Bedauerlicher Irrtum

 

Meint man nach dem Anhören spätestens des dritten Tracks einer CD, es müsse sich bei der Aufnahme um einen Irrtum handeln, dann schaut man bei Operabase nach, welches Repertoire denn nun das tatsächlich auf den Opernbühnen der Welt vom Künstler gesungene ist. Meistens stellt sich dann heraus, dass Live- und CD-Repertoire nicht übereinstimmen, die Arien auf der CD weitaus dramatischer sind, als es die Stimme hergeben kann, wobei sogar oft noch das jeweils am wenigsten dramatische Stück einer Partie ausgesucht wurde, diese in ihrer Gänze für die Stimme eine Unmöglichkeit darstellen würde. Im Booklet von I Vespri Verdiani – Verdi Arias, gesungen von Olga Mykytenko,  wird zwar  die Frage gestellt: „Gibt es das, den „Verdi-Sopran“, und man kann man sich immerhin zu einer überzeugenden Antwort durchringen. Danach ist ausschlaggebend „der Anspruch – besonders im mittleren Register – eine getragene cantabile Linie bieten zu können; ein großer stimmlicher Umfang, der sowohl eine leicht-schwebende Höhe als auch eine gut gestützte Bruststimme umfasst; eine ausreichende Wärme des Tons, um die Charaktere durch den Text mit Leben zu erfüllen, wobei allein die Stimme das Drama entstehen lässt“.

Gäbe es diesen Text nicht, würde manch unbedarfter Hörer mit der vorliegenden CD recht zufrieden sein können, vergleicht man jedoch Anspruch und Ausführung miteinander, werden bedauerliche Defizite offenbar. Zwar ist die Partie der Amalia aus I Masnadieri einst für Jenny Lind komponiert worden, aber trotzdem sollte die Stimme nicht den Eindruck von Kindlichkeit erwecken, sollte sie nicht zu mädchenhaft und zerbrechlich wirken, sollte der Unterton ein tragischer, nicht ein trübsinniger sein, auch wenn die Cabaletta vom leichten Tonansatz des Soprans profitiert.

Das Gebet der Ballo-Amelia wird zwar stimmtechnisch bewältigt, lässt aber keine reife Frau und Mutter vernehmen, klingt zu bemüht eindringlich und in der Kadenz zu zirpend. Hier und dann bei der Trovatore-Leonora klingt das Italienische nicht besonders idiomatisch, fehlen für die Rolle corpo, Rundung, Fülle, ist die Partie einfach eine Nummer zu groß – wurde von der Sängerin übrigens, zumindest in den letzten Jahren, auch nicht auf der Bühne gesungen, auf der man sie nur als Amalia, Luisa und Violetta sowie Gilda in Verdi-Partien erlebte. In dieser Arie kann nur die leichte Höhe, kann die Cabaletta gefallen. Die Arie der Elena aus den Vespri vermittelt in der Darbietung durch Mykytenko wenig von der tragischen Situation, in der sie gesungen wird, alles klingt viel zu idyllisch, der Sopran ist einfach zu leicht für die Partie, und selbst für den anschließenden Bolero aus dem selben Werk fehlt notwendiger Nachdruck. Zur Medora aus Il Corsaro passt die Stimme besser, vor allem zur Harfenbegleitung, sanft-elegisch kann sie sich ergehen und damit gefallen. Fehlgeleitet hingegen ist sie wieder mit Odabella, da passt der Charakter der Figur einfach nicht zum Stimmmaterial, kann Nachdrücklichkeit nicht Substanz ersetzen, wird die Cavatine silbenverschluckend gesungen, und auch „Liberamente or piangi“, in dem die Stimme schön geflutet wird, ist allzu lieblich, selbst wenn das Orchester zusätzliche Farben beisteuert. Besonders in der Auftrittsarie der Elvira aus Ernani wird deutlich, wie sehr es sich zurücknimmt und doch nicht verhindern kann, dass man ein Schulmädchen und keine stolze spanische Adlige zu vernehmen glaubt. Keine glückliche Wahl ist auch die Lady Macbeth. Da ist im“ Ambizioso spirto“ weder ein grandioso noch ein maestoso zu hören, Spreizen des Timbres ist kein Mittel, die Stimme größer erscheinen zu lassen. Der Schluss des Nachtwandelns wird gut gesungen, insgesamt aber ist der Sopran zu hell. Luisa Miller bedarf für ihr Gebet einer präsenteren Mittellage, die große Arie aus dem ersten Akt von Traviata ist am besten für die Stimme geeignet- aber der Rest der Partie? Kirill Karabits stellt sich mit dem Bournemouth Symphony Orchestra gut auf die Bedürfnisse der Solistin ein. Kehrt man zum Ausgangspunkt, zu den Behauptungen des Booklets, zurück, muss man mit Bedauern feststellen, dass die Stimme Olga Mykytenkos leider keine typische Verdi-Stimme ist (Chandos 20144). Ingrid Wanja