Irreführender Titel

Streng sieht sie aus, Sandrine Piau, auf dem Cover für ihre CD mit Mozart-Arien, der zweiten nach der ebenfalls bei naive eingespielten von 2001, und das sollte sie auch, nennt diese sich doch Desperate Heroines , was insofern nicht zutreffend ist, als die meisten der Damen entweder nicht verzweifelt oder keine Heldinnen oder keines von beidem sind. Sogar ein Mann tummelt sich mit dem Aminta aus Il Re Pastore unter ihnen.

Die kleine Barbarina ist sicherlich keine Heldin, wenn auch über den Verlust der Nadel verzweifelt, und der Sopran gibt dem mit zart-verhuschtem Singen beredten Ausdruck. Welten liegen zwischen der niedlichen Kleinen und Donna Anna aus Don Giovanni, die in ihrer letzten Arie so recht verzweifelt nicht mehr, sondern eher von Hoffnung beseelt ist. Ihre Entschlossenheit ist eine sanfte mit feinen Piani in den Höhen, mit kristallinem Timbre, nicht ohne manieristische Züge, der man die empfindsame Seele abnimmt. Das Mozarteum Orchestra Salzburg unter Ivor Bolton schließt sich der feinsinnigen Lesart an wie auch dem herzhafter gehaltenen Schluss. Mild leidet die Sandrina aus La finta giardiniera mit leicht hingetupften Tönen. Alles andere als verzweifelt ist Susanna in ihrer Rosenarie, die deliziös knospenhaft bleibt und sich nur zaghaft dem Zauber von Natur und Erotik hingibt. Eine schöne Verzierung mit Extrahöhe erinnert an barocke Freiheiten. Mehr im Rezitativ als in der Cavatina finden sich bei der wirklich verzweifelten Heldin Aspasia tragisches Gewicht  und ebensolche Aufwallungen. Eher gemessen ist der mittlere Teil aufgefasst, nur am Schluss geht die Sängerin wieder mehr aus sich heraus. Mit einem interessanten Spiel der Stimmfarben lässt sich noch einmal die Sandrina vernehmen, rasant zu Beginn; und „infelice, a morir“ hat den angemessenen Tonfall. Ilia aus Idomeneo  zeigt keinerlei Anzeichen von Verzweiflung, lässt vielmehr, der Arie entsprechend, die Stimme schön und ruhig fließen, maßvoll auch in der „gioia“. In ein sehnsüchtiges „ah, sposo“ legt die Sängerin der Giunia aus Lucio Silla viel Gefühl, die Gratwanderung zwischen Gefasstheit und Schmerzensausbruch beherrscht sie meisterhaft, nur der Schluss fällt etwas matt aus. Feine Klanggespinste gibt schließlich auf allerdings sehr weiblich klingende Art Aminta aus Il Re Pastore  zum Besten. So kontrastreich wie die Gestalten Mozarts untereinander erscheinen, ist der durchweg anmutige Gesang, in dem sie sich äußern, nicht (naive  V5366).

Ingrid Wanja