Festspieldokument und Verdi-Ehrung

Zu den Initiativen der Salzburger Festspiele im Verdi-Jahr 2013 gehörte neben einer Neuinszenierung seines Don Carlos auch eine konzertante Aufführung des Frühwerkes Giovanna d’Arco. Bei der DG ist nun der Live-Mitschnitt aus der Felsenreitschule auf zwei CD mit einem mehrsprachigen Booklet erschienen. Auf den Spielplänen der Opernhäuser ist das Stück eine Rarität – dies der eine Grund für das starke Publikumsinteresse. Der zweite war die hochkarätige Besetzung, in der alle Protagonisten ihre Rollendebüts gaben. Mit der Titelpartie hat sich Anna Netrebko  eine neue Verdi-Heroine erarbeitet, die der Trovatore-Leonora im Herbst desselben Jahres an der Berliner Staatsoper vorausging und quasi eine Vorbereitung dafür darstellte. Die Stimme ist nun reifer und nachgedunkelt, besitzt aber große Autorität, die bereits im ersten Rezitativ zu bemerken ist. Die folgende Kavatine, „Sempre all’alba“, formt sie mit Inbrunst, Emphase und Entschlossenheit. Diese Aspekte finden sich auch im rhythmisch drängenden, rasanten Finalduett des Prologo mit Carlo, „Son guerriera“, wieder. Die pastorale Romanze der Titelheldin im 1. Akt, „O fatidica foresta“, malt sie träumerisch und visionär, räumt ihr eine angemessene Stellung als lyrische Insel im Werk ein. Im Duett mit Carlo schwingt sich die  Stimme kantabel und hymnisch auf; neben ihr steigert sich auch der Tenor zu einer seiner besten Szenen. Mit großer Innigkeit singt sie das Duett mit ihrem Vater im letzten Akt, das stilistisch in der Nähe der Luisa Miller steht, deren Titelrolle möglicherweise nicht mehr auf der Wunschliste der Sopranistin steht, nachdem sie bereits die Lady Macbeth in ihr Repertoire aufgenommen hat. Insgesamt ist Netrebko mehr die emanzipiert-kriegerische denn die verletzliche Jungfrau und setzt damit einen Gegenentwurf zu Erminia Frezzolini, die die Partie 1845 an der Scala kreiert hatte und eher eine lyrisch-zarte Stimme besaß.

In der Referenzaufnahme von Verdis Dramma lirico mit Montserrat Caballé unter James Levine bei der EMI von 1973 hatte Plácido Domingo die Tenorpartie des Carlo VII, König von Frankreich, gesungen. Hier nun gibt er Giovannas Vater Giacomo, also die Baritonrolle und eroberte sich damit eine weitere Figur in diesem Fach. Er beginnt bei „Gelo, terror m’invade“ mit gequältem, knarzigem und tremolierendem Ton, was sich bei „Franco son io“ im 1. Akt – trotz einiger gefälliger Momente in der oberen Mittellage – fortsetzt. Gänzlich scheitert er an der Romanze im 2. Akt, weil die Stimme nicht mehr in der Lage ist, eine Kantilene zu formen, brüchig und verbraucht klingt. Für seine stretta-artige Passage im Finale III fehlen ihm Kraft und Aplomb – ein bedenklicher Auftritt, der vom Festspielpublikum dennoch heftig bejubelt wird.

Den Tenor singt nun Francesco Meli, der vor Jahren in lyrischen Rossini-Partien beim Festival in Pesaro positiv auffiel, aber schnell ins dramatischere spinto-Fach wechselte, was der Stimme ihren Schmelz genommen hat. Seine Auftrittsszene „Sotto una quercia parvemi“ klingt unruhig und lässt in der Höhe bereits arg gestresste Töne hören. Der folgenden Cabaletta „Pondo è letal“ mangelt es an Souveränität und Mühelosigkeit im Vortrag. Seine lyrische Romanze im letzten Akt gelingt ihm wegen ihrer bequemen Lage ansprechend. In der kleineren Partie des Talbot, Oberbefehlshaber der englischen Armee, hinterlässt der junge Bass Roberto Tagliavini, auf dem Weg nach oben, erneut einen sehr vorteilhaften Eindruck.

Mit aufgewühltem Streicher-Tremolo eröffnet Paolo Carignani mit dem Münchner Rundfunkorchester den Prologo und steigert diese Erregung mit heftigen fortissimo-Schlägen des gesamten Orchesters. Der Dirigent sorgt stets für Spannung, gibt Verdis Komposition aus seinen „Galeerenjahren“ stürmischen Drang, rhythmische Brisanz, Brio und kantables Ausschwingen. Vielfach beschäftigt ist der Chor mit patriotischen Gesängen (so gleich im Prologo das „Maledetti cui spinge rea voglia“ oder die Einleitung zum 2. Akt, „Dal cielo a noi chi viene“), und der Philharmonia Chor Wien/Einstudierung: Walter Zeh hat dafür den großen Atem und die drängende Emphase.

Bernd Hoppe

 

Giuseppe Verdi: Giovanna d’Arco mit Netrebko, Domingo, Meli, Dunz,, R. Tagliavini; Philharmonia Chor Wien, Münchner Rundfunkorchester, Paolo Carignani;  DG 479 2712