Reizvolle Melange

 

Bereits wenige Tage vor dem oben beschriebenen Abend wurde am 25. Januar 2020 die nun  vorliegende Aufführung von Jaromir Weinbergers Frühlingsstürmen mitgeschnitten (Naxos Bluray NBD0122V). Fast genauso groß wie die Freude darüber, dass fast auf den Tag genau 87 Jahre nach der Uraufführung im damaligen Admiralspalast dieses Werk greifbar ist, ist die Freude über die kluge Berliner Dramaturgie, die Barrie Kosky an seinem  (noch) Haus vertritt – und die ein bisschen an einstige Versuche der Berliner Staatsoper mit Busonis Brautwahl oder Milhauds Christophe Colombe  während der Ägide von Georg Quander erinnern. Toll.

Das Stück wirkt in Koskys Interpretation zunächst zerfledert und buntscheckig: wie gewohnt „von allem etwas“. Kosky nennt es ein „phantastisch kompliziertes kulturelles Artefakt“. Vor diesem „Artefakt“ hat der inszenierende Hausherr zu viel Achtung, oder er schreckt zurück. Auf jeden Fall wirken die Szenen im russischen Hauptquartier in der nordchinesischen Mandschurai, die bereits so redeselig ausgefallen sind wie es sonst nur die dritten Akte jeder Operette sind, doch etwas öde und umständlich. Kosky fehlen ganz offensichtlich die tanzenden Girls und Boys; die Mädels dürfen sich dann doch u.a. in einer netten Chinoiserie zeigen. Und chinesische Drachen nebst Lampions fehlen auch nicht.

Immerhin ist der großartige Stefan Kurt in der Homolka-Rolle des Katschalow ein soignierter russischer General, der zarte Komik mit Geschmack verbindet und später ergreifend traurig-komisch Lenskys Arie zelebriert. Den Glanz einer Operettendiva verbreitet Vera-Lotte Boecker als Lydia bei ihrem Auftrittslied, „Nehmt euch, ihr Männer, vor Frauen in Acht“, nicht nur stimmlich, sondern vor einem chinesischen Zauberwürfel mit leichtem Glamour in Szene gesetzt auch szenich. Problematisch Tansel Akzeybek in der Rolle des als chinesischer Diener verkleideten japanischen Majors Ito. „Allein der Name Richard Tauber zog die Menschen ins Theater“, hieß es damals. Das wird diesmal nicht der Fall sein. In der Premiere scheint Akzeybek in seiner Auftrittsszene noch nervös, doch auch in den Duetten mit Lydia „Frühling in der Mandschurai“ verziehen sich die dunklen Wolken nicht bzw. klingt „Traumversunken, liebestrunken“, wozu eine rote Showtreppe ins Nirgendwo führt und die tanzenden Damen die Straußenfedern schwingen, zu bodenschwer. Man merkt den Modulationen an, dass sie für Tauber geschrieben waren. Und wird enttäuscht; auch bei den uncharmanten Kopftönen im Schlager „Du wärst für mich die Frau gewesen“. Gelungener beider „musikalische Szene“ zu Beginn des zweiten Teils. Alma Sadé und Dominik Köninger sind als Tatjana und Roderich so quirlig wie es sich für das zweite Paar gehört. Weinbergers sich machtvoll aufbäumender Musik mit ihren interessanten Eintrübungen und retrospektiven Vermischung der Gattungen und Stile, in der man schon den Abgesang auf eine Epoche zu spüren meint, präsentiert Jordan de Souza als reizvolle Melange. Rolf Fath