Vladimir Stoyanov wird von der Kritik als “Verdibariton par excellence” bezeichnet („uno dei più eccellenti baritoni dei nostri giorni“ schreibt das online-magazin ierioggidomaniopera) . Eleganz, scheinbar endlose Legatobögen, viel Ausdruck und ein sonores, sehr persönliches Timbre zeichnen die Stimme des bulgarischen Bariton aus. Zu Gast ist er an allen großen Bühnen, von der Mailänder Scala über die MET, Wiener Staatsoper, Zürich, Paris, Madrid bis zur Arena di Verona. Er ist auch in Deutschland kein Unbekannter und feierte unter anderem als Pêre Germont an der Bayerischen Staatsoper Erfolge, an der Berliner Staatsoper war er in der Titelpartie von Macbeth und als Gérard zu erleben. Nun steht ein wichtiges Rollendebüt an. Im Juli singt Stoyanov seinen ersten Carlo Gérard in Andrea Chénier, die erste Verismo-Opera im Repertoire des Künstlers, im Open-Air-Theater in Lajatico (Toscana). Andrea Bocelli wird in den beidenAufführungen sein Rollendebüt in der Titelpartie geben. Dieter Schaffensberger hat mit Vladimir Stoyanov unter anderem über die Partie des Gérard, seine Lieblingsrollen und seinen wichtigsten Lehrer, Nikola Ghiuselev, gesprochen.
Wie kamen Sie zum Gesang und zur Oper? Und wo haben Sie studiert? Ich kam erstmals mit Gesang in Berührung, als ich fünf Jahre alt war. In diesem Alter begann ich in meiner Heimatstadt in Bulgarien, im Kinderchor des dortigen Theaters zu singen. Meine Mutter erzählt, dass ich von klein auf tanzte und sang und mir Opern im Radio und Fernsehen ansah. Gleichzeitig zu den Erfahrungen im Kinderchor begann ich, Klavier und Musiktheorie zu lernen. Anschließend studierte ich an der Hochschule “Popkov” und schloss meine Ausbildung an der Musikakademie von Sofia “Pancho Vladigerov” ab. Mein formales Training endete mit einer Meisterklasse von Nikola Ghiuselev, der dann mein Lehrer und Mentor an der Boris Christoff Akademie in Rom wurde.
Was können Sie uns über den Anfang Ihrer Karriere in Bulgarien erzählen? Meine Arbeitserfahrungen in den Staatstheatern von Burgas und Plovidiv, Theater mit großer Tradition, waren nur kurz. Die ersten Jahre meiner Karriere in Bulgarien waren nicht einfach. Vielleicht wissen Ihre Leser ja, dass Bulgarien über eine großartige Gesangsschule verfügt, die international renommierte Namen wie Ghena Dimitrova, Boris Christoff, Nikola Ghiuselev (mein Lehrer), Raina Kabaivanska, Nikolai Ghiaurov, Anna Tomowa-Sintow, Elena Nikolai und viele andere hervorgebracht hat…
Als ich ein junger Mann war, galt es als undenkbar und verrückt auch nur davon zu träumen, es diesen “Heiligen” des Operngesangs gleichzutun. Meine Lehrer an der Akademie waren alle sehr streng. Ich hörte niemals einen von ihnen sagen: “Gut Vladimir, du kannst es schaffen!” Niemand gab mir diese Bestätigung… Bis ich Nikola Ghiuselev kennenlernte.
Ich traf ihn durch Zufall, in Sofia. Zu dieser Zeit war Ghiuselev auf dem Höhepunkt einer internationalen Karriere und kehrte selten nach Bulgarien zurück. Ich hatte von einem Freund an der Akademie gehört, dass er junge Sänger vorsingen ließ. Mein Schicksal änderte sich in diesem Moment. Die Größe dieses Mannes hat mein ganzes künstlerisches und persönliches Leben zutiefst geprägt. Abgesehen davon, dass er ein großartiger Lehrer war, wurde er ein guter Freund für mich. Es ist unmöglich, diesen Mann in ein paar Sätzen in einem Interview zu beschreiben. Sein Charisma, seine Eleganz, seine Geduld und seine technische Vorbereitung waren von fundamentaler Wichtigkeit für mich. Leider verstarb er im Jahr 2014. Das war ein großer Verlust für mich und ich vermisse ihn sehr.
Eine Produktion von Macbeth am Teatro San Carlo von Neapel war elementar wichtig für die Entwicklung Ihrer Karriere. Wie kam es zu diesem bedeutsamen Engagement zu Beginn Ihrer Karriere? Ich hätte mir als junger Mann nicht im Traum vorstellen können, eine Vorstellung an einem Theater wie dem San Carlo in Neapel, oder an der Scala, in Wien, Berlin, an der Met usw. als Zuschauer zu sehen. Der Traum, dort sogar auftreten zu dürfen, wurde – einem ganz normalen Vorsingen sei Dank – wahr. Man glaubte an mich und vertraute mir eine wichtige Baritonpartie wie den Macbeth an. Dafür werde ich immer dankbar sein. Ich arbeitete sehr hart, um mich auf dieses Debüt vorzubereiten.
Wie wichtig ist Italien für Ihre Karriere? Mein Debüt am Teatro San Carlo in Neapel war einer der schönsten und wichtigsten Momente meines Lebens. In Italien zu singen ist der Traum eines jeden Opernsängers. Italien ist der Ort, an dem der Belcanto geboren wurde. Man hat Oper und Gesang dort in den Genen. Es war wichtig für mich, dort als Verdisänger wahrgenommen zu werden. Das gab mir viel Mut und Selbstvertrauen für die Zukunft. Das ist wie Wagnerrepertoire zu singen und dann Erfolge in Bayreuth zu feiern. Es fühlt sich einfach gut an.
Erinnern Sie sich an den Moment, als Sie zu sich gesagt haben: “Ich glaube, ich habe es geschafft”? Ich finde, man kann in einer Karriere nie sagen: “Es ist vollbracht!”. Singen heißt immer zu versuchen, sich zu verbessern, verschiedene Charaktere zu vertiefen, Rollen technisch weiterzuentwickeln. Aber ich habe mir persönliche Ziele gesetzt. Lassen Sie mich das erklären. Ich hatte entschieden, nicht als Rigoletto zu debütieren, bevor ich 40 wurde. Es war nicht so, dass ich keine Angebote für diese Rolle bekommen hätte… Aber für den Rigoletto, ein Meilenstein für einen jeden Bariton, wollte ich das so. Mir gefällt es, fast schon über meine Rollen zu meditieren, über Details nachzudenken. Meinen Job möchte ich mit Seriosität und Geduld machen. Jedenfalls dachte ich mir bei Rigoletto: “Wenn du diese Rolle gut machen kannst, dann kannst du vielleicht sagen: Ich bin ein Sänger”. Und das ist die Antwort auf Ihre Frage.
Ihre drei Lieblingsrollen? Ich liebe alle meine Rollen! Aber wenn ich drei auswählen müsste, würde ich sagen: Rigoletto, Macbeth und Vater Germont. Ich liebe Rigoletto, weil das eine Rolle ist, die viele Möglichkeiten, sich auszudrücken eröffnet. Wie Verdi erklärte: “Hier haben wir einen Charakter, der zu den großartigsten gehört, den man im Theater sehen kann.“ Rigoletto ist ein unglücklicher Mann, der tausend Facetten hat. Am Anfang ist er zynisch, bösartig, herrisch, korrupt. Dann gibt es zugleich noch seine zarte Seite. Die obsessive Liebe zu seiner einzigen Tochter Gilda, die Geschichte seiner Schwäche, seines Schmerzes, seiner Einsamkeit, die von wunderbaren Melodien begleitet wird. Obwohl sich Rigoletto größte Mühe gibt, seine Tochter von der Welt da draußen abzuschirmen, hat sie den Duca getroffen und sich in ihn verliebt. Als die Männer von Duca Gilda entführen, ist Rigoletto am Boden zerstört. Dann ist da noch ein mystischer Aspekt. Der Fluch. Dieser wird zu einer Obsession für Rigoletto. Er versucht, dem Schicksal mit allen Mitteln zu entfliehen, aber am Ende wird zu verstehen gegeben, dass niemand seinem Schicksal entkommen kann. Er konnte Monterones Fluch nicht entkommen und seine geliebte Tochter retten. Rigoletto ist ein Charakter, den man zur selben Zeit liebt und hasst. Man hasst ihn für die Boshaftigkeit, zu der er fähig ist. Und man liebt ihn, weil er ein liebevoller Vater ist, der seine Tochter ungemein liebt. Und… Was soll man zur Musik sagen?!? Es handelt sich um himmlische Musik, die fähig ist, jeden Menschen zu berühren. Verdi wusste, wie man die Herzen erreicht.
Was soll ich zu Macbeth sagen? Auch diese Rolle liebe ich sehr. Verdi wollte den emotionalen Realismus in seinen Opern unterstreichen, und Macbeth ist ein großartiges Beispiel hierfür. Der moralisch ambige Macbeth wird in diesem Fall einem Bariton anvertraut. Baritonrollen können loyal oder heimtückisch sein, die besten Charaktere auf der Bühne oder die schlimmsten. Verdi war in der Lage, all das aus der Baritonstimme zu machen. Diese Stimmlage ist perfekt für Macbeths schwankenden Charakter, der sehr reich an Nuancen ist, musikalisch wie szenisch. Hier ist Macbeth auch ein König, ein Mann der Macht, aber im selben Moment ein Opfer seiner selbst und seiner Frau. Wieder sind mystische Elemente und das Schicksal präsent. Vorhersagen, Hexen, Flüche. Ich genieße es wirklich sehr, diese Art von Rollen zu spielen.
Und dann hatte ich noch Vater Germont genannt, der sehr anders als Rigoletto und Macbeth ist, den ich aber nicht weniger liebe! Verdis Art und Weise, den Konflikt zwischen Germonts bürgerlichen Empfindsamkeiten und seine Sympathie für Violetta musikalisch zu behandeln, ist eine elementare Komponente des Stücks, und für die Entwicklung einer erweiterten Vaterrolle. Indem er die Rolle des Vaters erweiterte, schuf Verdi ein Sopran-Tenor-Bariton Dreieck von Hauptrollen. Der böse Bariton versucht, die Liebesgeschichte zwischen Sopran und Tenor zu verhindern (lacht). Ich liebe diese Rolle wirklich sehr, sie ist wunderbar und ich singe sie immer mit großer Freude.
Eine Rolle, die Sie gesungen haben, aber nie wieder singen werden, und warum. Die gibt es nicht. Wie ich schon erklärte habe ich auf jede Rolle, in der ich debütiert habe lange gewartet, sie in jedem Detail studiert und geliebt. So bin ich eben. Ich lasse mich nicht zu leichtfertigem Enthusiasmus hinreißen, den ich dann später bereue.
Eine Rolle, die Sie gerne singen würden und wahrscheinlich auch singen werden; und eine Rolle, die Sie gerne singen würden, aber vielleicht nie singen werden. Die Rolle, die ich gerne singen würde, aber noch nicht interpretiert habe, ist der Simon Boccanegra und die Rolle, die ich wohl nie singen werde, der Falstaff.
Können Sie uns mehr über Ihr anstehendes erstes Mal als Carlo Gérard in Andrea Chénier in Lajatico sagen? Was ich sagen kann ist, dass ich verschiedene Gefühle habe, was diesen Charakter betrifft. Carlo Gérard ist ein Mann, der mit den Gepflogenheiten seiner Zeit kämpft, in einem Frankreich, das von der Revolution zerfressen ist. Schon am Beginn der Oper erzählt er von seinem Leben als Sklave, von endlosen Tagen, die er hungrig vor Rache verbracht hat (in der Arie “Son sessant’anni”). Dann zeichnet sich die Rolle des Gérard durch seine Liebe zu Maddalena aus, die weibliche Hauptrolle der Oper. Ich würde sagen, es handelt sich bei ihm um einen komplexen Charakter… Ein Mann der liebt, leidet, betrügt und sich letztendlich rehabilitiert und Gutes tut.
Der Ort für dieses Rollendebüt ist ein recht ungewöhnlicher: das Open-Air-Theater in Lajatico, wo Sie an der Seite von Andrea Bocelli auftreten werden. Ich habe einen Film über sein Leben gesehen, bei dem mir klar geworden ist, dass Andrea Chénier das Stück ist, das Bocelli sein Leben lang geliebt hat und das ihm sehr am Herzen liegt. Viele meiner Kollegen sind bereits auf der Bühne in Lajatico aufgetreten. Italienische aber auch ausländische Opern- und Popsänger. Das Schicksal hat mich also wieder einmal an einen magischen Ort gebracht und ich bin mir sicher, dass das sehr ergreifende Vorstellungen werden.