Tenoraler Höhenflieger

 

Auf dem Decca-Label ist der mexikanische Tenor Javier Camarena bereits seit dem Jahr 2011 vertreten. Er gehörte bei zwei Rossini-Produktionen des Opernhauses Zürich zur Besetzung, welche von der Plattenfirma als DVDs veröffentlicht wurden. Im Otello sang er die Partie des Rodrigo, dessen Arie im 2. Akt sich später als Zitat im Duetto buffo di due gatti wiederfinden sollte, im Comte Ory sogar die Titelrolle. Es war also an der Zeit, den auf vielen Bühnen erfolgreichen Sänger in einem Soloalbum zu präsentieren. Der Titel dieser attraktiven, sehr aufwändig ausgestatteten Ausgabe ist Contrabandista (28948339587). Dahinter verbirgt sich eine Hommage an den legendären spanischen Tenor Manuel García, der auch komponiert hat und von 1775 bis 1832 lebte. Einige Arien aus seinen Werken finden sich in dieser Anthologie, darunter natürlich die des Poeta, „Yo que soy contrabandista“, aus El poeta calculista, welche dem Album den Titel gab. Sie beginnt sehr reizvoll im Flamenco-Rhythmus, verlangt dem Sänger Temperament und virtuose Triller ab, am Ende sogar noch einen hohen Ton in der Counterlage. Daraus folgt später noch das muntere „Formaré mi plan con cuidado“ Und es gibt sogar drei Weltpremieren mit „Cara gitana“ aus El gitano por amor, „Vous dont l’image toujours chère“ aus La Mort du Tasse und „O ciel! De ma juste furie“ aus Florestan ou Le Conseil des dix. „Cara gitana“ ist der furiose Auftakt der CD mit erregten Streicherfiguren im Rezitativ. Die Arie selbst ist von kantablem Fluss; Camarena singt sie mit entsprechend lyrischer Kultur und stimmt hier schon sichere Töne in der Extremhöhe an. Ganz in der italienischen Tradition steht eine Cabaletta am Schluss der Nummer („Cuando mi padre“), in welcher er seine Virtuosität demonstrieren kann. „Vous dont l’image toujours chère“ beschreibt Torquato Tassos Tod im 3. Akt der Oper – ein entsprechend introvertiertes Stück, in welchem die Stimme des Tenors besonders weich klingt. „O ciel! De ma juste furie“ ist scheinbar eine Rachearie, die sich im Charakter allerdings eher buffonesk gibt und dem Interpreten plappernde Geläufigkeit und herzhaftes Gelächter abverlangt.

Natürlich darf Rossini nicht fehlen in einer Anthologie, die einem Großmeister des Gesanges gewidmet ist, der in mehreren Rossini-Rollen reüssierte und sogar in den Uraufführungen der Elisabetta, regina d’Inghilterra neben Isabella Colbran und des Barbiere di Siviglia als Almaviva mitwirkte. Dessen große Arie im 2. Akt, „Cessa di più resistere“, ist von immenser Schwierigkeit, so dass sie von den Interpreten in Aufführungen oft gestrichen wird. Das Motiv des letzten Teiles, „Ah il più lieto“, findet sich später im Schlussrondo der Angelina in La Cenerentola wieder. Camarena demonstriert hier seine Eloquenz in der Stimmführung und reiche Phantasie in den Verzierungen. Auch Ramiros Arie „Sì, ritrovarla io giuro“ aus der  Cenerentola ist eine Bravournummer, in der Camarena stratosphärische Raketen abschießen, aber auch mit Passagen von schwärmerischer Lyrik überzeugen kann. Als Abschluss der Programmfolge hat Camarena eine Arie des männlichen Titelhelden aus dem seltenen Dramma serio per musica Ricciardo e Zoraide gewählt (welches in diesem Sommer das Rossini Opera Festival in Pesaro mit Juan Diego Flórez in dieser Partie eröffnete). Die Arie  verlangt in ihrem mit vertrackten Koloraturen gespickten Schlussteil („Qual sarà mai la gioia“) dem Interpreten allerhöchste Virtuosität ab und Camarena erweist sich hier als meisterhaft in der Beherrschung des vokalen Zierwerks. Schließlich gibt es in der Rossini-Abteilung noch eine Besonderheit, nämlich ein ausgedehntes Duett aus Armida zwischen der Titelheldin  und dem Ritter Rinaldo. Cecilia Bartoli ist seine Partnerin, nähert sich damit nicht nur erstmals dieser exponierten Sopranrolle, sondern hat den Tenor bei der Erarbeitung seiner CD auch künstlerisch beraten und damit eine neue Serie der Decca, Mentored by Bartoli, eröffnet. Nach den schwelgerischen Zwiegesängen „Amor… (Possente nome!)“ und „Vacilla a quegli accnti“ geht das Duett in einen jubelnden Schlussteil über („Cara, per te quest’anima“), in welchem sich die Stimmen ekstatisch verschlingen.

Ergänzt wird das Programm durch eine Arie aus der Feder von Niccolò Zingarelli. Sie stammt aus Giulietta e Romeo (das nahezu vergessene Werk kam vor zwei Jahren bei den Salzburger Pfingstfestspielen zur Aufführung) und wird gesungen von Giuliettas Vater Everardo im 1. Akt. In ihrem erregten, aufgewühlten Duktus widerspiegelt sie dessen Hassgefühle gegenüber Romeo als dem vermeintlichen Verführer seiner Tochter. Camarena erweist sich souverän sowohl in der Beherrschung des rasenden Tempos als auch der eingelegten effektvollen Spitzentöne.

Begleitet wird Javier Camarena vom Ensemble Les Musiciens du Prince – Monaco, das unter Gianluca Capuano auf historischen Instrumenten musiziert und dem Solisten ein inspirierender Partner ist. Bernd Hoppe