sie eher für die Tante als die Braut des jugendlichen Figaro halten möchte. Ihre Gestik wirkt zudem unangenehm konventionell. Wie an vielen anderen Bühnen ist auch in Madrid Barbara Frittoli eine ideale Contessa mit auch in der Höhe und im Piano warm leuchtendem Sopran. Ludovic Tézier wirkt so aristokratisch wie derb draufgängerisch als Conte und macht „Già vinta la causa“ so stilsicher wie darstellerisch eindrucksvoll zum Höhepunkt des Abends. Am Dirigentenpult weckt der unlängst verstorbene Jesus Lopez Cobos die Erinnerung an viele Abende, an denen er auch an der Deutschen Oper Berlin das Werk in der Friedrich-Produktion dirigierte (Euro Arts 2059348). Ingrid Wanja
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