Feuerwerk

 

Bei einer neuen CD von Max Emanuel Cencic darf man immer etwas Besonderes erwarten – sei es hinsichtlich der Programmwahl oder der Interpretation. Auch die jetzt bei Decca veröffentlichte Anthologie von Arien neapolitanischer Komponisten ist ein Ereignis und unter die besten Aufnahmen des Countertenors einzuordnen (478 8422). Er singt Kompositionen von Porpora, Leo, Vinci, Alessandro Scarlatti und Pergolesi; von den elf eingespielten Arien sind nicht weniger als neun Premieren im Katalog.

Das Programm beginnt fuminant mit der Arie des Ulisse, „Quel vasto, quel fiero“, aus Porporas Polifemo, die in ihrer heroischen Bravour symptomatisch ist für den Stil der neapolitanischen opera seria. Der Solist brilliert hier mühelos mit auftrumpfenden Koloraturgirlanden und bewegt sich damit ganz auf den Spuren des legendären Kastraten Senesino, der einst den Ulisse gesungen und dabei nicht minder berühmte Partner wie Farinelli und Francesca Cuzzoni zur Seite hatte. Das Ensemble Il Pomo d’Oro unter Leitung von Maxim Emelyanychev begleitet mit heroischer Verve, wenn gefordert auch mit einfühlsamem lyrischem Gestus und ist dem Solisten bei dieser Einspielung ein inspirierender Partner. Von Porpora folgt später noch die Arie des Titelhelden, „Qual turbine che scende“, aus Germanico in Germania – auch diese gespickt mit Koloraturen, die in diesem Fall einen furiosen Wutausbruch schildern sollen. Hier war der erste Interpret Domenico Annibali, der ebenfalls eine Weltkarriere machte. Cencic betört mit einer perfekt ausgeglichenen und gerundeten Stimme sowie stupendem Zierwerk.

Sogar mit drei Stücken vertreten ist Porporas Zeitgenosse Leonardo Leo, der Metastasios Libretto Demetrio nicht weniger als viermal vertonte. Cencic singt aus der Version von 1735 die Arie des Demetrio „Dal suo gentil sembiante“, ein getragenes, kantables Stück, in welchem der Counter seine sanft kosende Stimme wunderbar ausschwingen lässt und für einen willkommenen Ruhepunkt zwischen den heldischen Nummern sorgt. Zwei Fassungen des Demetrio enthielten die Arie „Non fidi al mar“ , doch ist diese auch in dem 1740 in Mailand uraufgeführten Scipione nelle Spagne enthalten. Hier singt sie Indibile – und Cencic macht sie mit auftrumpfendem Aplomb und virtuoser Attacke zu einem Höhepunkt der Auswahl. Aus Siface erklingt die Arie des Titelhelden „No, non vedete mai“, welche der berühmte Altkastrat Giovanni Carestine kreierte, der besonders in getragenen, empfindsamen Arien große Wirkung zu erzielen wusste. Auch diese hier ist von solchem Charakter – elegisch, innig und tröstlich. Cencic demonstriert mit solchen Stücken nicht nur die Schönheit seiner Stimme, sondern sorgt geschickt für willkommene Abwechslung im Programm.

Max Emanuel Cencic/ Foto Hoffmann/ Decca

Max Emanuel Cencic/ Foto Hoffmann/ Decca

Durch die jüngsten szenischen Aufführungen von Artaserse und Catone in Utica wurde der Komponist Leonardo Vinci der Vergessenheit entrissen. Cencic singt aus Eraclea die Arie des Decio „In questa mia tempesta“ – eine dreiteilige Sturmarie mit fulminantem Koloraturwirbel, die vom Orchester mir erregtem Duktus aufregend eingeleitet wird. Der Sänger kann hier seine virtuose Kunstfertigkeit mit Koloraturläufen und getippten staccati imponierend zeigen.

Die Spitzenposition im Programm behauptet Alessandro Scarlatti mit nicht weniger als vier Arien – und jede stammt aus einem anderen Werk. Da gibt es kontrastreiche Stimmungen mit Arontes introvertiert-entrücktem „Miei pensieri“ aus Il prigioniero fortunato, Cambises energischem „Tutto appoggio“ aus Il Cambise, Policares zärtlichem „Care pupille belle“ aus Il Tigrane und Puppienos innigem  „Vago mio sole“ aus Massimo Puppieno. Gerade die Beispiele aus der Feder dieses Komponisten beweisen überzeugend die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten des Sängers, sein reiches Farbspektrum und die große Fülle an vokalem Raffinement.

Den Reigen der Vokalkomponisten komplettiert Giovanni Battista Pergolesi mit seiner Oper L’Olimpiade, aus der die Arie des Alcandro, „L’infelice in questo stato“, zu hören ist – ein sanft wiegendes Stück mit reizvollem Melos und sehnsuchtsvollem Ausdruck.

Zum Abschluss wird das Programm ergänzt durch ein unbekanntes Instrumentalstück, Domenico Aulettas Cembalokonzert in D-Dur, in welchem der Dirigent auch solistisch brillieren kann.Bernd Hoppe

 

Foto oben: Max Emanuel Cencic/ Foto Hoffmann/ Decca