Fiamme inutili

 

Viele Gedanken macht sich immer Simone Kermes, bevor sie eine neue CD veröffentlicht. Auch bei der ganz aktuellen mit dem Titel Inferno e Paradiso ist das der Fall, wieder vor allem barocke Arien, aber auch einige Titel aus der Unterhaltungsmusik, so von Sting, Lady Gaga oder Udo Jürgens, die der Arrangeur Jarkko Riihimäki in barocke Arien umkomponiert hat. Im Booklet geht es dann allerdings nicht mehr um Hölle und Himmel, sondern um die sieben Todsünden, denen sieben  Tugenden als Gegenpol dazu gegenübergestellt werden. Immerhin besteht eine Verbindung zwischen beiden, denn wer der ersteren frönt, endet im Inferno, wer sich zu letzteren bekennt, im Paradiso. Wo allerdings derjenige seine letzte Ruhestätte findet, der Kermes‘ Ratschlag befolgt und einen „Mittelweg“ wandelt, wird nicht verraten. Zumindest was die eigene Optik angeht, neigen sich die Portraits auf und im Booklet eher den üppigen Sünden als den demütigen Tugenden zu.

Vielleicht unter dem Schock stehend, wie viele Doktores in der letzten Zeit wegen „unwissenschaftlicher“ Dissertationen ihren Titel verloren haben, geht der Sopran besonders gewissenhaft in dem auch bei dieser CD wieder selbst verfassten Text vor, nennt als Fußnote die Quellen, aus denen sie geschöpft hat. Barock wie die Musik ist der überschwängliche Dank an alle Mitwirkenden, bei der Erläuterung der einzelnen Tracks zeigt sich die Sängerin auf dem letzten Stand der Diskussion um existenzielle Fragen wie Klimawandel und Terrorattacken und redet dem Leser ins Gewissen, denn „erst stirbt die Biene, dann stirbt der Mensch“.

Natürlich ist es nicht leicht, für jede der Tugenden und für jede Sünde eine passende Arie zu finden, selbst wenn man für die Völlerei ein „aber bitte mit Sahne“ bemüht oder für die Wollust Lady Gagas „Pokerface“, auch wenn hier befremdet, dass auch die Königin der Nacht derselben bezichtigt wird.  Manchmal kann man Simone Kermes in ihren Zuordnungen folgen wie bei Händels „Tu del ciel ministra“ der Keuschheit, oft aber auch nicht, so der Neid zu Hasses „Se tu non senti“ oder der Fleiß, der flugs zum Mut wird, so bei Broschis „Qual guerriero“.

Kein Zweifel kann daran bestehen, dass sich der Sopran voller Hingabe und mit Leidenschaft seiner Aufgabe widmet. Nicht immer aber genügen die stimmlichen Mittel den hohen Anforderungen, die die teilweise für die großen Kastratenstars komponierten Arien  an die Stimme stellen. So wird bereits im ersten Track,  bei Vincis „In braccio a mille furie“ der Ton nicht angemessen attackiert, werden die einzelnen Noten nicht ideal voneinander getrennt, spricht die Stimme nicht in allen Lagen gleich gut an, klingen die Koloraturen zu harmlos, als dass der Seelenzustand  der Mirtea angemessen hörbar würde. Für den San Nicola von Bononcini klingt der Sopran zu dünn, hat er für Hasses „Non ho più pace“ nicht genug Tiefe, wie die Intervallsprünge nach unten hören lassen. Manchmal wird Dramatik vorgetäuscht, kann die Spannung nicht gehalten werden wie bei Albinonis „Dopo i nembi“, klingt es hohl, wenn es dramatisch werden sollte wie bei Vivaldis „Gelida in ogni vena“. Bachs wunderbares „Erbarme dich, mein Gott“ erscheint hohl, wenn es traurig klingen soll, ist die Tongebung schwammig, auch mal hauchig. Beim letzten Track verwechselt die Sängerin verinnerlicht mit spannungslos und Broschis „Qual guerriero“ könnte beherzter klingen, hier wird vieles nur angetippt.

Dass Hausorchester von Simone Kermes, die Amici Veneziani, passen sich dem Gesangsstil der Sängerin perfekt an, einschließlich des Cellos in Caldaras „Pompe inutili“. Wer über viele Unzulänglichkeiten in der Ausführung hinweghören kann, weil er das bedingungslose Engagement für ein Kunstwerk mehr zu schätzen weiß als Perfektion, der kann an dieser CD durchaus seine Freude haben (Sony 19075963342). Ingrid Wanja