Francesco Cavalli – der bedeutendste venezianische Komponist in der Mitte des 17. Jahrhunderts und Schüler Monteverdis – schuf ca. 30 seiner 42 Opern für Venedig. Die seit 1637 bestehende venezianische Oper – das Teatro San Cassiano – war nicht höfisch, sondern kommerziell. Jedermann konnte gegen Eintrittsgeld das Spektakel besuchen. Es ging ums Geld – das Orchester wurde kleiner: Streicher, Laute, Theorbe und Cembalo. Es war keine prunkvolle Besetzung, umso erstaunlicher was Cavalli daraus an stimmungsvoller Begleitung schuf.
L’Ormindo (1644) und Giasone (1649) liegen nur wenige Jahre auseinander und folgten der in Venedig uraufgeführten L’Incoronazione die Poppea (1642) von Monteverdi. Typisch für die Zeit sind Verwechslungs- und Verschwörungsopern, bei denen die Helden von komischen Nebenfiguren kontrastiert werden (in Giasone darf ein Sänger stottern) und die mit einem lieto fine enden: in beiden Opern finden die glücklichen Paare zueinander. L’Ormindo ist nun (nach der bahnbrechenden, wenngleich stilistisch anfechtbaren Aufnahme aus Glyndebourne bei Decca mit Janet Baker) bei Pan Classics neu aufgelegt worden und immer noch erstaunlich. Die französische Studioproduktion aus dem Jahre 2006 engagierte zehn Sänger und neun Musiker. Jérôme Correas leitet vom Cembalo aus das kleine Ensemble Les Paladins, das sich in der Summe aus fünf Streichern, Harfe, Theorbe und zwei Cembalisten (inklusive Orgel) zusammensetzt. Das klingt und ist etwas karg, entwickelt aber beim Zuhören seine Reize durch eine dezente gehaltene, aber lebendige Aufführung der unterschiedlichen Stimmungen zwischen Pathos und Komik, Liebe und Verzweiflung. Das Hauptgewicht liegt dennoch auf den Sängern, die vor allem artikulatorisch gefordert sind. Für den kurzen Prolog hatte man Sandrine Piau verpflichtet, die eine sehr gute und homogene Besetzung anführt, aus der man die beiden Soprane Stéphanie Révidat als Erisbe und Magali Léger als Sicle sowie den Tenor Howard Crook als Amida hervorheben kann. Eine der beeindruckendsten Szene findet sich gegen Ende: Das Liebespaar Ormindo (gesungen vom Countertenor Martin Oro) und Erisbe nimmt Abschied und trinkt gemeinsam Gift, das sich allerdings dann als Schlaftrunk herausstellt. Monteverdis Kunst des Lamento stand hier als Vorbild. Das Booklet enthält eine deutsche Zusammenfassung und das Libretto in Italienisch und Englisch. Eine puristische Referenzaufnahme (mit Sandrine Piau (L’Armonia), Martin Oro (Ormindo), Stéphanie Révidat (Erisbe), Howard Crook (Amida, Magali Léger (Sicle), Jean-François Lombard (Erice), Jacques Bona (Hariadeno), Karine Deshayes (Mirinda), Dominique Visse (Nerillo), Benoît Arnould (Osmano), Les Paladins, Jérôme Correas (Dirigent); Pan Classics, 2 CDs,PC10330).
Cavallis Giasone – der Jason der Argonautensage – ist die vielleicht erfolgreichste italienische Oper des 17. Jahrhunderts. Über 40 Jahre lang wurde sie nach der Uraufführung im Karneval 1649 gespielt und mehrfach für andere Bühnen bearbeitet. René Jacobs spielte sie 1988 für dhm ebenfalls beispielhaft ein. Beim italienische Label Bongiovanni ist 2014 eine prominente Bearbeitung erschienen. Die hier vorliegende Aufnahme von Il novello Giasone wurde 1671 ein großer Erfolg in Roms erstem kommerziellen Opernhaus, dem Teatro Tordinona. Papst Clemens X. tolerierte sogar Sängerinnen auf der Bühne, sein Nachfolger Innozenz XI. schloss dann das Theater 1676 für 15 Jahre. Il novello Giasone wurde deutlich verändert – Alessandro Stradella bearbeitete Cavallis Werk und komponierte neue Musik hinzu, ein Librettist ergänzte den Text, schrieb neue Arien, erweiterte den Prolog und fügte ein Zwischenspiel sowie eine Tanzszene ein. Diese Version wurde nach über 300 Jahren im Sommer 2011 erstmals wieder szenisch beim Valle d’Itria Festival im Teatro Verdi in Martina Franca aufgeführt und live mitgeschnitten. Die 18 Sänger werden von zehn Musikern begleitet, darunter nun auch Flöte und Kornett für mehr instrumentale Abwechslung. Der Live-Charakter verleiht dieser Aufnahme dabei einen zusätzlichen Schwung und Lebendigkeit, aber auch eine weniger klare Akustik. Die Hauptrollen sind dabei überwiegend sehr gut besetzt, im Gegensatz zum obigen L’Ormindo wird vieles stimmlich intensiver und artikulatorisch dramatischer gestaltet. Das Booklet schlüsselt sehr knapp die Unterschiede der Stradella-Bearbeitung auf und enthält eine Zusammenfassung und das komplette Libretto in Italienisch und Englisch. Eine interessante Rarität für Liebhaber (mit Borja Quiza (Giasone), Aurora Tirotta (Medea), Roberta Mameli (Isifele), Mirko Guadagnini (Egeo), Luigi De Donato (Besso), Paolo Lopez (Delfa), Luca Tittoto (Oreste), Gaia Petrone (Alinda), Masashi Mori (Ercole), Krystian Adam (Demo), Pavol Kuban (Volano), Maria Luisa Casali (Sole), Gabriella Costa (Musica), Giuseppina Bridelli (Poesia), Gaia Petrone (Pittura), Krystian Adam (Architettura), Pavol Kuban (Satiro), Giuseppina Bridelli (Amore)
OIDI Festival Baroque Ensemble, ; Antonio Greco (Dirigent); Bongiovanni (3 CDs), GB2464/66-2).
Marcus Budwitius