Ohne Herzensangelegenheit kommt kein Recital aus. Eine solche ist Barbara Emilia Schedel die Figur der Ophelia. Vor allem als weibliche Imaginationsfläche von der ‚reinen Unschuld‘ bis hin zur ‚femme fatale‘ fand Ophelia vor allem in Literatur und Malerei ihren Stellenwert und inspirierte Maler wie Delcroix, Millais, Klimt ebenso wie die Dichter Rimbaud, Bourget, Heym, Nietzsche, Trakl, Benn, Brecht und Huchel“. Nicht nur umfangreicher, sondern auch umfassender fällt Joachim Draheims Einleitung von Schedels Ophelia Songs aus (Telos Music/ TLS 186) aus, die ohne weiteres die Basis zu einem grundsätzlichen Essay über Shakespeare und die Musik bilden könnte. Anschaulich verklammert Draheim Shakespeares Tragödie mit den entsprechenden Kompositionen dieser CD: „Ihren Tod im Wasser…erlebt der Zuschauer nicht auf der Bühne, sondern im Bericht der Königin Gertrude, worauf die Lieder von Robert Schumann, Hector Berlioz, Charles-Camille Saint-Saens und Delphine Ugalde Bezug nehmen. Im Zentrum aber steht die berühmte Wahnsinnszene“. Schedels Auswahl, die von den schlichten Liedern des William Linley über Schumann, Brahms, Strauss, Chausson bis Schostakowitsch und Rihm reicht, beinhaltet manch Rares wie Aribert Reimanns Bearbeitung der Brahms-Lieder für Singstimme und Streichquartett oder die vom Cello begleitete Romanze Schostakowitschs. Mit einer Salonpièce der Delphine Ugalde, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris u. a. Partien von Auber und Thomas kreierte, ist die Verbindung zur berühmteste Opernszene gegeben, war sie doch für Christine Nilsson bestimmt, die die Ophélie in Thomas‘ Hamlet kreierte. Gehört „Pâle et blonde“ zu den Stücken die außerhalb ihrer Möglichkeiten liegt, so singt Barbara Emilia Schedel Ugaldes Romanze trotz flacher Stimme mit schönem Gespür, vor allem befindet sie sich in der umfangreichen Szene, zu der Mario Castelnuovo-Tedesco mehrere Ophelia-Lieder zusammengefasst hat, auf Augenhöhe mit dem Werk. In Schostakowitschs Romanze von 1967 und in der Szene von Wolfgang Rihm zeigt sich Schedels Wandlungsfähigkeit im Umgang mit der Klassischen Moderne bzw. neuester Musik. Schedel wird begleitet von Christoph Schickedanz, Zoya Nevgodovska (Violine), Maya Hunziker (Viola), Emanuel Wehse (Cello) und Günther Albers (Klavier).
Auch der Bassist Thomas Stimmel stellt seiner Roots–Aufnahme (ars vobiscum) eine persönliche Aussage voran: „Auf dieser CD sind Werke von ‚klassischen Komponisten‘ mit afrikanischen Wurzeln zu hören, die im deutschsprachigen Raum kaum bzw. gar nicht bekannt sind! ….. Gerade in der heutigen Zeit finde ich es sehr wichtig, diesen wunderbaren Komponisten wieder „Gehör zu verschaffen’“. Gemeint sind Henry Thacker Burleigh, Samuel Coleridge-Taylor, Julia Perry, Harrison Leslie Adams und Will Marion Cook, die Stimmel sorgfältig ausgewählt und gemeinsam mit seinem Pianisten Philipp Vogler und dem Streichquartett von Eroica Berlin ebenso sorgfältig einstudiert hat. Am bekanntesten ist Coleridge-Taylor, dessen große dreiteilige Kantate für Chor, Orchester und Solostimmen Scenes from The Song of Hiawatha sich in England um 1900 ungemeiner Popularität erfreute und die u.a. mit Bryn Terfel aufgenommen wurde. Stimmel verfügt über einen gestandenen Bass (im Frühjahr 2017 hat er in Maribor den Rheingold-Fafner gesungen) mit geschmeidiger Ausdrucksskala und wohlig ansprechendem Timbre, die sich in den Liedern von Coleridge-Taylor und den drei Blumenliedern von Henry Thacker Burleigh vermitteln; Burleigh hatte die Spirituals salonfähig gemacht bzw. den Weg für Marian Anderson und Paul Robeson bereitet, die sie auf den Konzertpodien heimisch machten. Diesen spezifischen, angeraut melancholischen Spiritual-Klang greift der mit selbstbewusstem Ton singende Bassist auch in den sechs Nights Songs von Harrison Leslie Adams auf. Das umfangreichste Stück auf Roots, mit dem Stimmel, Sohn einer deutschen Mutter und eines afrikanischen Vaters, sich auf die Suche nach Musik schwarzer Komponisten gemacht hat, ist das knapp 20minütige Stabat Mater, das Julia Perry (1924-1979) 1951 ursprünglich für Mezzosopran und Streichorchester geschrieben hatte, eine strenge neoklassizistische Komposition, die Stimmel mit ruhig und breit fließender und in allen Lagen, auch in der hier sehr geforderten Höhe, ausgeglichener Stimme singt.
Selbstverständlich hat auch die französische Sopranistin Sabine Devieilhe ein Anliegen. Den Visions ihrer Kollegin Véronique Gens lässt sie Mirages folgen: Spiegelungen. Ausgehend von ihrer Begeisterung für Delibes Lakmé stieß Devieilhe auf eine Galerie exotischer Frauen, „westliche Ohren dieser Zeit sind begierig auf klangvolle und poetische Reisen, mit Düften, die von weither kommen“. Da Messagers Madame Chrysanthème, deren Zirkadenwalzer Devieilhe mit Eleganz und Delikatesse singt, und Massenets Thais mit dem in diesem Recital etwas merkwürdigen von den Dienerinnen angekündigten Auftritt der Thais nicht ausreichen, ist Mirages letztlich ein Programm für Koloratursopran geworden, auf dem wir Ophelia (Berlioz und Thomas) ebenso begegnen wie Debussys Mélisande mit ihrem Lied zu Beginn des dritten Aktes. Im Mittelpunkt stehen die drei Nummern aus Lakmé, die Glöckchenarie, die Barkarole und die Sterbeszene der Lakmé, die zusammen mit den „Quatre Poèmes Hindous“ von Maurice Delage aus dem Kriegsjahr 1914 ein stimmungsvollen indischen Schwerpunkt abgeben. Devieilhe ist keine brillante bravouröse Kolorateuse, wie man sie für die Lakmé erwarten könnte, eher eine Lyrische mit Höhe, sicherlich eine bezaubernde Mélisande, eine edle Blanche, doch möglicherweise noch keine Lakmé für ein großes Haus. Sie singt feinsinnig, mit erlesenem Geschmack, mit leichtem Ansatz, quecksilbrigem Timbre. Die Lakmé-Ausschnitte sind tatsächlich am individuellsten geraten (sie hat die Partie mehrfach auf der Bühne gesungen), ansonsten klingen die bleichen Damen doch alle wie gerade aus der Klosterschule entlassen. Francois-Xavier Roth und Les Siècles sind galante Begleiter (Erato 0190295767723). Rolf Fath