Opernhaft-Seltenes

Wie wenige kennen heute noch Musik von Saverio Mercadante (1795-1870). Als Konzertkomponist hat nur das Flötenkonzert in e-Moll eine gewisse Popularität behalten. Mit seinen Opern (ca 60 finden sich im Werkverzeichnis) war Mercadante zu seiner Zeit schnell erfolgreich, seine 1821 in der Mailänder Scala aufgeführte Oper Elisa e Claudio kam innerhalb eines Jahres 58 mal zur Aufführung und bescherte ihm europäische Aufmerksamkeit und Aufenthalte in London, Paris, Barcelona und Madrid. 1831 übernahm er als Maestro di cappella die Kathedrale von Novara im Piemont und komponierte Musik für den liturgischen Gebrauch bevor er dann die Musikkonservatorien von Bologna und ab 1840 von Neapel leitete, wo er bis zu seinem Tod 30 Jahre später Direktor blieb. Das verdienstvolle italienische Label Bongiovanni widmet ihm nun als Komponisten von Kirchenmusik seine Aufmerksamkeit. Die hier vorliegende Ersteinspielung der Messa a grande orchestra per quattro voci wurde durch Zufall in den Archiven der Diözese von Molfetta gefunden. Belegt ist eine Aufführung 1828 in Foggia – ob als Auftragswerk oder Nachspielung ist unklar. Die CD-Aufnahme erfolgte im Juli 2014 in der Chiesa della Misericordia in Foggia und belegt, dass Mercadante auch als Kirchenmusiker gerne Opernkomponist blieb: Die orchestrale Einleitung zum Gloria erinnert an Rossini, das Gratias agimus tibi an Donizetti. Zu hören sind opernhafte Arien, bei denen die Stimmen durch Einzelinstrumente kontrastiert werden und unmittelbare Belcanto-Assoziationen geweckt werden. Aber Mercadante kann auch anders: Im Kyrie eleison dominiert der Chor und erinnert an klassische Vorbilder nördlich der Alpen, das innige und schöne Qui tollis peccata mundi für vier Einzelsänger verzichtet ebenfalls auf opernhafte Momente. Will man diese Messe in einen zeitgeschichtlichen Kontext stellen, bietet sich zum Vergleich die 1828 komponierte und 1829 uraufgeführte Messe in Es-Dur D950 von Franz Schubert an, die im Gesamtausdruck allerdings unmittelbarer, tiefer und überzeugender trifft. Ergänzend ist ein a-capella-Werk Mercadantes auf der CD: das Requiem breve a quattro voci senza accompagnamento, zu dem sich das Beiheft ausschweigt. Es scheint 1836 während seiner Tätigkeit in Novara entstanden zu sein. Ein Werk mit gregorianischen Anklängen, das weit mehr als die Messa a grande orchestra Kirchenmusik ist und liturgische Normen befolgt und für den liturgischen Alltag geschaffen ist. Mercadante konnte auch dies. Eine CD, die zeigt, wie vielfältig das Schaffen des Komponisten war.
Musikalisch und sängerisch ist hier eine engagierte und schöne Einspielung gelungen: das Sängerquartett aus Sopran Annarita di Giovine Ardito, Mezzosopran Angela Bonfitto, Tenor Vincenzo di Donato und Bassist Matteo d’Appolito sowie Orchester und Chor der Capella Musicale Iconavetere unter Dirigent Agostino Ruscillo spielen und singen überzeugend. Ein gelungener Baustein  Bongiovannis, bei der Mercadante wieder und auf andere Weise neu entdeckt werden kann.  (Label: Bongiovanni, GB2471-2). Marcus Budwitius

Auf youtube kann man sich eine italienische Einführung des Dirigenten Agostino Ruscillo anhören, der auch den Autographen der Messe transkribierte.