In diesem Jahr 2016 hätte der argentinische Komponist Alberto Ginastera seinen hundertsten Geburtstag feiern können, ein Anlass für Warner Classics, drei Aufnahmen aus verschiedenen Jahren und mit unterschiedlichen Solisten, aber stets dem Santa Barbara Symphony unter Gisèle Ben-Dor auf den Markt zu bringen. Sie zeichnen die Entwicklung seines musikalischen Stils vom Volksliedhaften zum Neo-Expressionismus nach und erfüllten dem damals (2011 und 2014) Noch-Tenor und Schon-Bariton Plácido Domingo den Wunsch, eine Partie, die des Don Rodrigo aus der gleichnamigen Oper zumindest in Ausschnitten noch einmal zu singen; sie war eine seiner ersten 1966 in der New York City Opera gewesen. Der dritte Teil der einstündigen CD ist die Vertonung von Briefen Kafkas an seine ebenso wie er später an Tuberkulose verstorbene, verheiratete Freundin Milena, deren Antworten verloren gegangen sind, die aber, obwohl aus männlicher Feder stammend, von einem Sopran interpretiert werden. Sie werden in Spanisch gesungen, das Libretto enthält aber eine Zurückübersetzung in die ursprüngliche deutsche Sprache.
Die eigentlich für Solostimme und Klavier komponierten Cincos Canciones Populares Argentinas wurden in der Orchestrierung von Shimon Cohen 2002 mit Ana Maria Martinez aufgenommen. Der Sopran klingt frisch und fein flirrend in Chacarera, weiß sich in Triste in schöner Ausgewogenheit zwischen Volks- und Kunstliedhaftem auszudrücken und mit Schwelltönen zu imponieren. In Zamba beweist die Martinez viel Sinn für Rhythmus, schlicht und innig wird das Wiegenlied Arroró gesungen, während der Sopran in Gato zunächst etwas in dem harten Stampfen der Orchesterklänge unterzugehen droht, sich aber zunehmend zu behaupten weiß.
Kompliziert ist die Aufnahmegeschichte der beiden Rodrigo-Szenen, die Domingo nicht nur in unterschiedlichen Jahren und auf verschiedenen Kontinenten sang, sondern deren Sopranpart bereits Jahre vorher (2008) aufgenommen wurde. So stammt der von Virginia Tola herrührende Anteil an den Duetten vielleicht von der Aufnahme mit einem anderen Tenor, aber darüber schweigt sich das Booklet aus. Die beiden Szenen mit den Titeln Die Schandtat und Das Wunder schildern die Vergewaltigung der Florinda durch Rodrigo und dessen Todesszene, die ihm die Vergebung seines Opfers bringt. Die Szene wechselt zwischen Sprechgesang und Gesang, von ihrer Seite schmal und sanft vorgetragen, von der seinen mit knapper Höhe und zum Höhe- und Schlusspunkt der Schandtat eher ein friedliches Vergehen als lustvolles Triumphieren. Die zweite Szene lässt ein durchaus noch eindeutiges Tenortimbre hören, aber auch eine gefährdete Höhe nicht überhören. Das selige Verlöschen allerdings kann den Hörer von den interpretatorischen Fähigkeiten des Sängers durchaus überzeugen.
Auch die einzelnen Briefe Kafkas sind mit Titeln versehen, die ihren Inhalt vorwegnehmen. Virginia Tola singt De los fantasmas verinnerlicht bis zur Unhörbarkeit, nach dem dräuenden Orchestervorspiel zu Del amor findet sie zu wärmeren, runderen Tönen, um in De los suenos in wildem Sprechgesang singend eher leidenschaftlich spanisch als melancholisch böhmisch zu klingen, was natürlich der Komponist zu verantworten hat. Wieder gesungen wird De las cartas, teilweise die Stimme im Orchesterklang aufgehen lassend, teils sich ihm entgegen stellend und alles mit einer Endlosfermate krönend. Sparsam untermalt das Orchester De celos y desesperanzas, letzte Dinge schließlich führen zu einem sanften Ausklang in Del infinito (CD Warner classics 0825646868308). Ingrid Wanja