Baroque Divas heißt ein neues Album bei Decca, das vier Sängerinnen mit Arien vorwiegend aus Werken der opera seria vereint (478 8099). Solche Zusammenstellungen sind seit einiger Zeit beliebt – man denke nur an die Veröffentlichungen mit mehreren Tenören oder Countern. Oft sind diese CDs Zusammenschnitte mit Ausschnitten aus vorhandenen Recitals oder Gesamtaufnahmen, was den Sammler weniger interessiert. In diesem Fall aber handelt es sich um eine Eigenproduktion mit den vier gestandenen Interpretinnen, die sich speziell für diese Einspielung versammelt haben. Eine weitere Besonderheit, weil ein Novum, ist, dass es sich dabei um Vertreterinnen der tiefen Stimmgattung handelt. Zu den drei Mezzosopranen Vivica Genaux, Romina Basso und Mary-Ellen Nesi gesellt sich die Altistin Sonia Prina, alle werden von der Armonia Atenea unter George Petrou begleitet.
Vivica Genaux eröffnet das Programm mit „Amor, dover“ aus Veracinis Adriano in Siria – eine Arie von erregtem Duktus mit vehementen Koloraturrouladen, welche der nach wie vor unverminderten Virtuosität der Sängerin ein glänzendes Zeugnis ausstellt. Davon profitiert auch die ausgedehnte Arie „Fra quest’ombre“ aus Hasses Solimano, in welcher eine ebene Linie und lange Bögen gefordert sind. Dritter Beitrag ist „Le belle immagini“ (was jüngst einem Gluck/Sacchini-Recital des Counters Valer Sabadus den Titel gab) aus Glucks Paride ed Elena – ein sanftes, liebliches Stück, wo die Mezzosopranistin nicht jene Süße und Zärtlichkeit hören lässt wie ihr Kollege.
Sonia Prina stellt sich mit einer Szene aus Hasses Artaserse vor – auch diese von hohem Anspruch hinsichtlich der bravourösen Anforderungen. Nach dem aufgewühlten Rezitativ „Eccomi alfine“ ist die Arie „Pallido il sole“ ein sanft wiegendes Stück – die Sängerin weiß es mit innigem Ausdruck zu erfüllen und ihre sonst eher herbe, schartige Stimme kultiviert zu führen. Ihr zweiter Beitrag stammt aus Hasses Tigrane und ist mit dem auftrumpfenden „Solca il mar“ eine der typischen Sturm-Arien des Barock. Ihr letztes Solo, „Ti calpesto“, stammt aus Vincis Astianatte und fordert federnde Koloraturgirlanden, welche die Interpretin in der von ihr bekannten individuellen Art formuliert.
Relativ neu in der internationalen Liga der Barockinterpretinnen ist die Mezzosopranistin Mary-Ellen Nesi, die aus Glucks Iphigénie en Aulide die Szene „Jupiter, lance ta foudre“ zu Gehör bringt. Die Griechin imponiert durch ihren dramatischen Zugriff, der den Seelenzustand der Titelheldin plastisch umreißt, bleibt dabei aber stets maßvoll in ihrem stimmlichen Fluss. Sie singt später noch eine Arie aus Bononcinis Astianatte, „Spera che questo cor“, mit souveräner Bewältigung des reichen Zierwerks. Dritter Beitrag ist „Ti parli“ aus Portas Siface, in seinem siciliano-Rhythmus ein Ruhepunkt der Sammlung und auch einer der vokalen Höhepunkte.
Romina Basso schließlich gefällt mir persönlich am besten durch die Noblesse ihres Vortrages, die kultivierte Tongebung, die feinen Triller bei „Vedrò con mio diletto“ aus Vivaldis Giustino. Aus Sarros Siroe stammt die Arie „Al torrente che ruina“, in der Flexibilität und Virtuosität gefordert werden. Sie beendet die Anthologie mit „Daranno all’ira mia“ aus Caldaras Euristeo und findet dabei zu einem besonders lebendigen Vortrag mit pulsierenden Koloraturen – ein gelungener Ausklang dieser Sammlung mit vielen unbekannten Titeln.
Mit großem Einfühlungsvermögen begleitet das auf historischen Instrumenten musizierende Ensemble Armonia Atenea die Solistinnen, steht mit Petrou doch ein in der Führung von Barocksängern erfahrener Dirigent am Pult. Bernd Hoppe