In einer schmucken Konfektschachtel hat Warner Classics unter dem Titel auf 13 CDs (0190295860134) wichtige Werke des Magdeburger Komponisten wieder veröffentlicht und dabei auch auf die im Übernahme- Archiv befindlichen Teldec-Aufnahmen aus den 1960er Jahren zurückgegriffen. Die Auswahl umfasst Orchesterwerke, Kammermusik und Vokalkompositionen. Letztere befinden sich auf den CDs 11 bis 13 und bieten das „Singgedicht in vier Betrachtungen“ Der Tag des Gerichts sowie die Cantata TWV 20:41 Ino und das Intermezzo giocoso Pimpinone oder Die ungleiche Heyrath. Das Oratorium und die Kantate sind Alterswerke des Meisters, während sich in Pimpinone sein Sinn für humoristische Wirkungen verwirklicht. Siegmund Nimsgern singt die Titelrolle eloquent, mit gebührend harscher und polternder Stimme. Gekonnt ist der Wechsel zwischen seiner normalen Bassbaritonlage und dem Falsett. Uta Spreckelsen ist die munter plappernde und virtuos singende Vespetta. Mir ist ihr Ton zu lieblich – ein paar biestige Töne würden dem Charakter der Figur nicht schaden. Die Aufnahme wurde 1974 in Wien mit dem Ensemble Florilegium Musicum unter Hans Ludwig Hirsch eingespielt. Heute würde ein Dirigent der Alte-Musik-Szene dem Stück ein mehr federndes, swingendes Klangbild geben. Das auf der Aufnahme ist weich und rund, mutet aber etwas romantisch und patinös an.
Beim Tag des Gerichts verhält sich das anders, denn Nikolaus Harnoncourt steht am Pult des Concentus Musicus Wien und sorgt für ein energisches, plastisch artikuliertes Musizieren. Er sichert dem Werk aber auch Feierlichkeit und grandeur, wie sogleich in der Einleitung zur Ersten Betrachtung zu vernehmen ist. Großen Anteil am starken Eindruck der Einspielung hat der Monteverdi-Chor Hamburg (Jürgen Jürgens), der seine vielfältigen Aufgaben prononciert und klangvoll absolviert. Pompös breitet er den ersten Gesang „Der Herr kommt“ aus und verströmt festlichen Glanz in „Schallt, ihr hohen Jubellieder“ zu Beginn der Vierten Betrachtung. Während der Tenor Kurt Equiluz und der Bass Max van Egmond zur Stammbesetzung des österreichischen Dirigenten zählen, sind die Sopranistin Gertraud Landwehr-Herrman und die Altistin Cora Canne-Meijer weniger bekannt. Doch sie alle vier bilden ein stilistisch vorbildliches Quartett und weisen zudem auf das Alter der Aufnahmen hin.
Ergänzt wird die CD durch die Ino-Kantate mit Roberta Alexander als Solistin – auch sie ist auf Harnoncourts Besetzungslisten mehrfach anzutreffen und überzeugt durch die Verbindung von expressiver Gestaltung und der charaktervollen Schönheit ihres Soprans.
Die Anthologie wird eröffnet mit den Sechs Darmstädter Ouvertüren TWV 55 auf CD 1 und 2, wiederum unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt, der ein Pionier der Originalklangbewegung war. Sie basieren auf Telemanns engen Kontakten zu Musikern des großherzoglich hessischen Hofes. Während seiner Frankfurter Zeit von 1712 bis 21 nutzte der Komponist die räumliche Nähe zu Darmstadt, um von dort Musiker der renommierten Hofkapelle für seine Aufführungen zu verpflichten. In Darmstadt selbst war Telemanns Musik ein Hauptpfeiler des Repertoires – auch als der Komponist bereits nach Hamburg gegangen war.
Bei den auf drei CDs (3 bis 5) angeordneten Concerti teilen sich Harnoncourt mit dem CM sowie die Berliner Barock Solisten unter Rainer Kussmaul, die Alma Musica Amsterdam unter Lucy van Dael und The Saint Paul Chamber Orchestra unter Hugh Wolff in die Ausführung.
Ein Concerto bietet das Zusammenwirken von Instrumentalisten mit einem Ensemble aus Streichern und dem Generalbass. Telemann hat hinsichtlich der Fülle seiner Kompositionen (etwa 120 Konzerte sind überliefert) und der Vielfalt der eingesetzten Instrumente Bedeutendes für dieses Genre geschaffen. So vereint CD 3 vier Konzerte in verschiedener Besetzung – das erste für Flöte, Fagott, zwei Violinen und Viola, das zweite für vier Violinen, das dritte für zwei Hörner und Violinen, das vierte für drei Oboen, drei Violinen und Kontrabass. Telemann gelangen in diesen Kompositionen reizvolle Klangwirkungen, auch spannungsvolle Dissonanzen, die von Harnoncourt und seinem Ensemble dynamisch gut abgestuft und artikuliert ausgereizt werden. Bei den weiteren Concerti wirken als Solisten u. a. Emmanuel Pahud, Albrecht Mayer, Bernhard Forck und Rainer Kussmaul mit, so dass die Ausgabe den Bogen spannt bis in die gegenwärtige Konzertszene mit heutigen Interpreten.
CD 6 und 7 sind Auszügen aus der Tafelmusik vorbehalten, hier sind das Concerto Amsterdam und Frans Brüggen die Ausführenden. Damit wird verdienstvoller Weise ein weiterer renommierter Barockinterpret in die Anthologie eingegliedert. Der holländische Musiker hat nach seiner internationalen Karriere als bedeutender Blockflötist auch als Dirigent gewirkt, 1981 das Orchestra of the Eighteenth Century gegründet und eine Reihe von bedeutenden Einspielungen verantwortet. Dazu zählt auch diese der Tafelmusik mit ihren tänzerischen Effekten und dem rhythmischen Drive.
Die CDs 8 bis 10 sind kammermusikalischen Werken gewidmet und bringen Sechs Pariser Quartette TWV 43 mit dem Flötisten Wilbert Hazelzet und dem Ensemble Sonnerie sowie Trio-Sonaten & Quartette mit diversen Solisten.
Die Pariser Quartette für Traversflöte, Violine, Viola da gamba und Bc. waren zunächst vom Komponisten in Hamburg im Eigenverlag veröffentlicht, wurden 1736/37 von einem Verleger in Paris nachgedruckt, woraufhin Telemann in die französische Metropole reiste, um solche Raubkopien zu verhindern. Er veröffentlichte dort sechs Nouveaux Quators, was später zur Eingliederung dieser insgesamt zwölf Stücke in den Werkkanon als Pariser Quartette führte. In ihnen vermischen sich französische und italienische Stilelemente. Die häufig vorkommende Satzfolge schnell-langsam-schnell entspricht dem Vorbild Vivaldis in seinen Konzerten. Telemanns Liebe zur französischen Musik spiegelt sich in den Tanzelementen und Suitensätzen (Menuet, Gigue, Courante, Air) wider. Die 1978 und 81 eingespielten Werke mit renommierten Barock-Spezialisten wie Alice Harnoncourt und Bob van Asperen sind in ihrer stilistischen Kompetenz wichtige Zeugnisse zeitlos gültiger Interpretationen. Die Warner-Ausgabe verschafft einen umfassenden Überblick von bedeutenden Telemann-Dokumenten der vergangenen fünf Jahrzehnte und bietet dem Musikfreund die Gelegenheit, sich mit dem riesigen Werk des Magdeburger Meisters in diversen Genres und Interpretationen zu befassen. Bernd Hoppe
Leider ohne jede Produktions-Jahre-Angaben und in der Auswahl doch recht willkührlich gibt es bei Hänssler Profil eine 8-CD-Wiederaufbereitung geistlicher Werke Telemanns, weitgehend Aufnahmen unter Ulrich Stölzel mit dem Collegium Vocale Siegen und dem Trompeten Consort Friedemann Immer (Kantaten und Oden) und den Solisten Mechthild Georg, Andreas Post, Albrecht Pohl, Dagmar Linde, Max Ciolek, Achim Ruck, Raimund Nolte, Miriam Feuersinger, Franz Vitzthum, Klaus Mertens, Stefanie Wüst, Angela Froemer, Georg Poplutz, Jens Hamann, Monika Mauch, Ralf Popken, Andreas Post, Konstanze Maxsein, und andere mehr, diese in Einspielungen von 2010 bis 2014 und bereits mehrfach veröffentlicht, auch bei Brilliant. Die Matthäus-Passion von 1746 ist die von 1995 mit Barbara Schlick, Claudia Schubert, Wilfried Jochens, Stefan Dörr, Hans-Georg Wimmer und Achim Rück, erneut unter Ulrich Stölzel. Den Abschluss macht René Jacobs, auch singend, am Pult der Akademie für Alte Musik Berlin in weiteren Kantaten (u. a. Die Einsamkeit, Tirsis am Scheidewege sowie Nach Finsternis und Todesschatten) (8 CD PH 17014). S. L.