Hommage an die erste Königin der Nacht

 

Mit besonderem Interesse registriert man eine Neuveröffentlichung bei SONY Classical mit der jungen deutschen Sopranistin Sarah Traubel (S80496C). Natürlich denkt der Opernfreund bei diesem Namen sofort an die berühmte Helen Traubel – und diese Namensverwandtschaft ist tatsächlich nicht zufällig. Die in Mannheim geborene Sängerin ist die Großnichte der amerikanischen Sopranlegende und des Dirigenten Günter Wand. Für ihr Debütalbum mit dem Titel Arias for Josepha, das im August 2019 in Prag entstand, hat sie eine Auswahl von Arien zusammengestellt, welche Mozart und weitere, heute weniger bekannte Komponisten für eine Koloratur-Diva der Zeit, Josepha Hofer, geschrieben haben. Auch hier stellt sich eine Verbindung zu Sarah Traubel her, denn Hofer wurde 1758 in Zell im Wiesental unter dem Namen Weber geboren und wuchs gleichfalls in Mannheim auf. Von dort ging sie nach München und Wien, war Mozarts Schwägerin und seine erste Königin der Nacht in der Zauberflöte. Sie sang die Partie von der Uraufführung 1791 bis 1801, vier Jahre später zog sie sich von der Bühne zurück.

Die beiden Arien der Königin finden sich natürlich auch im Programm der CD, allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Die „Rache“-Arie aus dem 2. erklingt zuerst und demonstriert neben der brillanten exponierten Lage und der perfekten Technik von Sarah Traubel auch ihren dramatischen Aplomb. Die Arie aus dem 1. Akt, „O zittre nicht“, folgt danach, besitzt im Ausdruck des Rezitativs nicht die Verschlagenheit berühmter Vorgängerinnen, aber in der Arie doch den erforderlichen energischen Nachdruck und die Brillanz in den Koloraturläufen. Die Königin der Nacht tritt auch in einer weiteren Oper auf, denn Peter von Winter komponierte als Fortsetzung der Zauberflöte auf ein Libretto von Schikaneder Das Labyrinth oder Der Kampf mit den Elementen, uraufgeführt 1798 mit der Hofer als Königin. In deren pathetischer Auftrittsarie „Ha! Wohl mir! Höre es, Natur“ lässt Traubel sogar hysterisch erregte Klänge und grelle Koloraturen hören, was ganz dem Ausdruck verpflichtet ist.

Munterer Auftakt der Anthologie ist ein gänzlich unbekannter Titel, der zu den Weltersteinspielungen der CD gehört – die Arie „Alles will ich brechen, beugen“ aus dem Singspiel Der Tyroler Wastl von Jacob Haibel. Der 1762 in Graz geborene Komponist kam 1789 in die Truppe von Schikaneder nach Wien, wo er Josepha kennen lernte und die Partie der Frau von Tiefsinn für sie schrieb. Sie sang sie in der Uraufführung 1796 und in den Folgevorstellungen. Die Arie, in welcher sich die Frau entschlossen zur Herrin über das schwache Männergeschlecht erhebt, bietet Sarah Traubel Gelegenheit, ihre substanzreiche Stimme, die  ganz ohne jeden Soubrettenanflug ertönt, vorzustellen und sogleich mit brillanten staccati in der oberen Lage zu glänzen.

Auch Track Nr. 2 ist eine Rarität, wenngleich der Komponist Vincenzo Righini kein Unbekannter ist. So finden sich auf Diana Damraus erstem Soloalbum zwei Arien aus der Kantate La sorpresa amorosa, ossia Il natale d’Apollo. Aus eben diesem Werk interpretiert auch Traubel zwei Nummern – die der Partie der Erifile zugeordnet sind: „Bella fiamma“, gleichfalls eine Weltpremiere, und „Ove son? Qual aure io spiro“, die auch Damrau eingesungen hat. Sie beschreiben die Gefühle der auf der Insel Delos mit ihrem Verlobten Alkaos gestrandeten Jungfrau Erifile. Die Uraufführung 1789 im Wiener Burgtheater dirigierte Antonio Salieri, der für die Hofer noch zusätzliche Koloraturen erfand, welche „Bella fiamma“ zum bravourösen Höhepunkt des Werkes werden lassen. Traubel sorgt bereits beim zweiten Titel der CD für einen solchen mit kristallklaren, wie gestochenen Koloraturen und souveränen Ausflügen in die stratosphärische Region. „Ove son?“ leitet das Orchester geheimnisvoll raunend ein und die Sopranistin schildert plastisch die Situation der erwachenden Erifile auf der Insel, die zunächst in fast somnambuler Verfassung ist und danach in einen Koloraturtaumel fällt.

Neu im Katalog ist die Arie der Juno „Juno wird stets um dich schweben“ aus Franz Xaver Süßmayrs Oper Der Spiegel von Arkadien. Hofer sang die Göttin in der Uraufführung 1794 und konnte mit ihrer obertonreichen Sopran darin glänzen – wie auch Sarah Traubel in dieser Einspielung.

Eine weitere Novität auf dem Musikmarkt ist die Arie der Josefa (!) „Auch im Schlummer seh’ ich dich“ aus dem Singspiel Die beiden Antone, oder Der Name thut nichts zur Sache von Benedikt Schack (dem ersten Tamino) und Franz Xaver Gerl (dem ersten Sarastro). Hofer trat 1791 darin auf, ohne in diesem schlichten, empfindsamen Stück ihre wirklichen Qualitäten zeigen zu können. Zwei Jahre zuvor hatte sie in der Titelrolle von Paul Wranitzkys Oberon, König der Elfen am Kärntnertor in Wien reüssiert. Die Uraufführung des nach Wielands Versepos komponierten Singspiels markierte ihren Durchbruch in der österreichischen Metropole. Die Arie des Titelhelden, „Dies ist des edlen Hüons Sprache“, erklingt hier erstmalig, nachdem das Notenmaterial dafür von Christian Moritz-Bauer editiert wurde. Auch sie ist eine Bravournummer mit heiklen Sprüngen und Ausflügen in die Extremlage.

Verschiedene, zumeist populäre Mozart-Arien komplettieren die Auswahl. Leider findet sich darunter kein Solo der Donna Anna aus Don Giovanni, womit sich zwar keine Verbindung zu Josepha Hofer hergestellt hätte, die diese Rolle wahrscheinlich nicht gesungen hat, wohl aber als Reverenz für Helen Traubel, in deren Repertoire sich diese Partie befand, wovon auch eine Einspielung der Arie „Or sai chi l’onore“ zeugt. Dafür hört man beide Arien der Contessa aus Le Nozze di Figaro. Die Partie war nicht eigens für die Hofer geschrieben, doch sang sie diese 1792 in Wien (in deutscher Sprache). „Porgi amor“ aus dem 2. und „E Susanna non vien… Dove sono“ aus dem 3. Akt zeugen von Sarah Traubels reicher Mittellage, was für eine derart hoch gelagerte Stimme ungewöhnlich ist, und ihrem sensiblen Gespür für Melancholie und Empfindsamkeit.

Nicht fehlen in diesem Programm durfte Konstanzes „Martern“-Arie aus der Entführung aus dem Serail, die Mozart der erfolgreichen Caterina Cavalieri in die „geläufige Gurgel“ komponiert hatte. Im bravourösen Zierwerk, dem geforderten dramatischen Ausdruck und der ausgedehnten Anlage ist sie ein Prüfstein für jeden Koloratursopran. Hier erklingt sie im Vorspiel in recht getragenem Tempo und verhalten in der Stimmung, aber Traubel kann diesen Eindruck sogleich im ersten Einsatz korrigieren und neben der souveränen Bewältigung der virtuosen Anforderungen ein plastisches Psychogramm von Konstanzes seelischer Situation auffächern.  Lediglich der Abstieg in die tiefe Lage wirkt matt und substanzlos.

Eigens „für Madame Hoffer“ schrieb Mozart 1789 die Konzertarie „Schon lacht der holde Frühling“ – sein erstes Werk für die Sängerin und gedacht als Einlagearie für Paisiellos Il barbiere di Siviglia. Zunächst ist das Stück von lieblichem Charakter, wechselt aber bald zur Bravour mit  anspruchsvollen Verzierungen. Mit „Da sitze ich und weine“ setzt ein klagender Mittelteil ein, bis ein Da capo zurückführt zum Beginn und der Virtuosität wieder gebührenden Platz einräumt.

Überraschend erklingt zum Schluss der CD ein Duett – das von Annio und Servilia, „Ah perdona“, aus La Clemenza di Tito. Nach dem Tode von Hofers erstem Mann 1796 hatte sie den Bassisten Friedrich Sebastian Mayer geheiratet, mit dem sie 1798/99 in konzertanten Aufführungen der opera seria als Servilia aufgetreten war. 1801 wechselte sie zum Annio und damit – nach dem Oberon – ihrer zweiten Hosenrolle. Diese singt hier die Mezzosopranistin Deniz Uzun mit sehr delikater Stimme, während Sarah Traubel als Servilia mit feinen Tönen aufwartet und perfekt mit der Partnerin harmoniert.

Jochen Rieder begleitet die Solistin mit dem PKF – Prague Philharmonia sehr einfühlsam, setzt aber auch eigene Akzente und trägt damit wesentlich bei zum Hörgenuss, den diese CD bietet. Sie besitzt natürlich auch einen hohen editorischen Wert und ist zudem opulent ausgestattet. Lediglich ein Bilddokument des historischen Vorbilds vermisst man. Dabei existiert eine Abbildung mit der Hofer und dem Tenor Benedikt Schack aus Schikaneders Singspiel Die beiden Antone. Bernd Hoppe