Im Krieg, in der Liebe und im Konzert

 

Mit dem Programm ihrer CD „In War and Peace“, eine der erfolgreichsten Veröffentlichungen seit ihrer Premiere 2016, geht die amerikanische Mezzosopranistin  Joyce DiDonato seit einiger Zeit auf Tournee. Im Mai wird sie damit auch bei den Dresdner Musikfestspielen und bei den Händelfestspielen Halle gastieren. Nach der CD-Ausgabe hat Erato, die Stammfirma der Sängerin, nun eine Bluray-DVD mit dem Mitschnitt des Konzertes aus dem Gran Teatre del Liceu in Barcelona vom 4. Juni 2017 herausgebracht (02-557754 ). Wie auf der Platte begleitet wiederum das Ensemble Il Pomo d’Oro unter Leitung von Maxim Emelyanychev. Und natürlich trägt die Sängerin auch an diesem Abend die für sie entworfenen Roben von Vivian Westwood, deren eine bereits das CD-Cover schmückte, sowie das wüste Make-up, das auf Zerstörung des Menschen verweist.

Die Programmfolge ist etwas abgewandelt, auch ergänzt um instrumentale Titel. Da sind zuerst die getragene Sinfonia aus De Cavalieris Rappresentatione di Anima et die Corpo und Purcells Chacony in g-Minor, in denen das Ensemble seine hohe Musizierkultur zeigen kann. Später hört man „Tristis est anima mea“  von Gesualdo und „Da pacem Domine“ von Pärt – zwei zutiefst schmerzlich-ernste Kompositionen, während deren einer die Sängerin klagend auf dem Boden liegt und in der anderen der Tänzer Blütenblätter durch die Luft wirbelt. Sechs Gesangsnummern der CD fehlen in der Live-Präsentation, werden wiederum durch fünf andere Beiträge ersetzt, was für den Sammler den Reiz erhöht, auch das neue Produkt zu erwerben.

Die szenische Gestaltung des Konzertes oblag dem Filmemacher Ralf Pleger, der mit der Mezzosopranistin bereits ein Florence-Foster-Projekt gedreht hatte. Darin liegt das Problem dieser Aufführung, hat er doch den Tänzer Manuel Palazzo (in dessen eigener Choreografie) der Solistin als Garnitur zur Seite gestellt, der sich mit nacktem Oberkörper und im langen Rock (Kostüm: Lasha Rostobaia) vor allem auf dem Boden windet, gelegentlich auch Kontakt mit der Sängerin aufnimmt, letztlich aber die Notwendigkeit für seinen szenischen Einsatz nicht erbringen kann. In Hintergrund laufen zuweilen Videos von Yousef Iskander ohne sonderliche Aussage, sie illustrieren die Musik mit Wellen, Lavaergüssen, Lichtflecken und am Schluss Feuerwerksraketen. Einzig die Idee, das Konzert nicht als Arien-Potpourri mit Applaus des Publikums nach jedem Titel zu gestalten, sondern als durchgängige Folge mit dramaturgischem Konzept, ist überzeugend.

Die Abteilung War im ersten Teil beginnt mit „Scenes of horror“ aus Händels Jephtha (das die CD nicht bietet), gefolgt von Andromacas „Prendi quel ferro“ aus der gleichnamigen Oper von Leonardo Leo, womit die Interpretin zwei Stücke von expressiver Deklamation gegenüberstellt. Wie auf der Platte ist Didos Lament aus Purcells Dido and Aeneas in seinem ernsten Pathos und der  ergreifenden Darstellung von schlichter Größe auch im Konzert ein Höhepunkt. Zwei Händel-Arien beschließen dessen ersten Teil – Agrippinas anfangs introvertiertes, dann aufbrausendes „Pensieri“ sowie Almirenas tröstliches „Lascia ch’io pianga“ aus Rinaldo, in welchem sich die Schönheit der Stimme besonders entfaltet.

In der Abteilung Peace nach der Pause stellt DiDonato zu Anfang aus Purcells The Indian Queen ein anderes Stück vor als auf der CD („They tell us“), auch „Crystal streams“ aus Händels Susanna findet sich auf der Platte nicht.

Dagegen sind die letzten drei Arien wieder identisch mit dem CD-Programm. Und wenn im Konzert insgesamt die Bravour etwas in den Hintergrund rückt und dem Espressivo den Vortritt lässt, so kommt sie hier wieder zu ihrem Recht.  In „Augelletti“ aus Rinaldo kann die Mezzosopranistin im Dialog mit der Blockflöte mit gekonnt imitierten Vogelstimmen aufwarten, in Cleopatras „Da tempeste“ aus Giulio Cesare ihre hohe Lage und die Koloraturbrillanz demonstrieren. Und mit dem jubilierenden „Par che di giubilo“ aus Jommellis Attilio Regolo, in dem der Tänzer mit kraftvollen Sprüngen erstmals einen stärkeren Eindruck hinterlässt, beendet sie die offizielle Programmfolge spektakulär.

Danach wendet sich die Sängerin, sichtlich bewegt ob der aktuellen politischen  Situation, mit einer Ansprache an das Publikum (in Englisch) und lässt als Zugabe das Strauss-Lied „Morgen!“ folgen, das sie Silvester auch im Konzert der Berliner Philharmoniker sang und auch hier wieder mit träumerischer Stimmung malt.

 

Bereits zwei Monate nach dem Ereignis lag der Mitschnitt des Silvesterkonzerts 2017 aus der Berliner Philharmonie bei EuroArts auf DVD Bluray vor (2098073638). Simon Rattle hatte ein ungewöhnliches Programm zusammengestellt, das sehr tänzerisch orientiert war mit dem Pas de deux aus Stravinskys Apollon musagète im ersten Teil sowie nach der Pause „Three dance episodes“ aus Bernsteins On the town und der Suite aus Schostakowitschs The Golden Age. Stravinskys Komposition beginnt mit zauberischen, wie von fern flirrenden Klängen, die sich dann zu einer walzerseligen nostalgischen Melodie sammeln. Bernsteins Tanzepisoden verbreiten jazziges Feeling und ausgelassene Lebensfreude, Schostakowitschs Suite bietet rhythmische Turbulenzen und verzerrte Walzerklänge von oft grotesker Wirkung. Die Musik beider Komponisten ist für das Orchester ein Fest, das mit virtuoser Spielfreude aufwartet.

Stargast des Abends war Joyce DiDonato, deren erster Beitrag mit fünf Liedern von Richard Strauss eine eher überraschende Wahl darstellte. Die amerikanische Mezzosopranistin verfügt zwar über Erfahrungen mit Partien dieses Komponisten (Octavian, Komponist/Ariadne) auf der Bühne, kaum aber über solche mit dessen Liedgut im Konzertsaal. Doch sie sang die fünf Titel mit so tiefem Verständnis und Einfühlungsvermögen, dazu mit fast makelloser Diktion, dass sie damit für eine Riesenüberraschung sorgte und entsprechend gefeiert wurde. Emphatisch und mit großem Aufschwung die „Zueignung“, ruhig fließend und mit schwebender Höhe das „Wiegenlied“, mit koketter Mimik die „Muttertändelei“, entrückt und vom Orchester wunderbar träumerisch eingeleitet, der „Morgen“ und zum Schluss groß aufrauschend „Die heiligen drei Könige aus Morgenland“. Ganz in ihrem ureigenen Revier bewegte sie sich mit dem Beitrag im zweiten Teil, dem melancholischen Song voller Lebensweisheit „Take Care of this House“ aus Bernsteins 1600 Pennsylvania Avenue. In einer spektakulären, schwarz glitzernden Robe von Vivienne Westwood war sie auch optisch ein Ereignis.

Schwungvoll hatte das Konzert mit der Carnival Overture, op. 92 von Antonín Dvorák begonnen. Slawisches Melos und schäumendes Temperament vereinten sich hier zu einem mitreißenden Auftakt. Und in eben dieser Stimmung endete der Abend mit den beiden Zugaben: Dvoráks Slawischem Tanz op. 72, Nr. 2 und Brahms’ Ungarischem Tanz Nr. 1 in g-Moll. Sie waren die perfekte Einstimmung für das begeisterte Publikum zur Jahreswende wenige Stunden später. Bernd Hoppe