Sternenglanz aus Neapel

Die Anhänger von Joyce DiDonato warten auf jede CD ihres Idols mit Ungeduld. Die neue bei Erato/Warner Classics (8256 463656 23) dürfte auf ganz besonderen Zuspruch stoßen, denn die amerikanische Mezzosopranistin präsentiert unter dem Titel Stella di Napoli neapolitanische Opernarien des Belcanto, darunter drei Weltersteinspielungen. Gleich die erste Nummer des Programms, „Stelle Ove t’aggiri“, aus Pacinis Oper, die der CD den Titel gab, ist eine solche. Und ein fulminanter Auftakt dazu, wirft sich die Sängerin doch mit einer Atem beraubenden Verve in diese Musik, die wie ein Sturmwind einsetzt, dann aber in Melodienseligkeit und munteren Koloraturen schwelgt. DiDonato kann hier virtuoses Zierwerk vom Feinsten servieren, die Skalen mühelos auf und ab wandern, staccati tupfen, mit sinnlicher Tiefe prunken. Aus der zweiten Fassung von Bellinis Adelson e Salvini erklingt danach die Arie der Nelly, „Dopo l’oscuro nembo“ – eine der typisch elegischen Kantilenen des Komponisten, welche die Solistin mit schmerzlicher Melancholie ausbreitet. Bei der Arie der Lucia, „L’amica ancor non torna/Oh, di sorte crudel“, aus Michele Carafas Le nozze di Lammermoor handelt es sich um eine weitere CD-Premiere. Das Werk basiert auf derselben Grundlage wie Donizettis berühmte Oper. Harfe, Klarinette und Streicher geben in dieser Szene den Teppich für die Solostimme, die sich in sehnsuchtsvollem, seufzendem Gesang aufschwingt. Im Kreis der Komponisten, die für das Opernleben in Neapel von Bedeutung waren und die in dieser Auswahl vertreten sind, darf Rossini natürlich nicht fehlen. Aus seiner Zelmira singt DiDonato die Arie der Titelheldin „Riedi al soglio“, überzeugend differenziert zwischen heroischem Aplomb, empfindsamer Gestaltung und bravourösem Auftrumpfen. Von klassizistischer Größe geprägt ist die Arie der Giunia aus Mercadantes La vestale, „Se fino al cielo ascendere“. Mit dem von banger Ahnung umflorten Ton gibt die Sängerin hier ein exemplarisches Beispiel für ihr Singen voller Würde und grandeur. Die Arie der Amelia, „Par che mi dica ancora“, aus Donizettis Elisabetta al castello di Kenilworth wirkt in ihrer Stimmung und der Glasharmonika-Begleitung wie ein Vorläufer für die Lucia, welche sechs Jahre später entstand. Auch die aberwitzigen Koloraturen stehen für die dem Wahnsinn nahe Verzweiflung der Protagonistin. Ein Beispiel für die reife, ergreifende Gestaltung der Sängerin ist die große Szene des Romeo, „Deh! tu, bell’anima“ aus Bellinis I Capuleti e i Montecchi – eine für Giuditta Grisi komponierte Rolle, doch erweist sich  die Amerikanerin diesem hohen Maßstab als durchaus würdig und dürfte gerade im Belcanto-Repertoire noch für manche Überraschung taugen. Die Interpretation der Titelrolle von Donizettis Maria Stuarda, mit der sie sich an der Met und an Londons Covent Garden Triumphe ersang, gehörte zu den herausragendsten vokalen Leistungen der letzten Saison. Hier ist das ergreifende Gebet Marias vor ihrer Hinrichtung zu hören, angelegt als große dramatische Szene unter Beteiligung des Chores der Opéra National de Lyon.

Gänzlich unbekannt ist Carlo Valentinis Il sonnambulo, aus dem die Arie der Adele „Se il mar sommesso mormora“ als dritte Ersteinspielung der Auswahl erklingt. Der Schüler Pacinis malt in melancholischer Stimmung den Seelenzustand der Figur aus, die einen ungeliebten Mann heiraten soll. Pacini selbst markiert mit seiner Saffo den Schlusspunkt des Programms. Die Gran scena finale ist eine mehrteilige Komposition, die mit dem Selbstmord der Titelheldin endet und noch einmal DiDonatos immense Gestaltungsmöglichkeiten zeigt. Der Dirigent Riccardo Minasi hat die Sängerin bei der Auswahl der Gesangsstücke beraten und begleitet sie mit dem Orchestre de l’Opéra de Lyon inspirierend und engagiert. Eine Empfehlung für alle Freunde des Belcanto und großer Gesangskunst!

Bernd Hoppe