Tolle Besetzung, aber was für eine Optik….

 

Die Me too-Bewegung kann Susanna in der Inszenierung von Mozarts Le Nozze di Figaro durch Jürgen Flimm von 2015 nicht für sich in Anspruch nehmen, dazu sind die Kostüme und Utensilien auf der Bühne des Schillertheaters, Ausweichquartier der Staatsoper Unter den Linden für sieben Jahre, zu modern. Noch viel weiter entfernt aber sind sie von der Ausübung des ius primae noctis. So befindet sich der Zuschauer einmal mehr in der unglücklichen Lage, die Figuren und ihre Probleme nicht ernst nehmen zu können, ist dem Stück der revolutionäre Atem, der es umwehte, ausgeblasen und stattdessen eine Farce à la Feydeau in Augenschein zu nehmen. Eine bunte Gesellschaft bricht für einen Tagesausflug in ein am Meer gelegenes, ziemlich ramponiertes Ferienhaus (Bühne Magdalena Gut) ein, vor dem für den letzten Akt eine Düne mit Umkleidekabine platziert ist, umrundet bereits zur Ouvertüre wie auch später immer wieder den Orchestergraben und hat sich offensichtlich atemlose Turbulenz zum Ziel gesetzt. Abenteuerlich und zum Teil die Personen der Lächerlichkeit preisgebend sind die Kostüme von Ursula Kudna, allein die Marcellina von Katharina Kammerloher kann sich über mondänes Weißes freuen, während die ohnehin mollige Contessa von Dorothea Röschmann den gesamten Abend in unvorteilhaften Pluderhosen bestreiten muss. Eine wüste Phantasie tobt sich ausgerechnet bei den Kostümen des Chors der Landmädchen aus. Die Produktion dürfte besonders dem Teil des Publikums gefallen, der sich wenig aus der Musik macht und durch action um jeden Preis unterhalten werden möchte.

Mit Knickerbocker, Fliege, Brille und akkuratem Haarscheitel wurde der Figaro von Lauri Vasar ausgestattet, der sich recht trottelig aufführt und eher zur lächerlichen als die Handlungsfäden souverän führenden Figur wird. Seine Stimme ist zwar angenehm dunkel gefärbt , klingt in der Tiefe allerdings eher matt als präsent. Eher eine Despina als eine Susanna ist Anna Prohaska, trotz der Unschuldskleidung von weißen Söckchen und Handschuhen eher lasziv als charmant und eher affektiert als romantisch in der Rosenarie. Zumindest zur Aufnahmezeit war der Sopran der einer Soubrette, klangen die Rezitative piepsig, erblühte die Rosenarie nicht, sondern blieb eher Knospe.

Vokal reich beschenkt wird man dagegen vom „hohen“ Paar. Dorothea Röschmanns Contessa kann durch das wunderschöne Timbre, den stilsicheren Mozartgesang, den sie unbeirrt trotz des Gewimmels während ihrer ersten Arie darbietet, wahrlich betören, der Conte von Ildebrando D’Arcangelo bietet fast schon zu viel an stimmlicher Pracht, macht sein Già vinta la causa zu einem der Höhepunkte der Aufnahme. Darstellerisch scheint es ihm nichts auszumachen, dass ihn die Regie zur lächerlichen Figur deformiert, die von einem selbstverschuldeten Missgeschick ins nächste taumelt.

Die ganz große Entdeckung dieser Nozze war und ist allerdings der Cherubino von Marianne Crebassa, die seitdem gerade auch mit dieser Rolle bereits eine Weltkarriere gestartet hat. Ihre beiden Arien sind erfüllt von stürmischer Erotik durch eine farbige, geschmeidige Mezzostimme von schönem Leuchten und durch ein unbekümmert natürlich wirkendes Spiel.

Etwas Mühe, die musikalische Contenance zu wahren hat Katharina Kammerloher, der man ihre Arie gelassen hatte, während die des Basilio von Florian Hoffmann gestrichen worden war. Recht hohl und streckenweise verhuscht klingt das Vendetta des Bartolo von Otto Katzenmeier, Olaf Bär und Peter Maus (In bewundernswürdiger szenischer Langlebigkeit) von der Deutschen Oper zeigten viel Präsenz als Antonio und Don Curzio, Sónia Grané ist eine in jeder Hinsicht anmutig-aparte Barbarina.

Gustavo Dudamel atmet mit den Sängern, bietet viel mehr Mozart, als die Bühne wahrhaben will, und lässt durch sein Wirken manches in der Optik erträglicher erscheinen, als es ist (Blu-ray ACC 20366/ veröff. 2018): Ingrid Wanja