Nachgeschoben

 

„Wir Opernhäuser sind dazu da, die Gesellschaft zu sensibilisieren, die Welt zu verbessern“, beendet Dietmar Schwarz, Intendant der Deutschen Oper sein am 18.5. 2019 in der Berliner Morgenpost erschienenes Interview, in dem es hauptsächlich um political correctness, darum, ob man einen schwarz geschminkten Otello oder Monostatos, einen Rigoletto mit Buckel oder einen kleinwüchsigen Menschen als Double für den Sänger in Der Zwerg auf die Bühne bringen dürfe, geht. Ob die Welt durch die Aufführung von Korngolds Oper Das Wunder der Heliane, in der vergangenen Spielzeit an der DOB gespielt und vor jetzt von Naxos auf DVD herausgebracht (komplimentär zur CD der Oper aus Freiburg bei Naxos), auch nur ein wenig verbessert wurde, ist kaum nachprüfbar, die Ingredienzien dafür müsste das Werk voller Sendungsbewusstsein eigentlich haben, auch wenn es bereits zur Zeit seiner Uraufführung 1927 in seiner Mischung von Pseudoreligiosität und schwüler Erotik nicht mehr den Geist der Zeit traf und trotz oder vielleicht auch wegen der Polemik des Kritikervaters des Komponisten im Verhältnis zum  zeitgleichen Jonny spielt auf wenig erfolgreich war. Die Deutsche Oper allerdings führte das Werk zu einem sensationellen Erfolg, was sicherlich vor allem dem Wie der Umsetzung, weniger dem Was der kruden Story, sicher nicht der altertümelnden, genitivgesättigten Sprache, eher schon, wenn auch nicht für jedermanns Geschmack, der rauschhaften, durchaus bereits den Filmkomponisten verratenden Musik zu verdanken war.

Regisseur Christof Loy, Spezialist für psychologisch vertrackte Stories, wählte mit Ausstatter Johannes Leiacker für alle drei Akte bewusst eine karge Optik, einen Gerichts- oder Kongresssaal mit großem Tisch, Stühlen, einer Uhr, die durchweg 14.05 Uhr anzeigt, die Kostüme von Barbara Drosihn sind dunkle Alltagskleidung, nur der Fremde in Hellgrau, für Heliane eine Art Brautkleid, ansonsten Kostüm oder Kleines Schwarzes, wie es sich für die Gattin eines wohlhabenden Geschäftsmanns oder Politikers gehört. Loy wollte mit dieser Ausstattung Erinnerungen an Marlene Dietrich in Zeugin der Anklage“wachrufen, die sich aber nicht zwangsläufig einstellen. Immerhin bildet die Nüchternheit der Ausstattung einen willkommenen Kontrast zur sonstigen Üppigkeit. Die Personenführung ist durchdacht, nimmt dem Libretto einiges von seiner Peinlichkeit, der Chor wird exzellent geführt. Die Nacktszene, die es so sicherlich mit der ursprünglich für die erste Wiener Aufführung vorgesehen Maria Jeritza nicht gegeben hätte und die es mit Lotte Lehmann nicht gab, ist ohne jede Peinlichkeit inszeniert, was auch für die Video-Gestaltung durch Götz Filenius gilt.

Herausragend und damit verantwortlich für den großen Erfolg war das Sängerensemble, das auch optisch ideal den Intentionen des Komponisten entsprechen dürfte. Allen voran Sara Jakubiak in der Titelpartie, eine wahre Lichtgestalt nicht ohne ein angenehmes Maß von Kühle, mit leuchtendem Sopran im Hit „Ich ging zu ihm“, aber auch herbere, strengere vokale Züge offenbarend. Einen unermüdbaren, in allen Lagen höchst präsenten, baritonal grundierten Tenor und viel darstellerische Delikatesse setzt Brian Jagde für den Fremden ein und wurde dementsprechend am Premierenabend bejubelt. Keinen wirklich schöntimbrierten, aber einen vokale Autorität verbreitenden Bariton hat Josef Wagner für den Herrscher und ist damit eine ideale Besetzung, auch in der Intensität der Darstellung des verzweifelt Zuneigung Einfordernden. Wärme und Farbigkeit zeichnen die Stimme von Derek Welton in der Partie des mitleidigen Pförtners aus. Etwas stiefmütterlich von der Regie behandelt wurde die Botin von Okka von der Damerau, die mit einem Aktenordner bewaffnet oft nur herumstehen muss, aber mit dunkel loderndem Mezzo akustisch hochpräsent ist. Hinter seinen sonstigen vokalen Möglichkeiten zurück bleibt Burkhard Ulrich als Schwertrichter. Einen angenehmen Tenor hat Gideon Poppe für den Jungen Mann. Marc Albrecht bändigt nicht nur das Riesenorchester der DOB, sondern entlockt ihm alles an Pracht und Prunk, was der Komponist in seine Partitur gelegt hat und dem man während mehrfach heruntergelassenen Vorhangs (Genitiv!) besonders genussvoll lauschen kann.

Ob die Welt etwas besser war nach der Aufführung als zuvor, wird sie es nach dem Erscheinen der Blu-ray auf dem Markt sein? Dem gemeinen Opernbesucher genügt es wohl, wenn ihn Musik und Darstellung berührt haben, wenn er ein geliebtes Werk nicht entstellt sah, wenn der Genuss von Schönheit ihm Kraft für die Bewältigung des Alltags gegeben hat (Naxos DVD Bluray NBD0083V ). Ingrid Wanja