Opernliebe nennt sich ein dickleibiges Buch von Iso Camartin mt dem Untertitel Ein Buch für Enthusiasten. Gemeint ist sowohl die Liebe zur Oper als die Liebe, die schließlich das Thema der meisten Opern ist. Die Zielgruppe des Autors sind nicht die Opernexperten, sondern diejenigen, die Opern lieben oder bereit sind, es zu lernen, und es ist gut, dass er diese Einschränkung gleich zu Beginn macht.
Das Buch gliedert sich nach Epochen, beginnend mit der Spätrenaissance und endend mit Richard Strauss. Dazwischen wird nach Komponisten wie Mozart oder nach Kunstepochen wie dem Verismo oder geographisch, so die slawische Opernliteratur, gegliedert. Die einzelnen Kapitel begründen die jeweilige Auswahl aus dem umfangreichen Material, befassen sich mit den Quellen für die Libretti, mit dem jeweiligen Entstehungsprozess, der Wirkung und selten weisen sie auf besonders lobenswerte Interpreten hin. Den meisten Raum, und deshalb ist das Buch eher etwas für Opernneulinge, nimmt eine umfangreiche, wenn auch meistens auf die Liebesgeschichte beschränkte Inhaltsangabe der jeweiligen Oper ein. Bei diesen essayistischen Ausführungen spürt man in jedem Satz die Begeisterung des Autors für sein Sujet, den Wunsch, Oper dem Leser recht nahe zu bringen. Im Barock-Kapitel wird über die unterschiedlichen Arten von Liebe berichtet, über die historischen Bedingungen für das Musikwesen, im Mozart-Kapitel findet der Leser eine kleine Psychologie der Liebe. Interessant ist die Sichtweise, die Camartin auf Donna Anna hat, streiten könnte man mit ihm darüber, ob in Fidelio ein Beispiel romantischer Liebe zu finden ist.
Im Kapitel über die französische Oper hätte es sich angeboten, die Auffassung von Liebe im Vergleich zwischen deutschem Stoff in romanischer Vertonung zu untersuchen, aber leider bleibt der Autor oft bei einer reinen Beschreibung des Phänomens stehen. Auch hätte man gern mehr darüber erfahren, welchen Einfluss Gesellschaftliches und daraus erwachsendes Ideologisches auf die jeweilige Auffassung von Liebe genommen haben. Weniger als auf das Libretto geht der Autor auf die Musik ein, wo es doch interessant gewesen wäre, zu erfahren, welche Instrumente, welche Tonarten usw. bevorzugt in bestimmten Epochen der Schilderung von Liebe angemessen erschienen. Im Vorwort liest man zwar: “Wie sieht die Liebe aus, wenn sie nicht im Leben, sondern auf der Opernbühne ihre Gestaltung findet?“, doch davon ist weniger die Rede als man erwarten könnte. Man freut sich auch darauf zu lesen, „wie die Musik diese Liebesbotschaft umsetzt“, wird dann aber doch oft enttäuscht, weil mit dem Verfasser die Plauderlust über das Geschehen selbst durchgeht. Im Vorwort wird auch die menschliche Stimme als drittes wesentliches Element der Oper angegeben, über dieses Thema hätte man gern mehr erfahren, als dann tatsächlich zu lesen ist.
Als „Sonderfall der Operngeschichte“ der Operngeschichte bezeichnet Camartin Richard Wagner und weiß das auch eindrucksvoll zu begründen. „Erlösungswahn durch Liebe“ nennt er das Programm des Komponisten und geht dabei auf Senta und Elisabeth ein, später auch noch auf den „Liebestod“ als „Vollendung“ der „Liebe auf Erden“. In diesem Kapitel wird weit über eine Nacherzählung hinausgegangen, deutlich gemacht, dass sich Frauen zwar auch in anderen Opern opfern, aber Liù, Tosca oder Trovatore-Leonore, um das Leben des Geliebten zu retten, um das Seelenheil geht es dabei nicht. Auch über die Meistersinger weiß der Autor sehr viel mehr und auf einem anderen Niveau zu berichten als in anderen Kapiteln.
„Liebe in russischen und tschechischen Opern“ ist eine heikle Kapitelüberschrift, denn diese lässt sich wohl kaum unter einen thematischen Hut bringen, denkt man nur daran, Tatjana, Jenufa, Katahrina Ismailova und Marina miteinander vergleichen zu wollen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass das Buch einem der Oper positiv Gegenübestehenden, der sie gern näher kennen lernen möchte, viel Interessantes bietet, nicht ganz die Erwartungen erfüllt, die das Thema weckt, insgesamt aber dem Neuling hilft, in das Reich der Oper wissend einzutreten, dem Kenner immerhin einige Anregungen offeriert (385 Seiten; Beck Verlag; ISBN 978 3 406 65964 5)
Ingrid Wanja