In der Eröffnungsproduktion der diesjährigen Salzburger Festspiele sorgte Marianne Crebassa als Sesto in Mozarts Tito für Schlagzeilen in den internationalen Medien. Auf ihrem Debütalbum bei Erato/Warner mit dem Titel „Oh, Boy!“ finden sich dann auch all die bekannten Hosenrollen (Cherubino, Cecilio, Ramiro, Sesto). Nun legt die Firma eine ganz gegensätzliche Platte vor, welche die französische Mezzosopranistin unter dem Titel „Secrets“ mit bekannten mélodies präsentiert (0190296 768973). Sie hat sich in diesem Repertoire gegen eine stattliche Anzahl von Referenzaufnahmen zu behaupten (de los Angeles, Baker, Crespin, Valin etc.), bei denen die Sängerinnen zumeist vom Orchester begleitet werden. Crebassa aber hat in Fazil Say ihren Partner am Flügel, was natürlich ein ganz anderes Klangbild ergibt – weniger impressionistisch flirrend und schwebend, auch weniger geheimnisvoll. Aber der Dialog zwischen Stimme und Klavier scheint mir intimer zu sein. Und der zwischen der Sängerin und dem türkischen Pianisten wirkt sehr vertraut und einvernehmlich. Say ist auch Komponist und hat für Crebassa eine Ballade mit dem Titel „Gezi Park 3” geschrieben, die am Schluss des Programms zu hören ist. Das Stück hat er zum Gedenken an die Protestbewegung gegen die Zerstörung des Gezi Parks 2013 in Istanbul komponiert. Es ist von lamentierendem, psalmodierendem Charakter, steigert sich bis zum Aufschrei und bringt die tiefe Lage der Sängerin zu starker Wirkung.
Mit Debussys „3 chanson de Bilitis“ beginnt die CD, in denen die Solistin mit träumerischem Vortrag atmosphärische Stimmungen schafft. Die Stimme wirkt hier ganz und gar nicht androgyn, sondern ist von femininem Reiz. Auch in Ravels „Shéhérazade“ gelingen ihr feine Valeurs und subtile Nuancen in der oberen Region. In den „3 Mélodies“ von Debussy kann Crebassa die Stimme strömen lassen oder ganz verhaltene und getupfte Akzente setzen. Weniger bekannt ist der Zyklus „Mirages op. 113“ von Fauré, der 1919 entstand und vier Titel enthält. Sie fangen Bilder und Stimmungen aus der Natur ein, ob vom Schwan auf dem Wasser, Reflektionen auf den Wellen oder einem nächtlichen Garten. Vier mélodies von Duparc sind ernste oder elegische Stücke, in denen die Mezzosopranistin noch einmal das ganze Farbspektrum ihrer Stimme ausbreiten kann.Bernd Hoppe