Kein Turban nirgends

 

Traditionell wird in das Sommerprogramm der Salzburger Festspiele eine TV-gezeigte Produktion von den Pfingstfestspielen übernommen – im 2018 war es Rossinis  Dramma giocoso L´Italiana in Algeri, das nun von UNITEL auf zwei DVDs veröffentlicht wurde (801808). Das Regie-Duo Moshe Leiser/Patrice Caurier wollte bei der Aufführung keine märchenhaft orientalische Atmosphäre, keine Haremskulisse, sondern setzte auf eine zeitgenössische Optik. Diese ist freilich gewöhnungsbedürftig, vor allem was die Kostüme von Agostino Cavalca angeht – ein scheußliches Sammelsurium von Jogging-Anzügen, Jeans, Kapuzenshirts, Base-Caps und Unterwäsche. Christian Fenouillats Bühne ist inspiriert von Fotos aus Algier, die Beton-Häuserfassaden mit Balkonen voller Wäsche und Antennenschüsseln zeigen. In diesem Ambiente entfesseln  die Regisseure eine turbulente Slapstick-Parade mit viel Witz, aber auch albernen Gags. Eingespielte Geräusche – Vogelstimmen, psalmodierende Gesänge, Möwengekreisch – sollen zusätzlich atmosphärische Akzente setzen. Deprimierend ist die Kostümierung des Mustafà, der als ausgestopfter Dickwanst im Unterhemd und Slip agieren muss, so dass man den stattlichen Sänger Ildar Abdrazakov kaum wiedererkennen kann. Anfangs sieht man ihn bei der Sinfonia im Ehebett – überdrüssig seiner Gattin Elvira, deren Annäherungsversuche er mit Schreck geweiteten Augen abwehrt wie lästige Fliegen. Beim sprudelnden Allegro-Thema werden sogar die Kamele auf einem Wandbild wach und beginnen zu tanzen. Der baschkirische Bass singt prachtvoll mit raumgreifender Stimme voller Autorität und angemessener Agilität, gleichermaßen souverän in Höhe und Tiefe. So kann er vokal den traurigen optischen Eindruck wettmachen.

Die Besetzung ist insgesamt auf hohem Niveau. Edgardo Rocha geht die heikle, hoch notierte Tenorpartie des Lindoro furchtlos an, singt mit schmetternder, gar nicht verzärtelter Stimme, was zuweilen auf Kosten des eleganten Klanges geht. Aber man braucht in keinem Moment um sein stimmliches Durchhaltevermögen bangen. Und das Plapperduett mit Mustafà, „Se inclinassi a prender moglie“, beweist bei beiden Interpreten die gebührende stimmliche Eloquenz.

Mit Alessandro Corbelli nimmt sich ein klassischer Bassbuffo des Taddeo an. Bewährt in diesem Fach auf allen internationalen Bühnen, bietet er auch hier eine exemplarische Demonstration von Stimme, Stilgefühl und Darstellung. Sein kokettes Duett mit der Titelheldin, „Ai capricci della sorte“, zeigt ihn der Starsängerin ebenbürtig. Cecilia Bartoli hat einen imposanten Auftritt hoch zu Kamel, braucht allerdings eine Anlaufzeit, um ihrer Stimme Wohllaut zu verleihen. Ihr Gesang ist zupackend und resolut, aber sehr guttural und auch zischend. Natürlich jongliert sie gekonnt mit den Koloraturen, gackert munter die staccati bei „O che muso“ und schnurrt in der  Badewanne die lyrische Arie „Per lui che adoro“ sehr ansprechend. „Pensa alla patria“ beginnt sie grimmig und setzt brustige tiefe Töne ein, findet aber im Schlussteil zu höchster Virtuosität. Im eleganten Abendkleid sieht man sie mit Lindoro vereint auf einem großen weißen Kreuzschiff wie einst das Liebespaar in Titanic. Das lange Warten auf ihre Isabella hat sich gelohnt, nachdem sie von Deccas Produzenten Christopher Raeburn bereits zu Beginn  ihrer langen Karriere dazu gedrängt wurde, diese aber stets abgelehnt hatte. Recht hat sie gehabt.

Aufhorchen lässt der junge bolivische Bass José Coca Loza als Haly, dessen muntere Arie „Le femmine d`Italia“ er mit schönem Klang und beweglicher Stimmführung zu einem Höhepunkt der Aufführung macht. Illustriert wird sie mit Einblendungen aus Fellinis Dolce vita mit Anita Elkberg und Marcello Mastroianni am Trevi-Brunnen. Die von Mustafà vernachlässigte Gattin Elvira, die anfangs im Ehebett ihren Mann zu verführen sucht, gibt Rebeca Olvera mit potentem Sopran, der das Finale des 1. Aktes mit durchschlagenden Spitzentönen dominiert. Als ihre Vertraute Zulma lässt Rosa Bove einen resoluten Mezzo hören.

Ein Vergnügen ist die musikalische Interpretation durch Jean-Christophe Spinosi am Pult seines Ensemble Matheus, das auf historischen Instrumenten Rossinis Komposition sprühen und funkeln lässt. Pulsierender Rhythmus, federnder Klang und unglaubliche  accelerando-Steigerungen geben der Aufführung mitreißenden Schwung. Das Publikum im Haus für Mozart ist so begeistert, dass das Ensemble das Finale als Zugabe gibt. Bernd Hoppe