Als Ehrung zum Verdi-Jahr 2013 brachten die Salzburger Festspiele eine Neuinszenierung des Don Carlo heraus, die sich wegen der seltenen fünfaktigen italienischen Fassung und einer illustren Sängerbesetzung als Attraktion des Festspielsommers erwies. Der Cast wurde angeführt von Jonas Kaufmann in der Titelrolle, dessen Partien auf der Opernbühne seit geraumer Zeit auf DVD dokumentiert werden. Hier ist es die SONY, die aus der Generalprobe und einigen Aufführungen zwischen dem 13. und 19. August einen Zusammenschnitt auf zwei Scheiben veröffentlicht (88843005769). Der baritonal klingende, kehlige Tenor hat seine Meriten im forte – so hört man in der Szene mit Filippo im Gefängnis Töne von überwältigender erzener Kraft. Aber sein piano bleibt oft verhaucht, im Schlussduett mit Elisabetta sogar fast tonlos. Darstellerisch wirkt er – bei aller optischen Attraktivität – gemäß dem Charakter der Figur verhalten. Einige unvermittelt hektische oder infantil wirkende Gesten sollen auf das neurotische Wesen des Infanten hindeuten, doch wird dieser Aspekt von der Regie nicht konsequent entwickelt. Anja Harteros ist eine Elisabetta von aristokratischer Erscheinung und rassiger Schönheit in hinreißenden Gewändern von Annamaria Heinreich, allerdings affektiert-geziertem Spiel im 1. Akt. Der noble und kostbar timbrierte Sopran lässt in der Mittellage einige herbe Töne vernehmen, entfaltet sich erst in den hohen Aufschwüngen, den warm leuchtenden Spitzennoten zu der bekannten Ausnahmequalität. Wirklich himmlisch ist ihr Gesang im Schlussduett mit sehnsuchtsvollen piani und entrückt-verklärtem Ausdruck. Mit diesen beiden Stars kann nur Ekaterina Semenchuk als Eboli einigermaßen mithalten, wenn ihre Ausstrahlung auch recht bieder bleibt und das Timbre ihres Mezzos keine wirkliche Individualität besitzt. Ihr Gesang ist oftmals von behäbigem, der Leidenschaft entbehrendem Anstrich, die Canzone del velo ohne Raffinement, ihre Tiefe in der Gartenszene ohne wirkliche Substanz. Gesanglich am besten gelingt ihr die große Arie – klangschön und doch leidenschaftlich, wenn auch in der unteren Lage etwas flach. Eric Halfvarson als Grande Inquisitore bietet eine akzeptable Leistung mit schwarzem, durchschlagendem Bass von urigem Klang. Darstellerisch wirkt er eher unfreiwillig komisch, was der Personenführung des Regisseurs anzulasten ist. Auf jeden Fall verströmt der amerikanische Sänger mehr vokale Autorität als der Interpret des Filippo – Matti Salminen, ein einstmals in dieser Rolle gefeierter Sänger, der jedoch mittlerweile dieser Partie nicht mehr gewachsen ist. Deutlich reduziert sind nun Volumen und Kraft seiner Stimme, die verquollen und im Kern nicht fokussiert klingt. Die große nächtliche Szene wird zum Offenbarungseid eines ramponierten Organs. Routiniert liefert Thomas Hampson den Posa ab, sein Bariton klingt entweder verhaucht oder in den dramatischen Ausbrüchen dröhnend. Nur in ganz wenigen Momenten – wie „A me il ferro“ – vernimmt man die geballte Energie, die von dieser Figur ausgehen müsste. Als Frate lässt Robert Lloyd einen überreifen, mulmigen Bass hören. Aufhorchen lässt Benjamin Bernheim mit seinem handfesten Tenor als Conte di Lerma, und auch Maria Celeng als Tebaldo sowie Kiandra Howarth als Voce dal cielo bieten solide Leistungen. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Einstudierung: Jörn Hinnerk Andresen) hinterlässt einen uneinheitlichen Eindruck – schwach im Chor der Holzfäller und ihrer Frauen im 1. Akt, sehr präsent dagegen im großen Autodafé. Auch die Wiener Philharmoniker unter Antonio Pappano bieten eine zwiespältige Interpretation dieser grandiosen Musik, in vielen Momenten nicht sehr sängerfreundlich, in anderen von überwältigender Schönheit mit raffinierten und sublimen instrumentalen Details.
Peter Stein liefert in seiner Inszenierung große Tableaus und Posen, Rampengesang und Standfiguren, Staffage und Leerlauf. Nicht inszeniert ist Carlos Flucht aus dem Gefängnis, die ja Voraussetzung für das letzte Treffen mit Elisabetta im Kloster San Yuste ist. Dort nimmt ihn am Ende der Frate alias Karl V. mit sich in sein Grab, was Elisabetta, Filippo und den Grande Inquisitore entseelt zu Boden sinken lässt. Die Bühne von Ferdinand Wögerbauer enttäuscht in ihrer simplen Anordnung, den wenig imposanten Versatzstücken. Im 1. Akt zeigt die graue Masse der Holzfäller in fahlem Licht das unter dem Kriegszustand und der Wetterunbill leidende Volk, was in der Atmosphäre fast russisch anmutet. Das Kloster sieht man als einen Arkadengang wie ein Segment aus der Felsenreitschule, in Ebolis Szene mit den Hofdamen ein grün schillerndes Bassin. Gelegentlich verkleinert der schwarze Vorhang den Bühnenausschnitt, was vor allem der Darstellung intimer Szenen – wie Filippos Kabinett oder dem Gefängnis – dient. Eine überraschend surrreale Magritte-Stimmung bringt das nächtliche Gartenbild mit Mond, bunten Lampions, Zelt und labyrinthartigen Gängen. Eine schwache Lösung bietet Stein für das Autodafé mit hölzerner Tribüne zur Linken sowie Projektionen von Wolken und Flammen an. Befremdlich in dieser Szene ist der Auftritt von ausländischen Gästen aus Asien, Afrika und Südamerika. Insgesamt ist die DVD-Veröffentlichung trotz der Einschränkungen ein geglücktes Korrektiv mancher nicht optimaler Vorstellung in der Salzburger Serie.
Bernd Hoppe