Maßstäbe setzend

 

In ihrer Geburtsstadt Luzern beim renommierten Musik Festival gab Edith Mathis im Jahr 1975 einen Liederabend mit Werken von Mozart, Bartok, Brahms, Schumann und Strauss, der jetzt bei audite veröffentlicht wurde und immer noch als Maßstab für perfekten Liedgesang gelten kann. Die Zugabe war Wolfs  „Auch kleine Dinge können uns entzücken“, und wie das Einstiegslied „Das Veilchen“ passen sie wunderbar zu der Schweizer Sängerin, deren besonders hervorstechender Charakterzug die Bescheidenheit war, die nie sich selbst, sondern immer das zu interpretierende Werk in den Vordergrund stellte, die die anrührendste Pamina war, die man erleben konnte.

Zu den Mozart-Liedern passen der silbrige Schimmer des Soprans, die leichte Emission der Stimme, der mädchenhafte Gestus des Singens und natürlich zum Liedgesang generell die gute Diktion. Die feine Melancholie in der Stimme, die Reinheit und Klarheit sprechen in „Als Luise die Briefe ihres ungetreuen Liebhabers verbrannte“   direkt zum Herzen des Hörers, und bei „Abendempfindung“ entzückt die Schwerelosigkeit des Gesangs. Aber auch Humor kann in dem wandlungsfähigen Sopran sich ausdrücken, wie „Der Zauberer“ beweist.

Bei den derberen Bartok-Liedern wird die Balance zwischen Kunst- und Volkslied gewahrt, ist das Wiegenlied von wunderschöner Innigkeit, beweist die Sängerin in „Burschentanz“ aber auch, dass sie vokal beherzt zupacken kann.

Besonders gefallen können die Deutschen Volkslieder von Brahms, mit einem schönen Aufblühen des Soprans in „In stiller Nacht“, feinen Pianissimi und der Gewissheit des Hörers, dass die Sängerin empfindet, was sie singt. Von raffinierter Schlichtheit ist „Da drunten im Tale“ mit im Untergrund loderndem Feuer, am Schluss nachdenklich dunkel. Der Stimmungswechsel in „Feinsliebchen“ ist von bezwingender Unmittelbarkeit.

Aus „Mythen“ von Schumann  stammt „Widmung“, der Mathis einen schönen Jubelton, wechselnd mit Innigkeit verleiht, zartes Naturerleben lässt sie den Hörer in „Der Nussbaum“ nachempfinden, eine selbstbewusste Braut spricht aus dem ersten Brautlied, tränenverhangen und in einem schönen Pianissimo verhauchend zeigt sich „Was will die einsame Träne“. „Hauptmanns Weib“ beweist, dass die Mathis auch Forte singen konnte, die Stimme bei aller lyrischen Anlage viel Substanz besaß.

Das gilt auch für Strauss „Schlechtes Wetter“, ehe der Sopran in „Die Nacht“ ein duftiges Gebilde zaubert, schillernde Farbigkeit für „Ach, Lieb“ hat und schließlich ganz eins ist mit Wolfs Kleinen Dingen. Karl Engel ist der ideale Begleiter, der die Sängerin auf akustischen Händen trägt (audite 95.647). Ingrid Wanja