Starke Sänger

 

Kaum ein Komponist würde es wagen, einem frischgebackenen König eine komische Oper als musikalische Weihe vorzusetzen. Gioacchino Rossini hat sich getraut. Jetzt ist sein Viaggio á Reims als Neueinspielung bei Naxos erschienen – ein Mitschnitt vom Rossini-Festival in Bad Wildbad von 2014.

Die Auftragsarbeit zur Krönung des neuen französischen Königs Karl X. 1825 war für Rossini eine der wichtigsten Arbeiten seiner Karriere. Rossini wollte sich endgültig in Paris etablieren, wollte die Anerkennung der höchsten Kreise dort. Dieser Viaggio á Reims ist ein Wendepunkt in seiner Karriere – die allerletzte italienische Oper aus seiner Feder und gleichzeitig die erste für Frankreich.

Es ist vermutlich die witzigste Krönungsoper überhaupt. Und wieder mal typisch Rossini – absolut absurdes Musiktheater. Die Reise nach Reims findet nämlich nie statt. Reims war die traditionelle Krönungsstadt der Franzosen, da soll Karl X. denn auch gekrönt werden. Die Oper spielt irgendwo in Frankreich in einem Provinzhotel, wo eine internationale Belegschaft aus Russen, Polen, Italienern, Deutschen und Schweizern (heute würden wir sagen Event-Touristen) auf die Weiterreise nach Reims wartet. Aber es stellt sich heraus, dass alle Kutschen und Pferde vermietet sind; man ist steckengeblieben, und so arrangiert die Gesellschaft im Hotel eine eigene kleine Feier. Das ist textlich wirklich geschickt gemacht und erlaubt die üblichen kleinen Liebesintrigen, Späße und Flirtereien, die man von einer Buffa erwartet. Trotzdem kann der Komponist auf den Krönungsanlass eingehen.

Bad Wildbad contra Pesaro: In Rossinis heiterem opus magnum treibt er einfach alles, was er bisher gelernt hat, auf die Spitze, es ist eine Oper der Superlative: Harmonik, Instrumentierung, Stimmsatz der Ensembles, Virtuosität der Auszierungen, melodische Einfälle: alles erreicht hier einen qualitativen und zuweilen auch quantitativen Gipfelpunkt. Man braucht zum Beispiel das doppelte Personal wie für eine normale komische Oper, nämlich 14 exzellente Solo-Stimmen. Das macht es schwer, dieses Werk adäquat zu besetzen.

Tatsächlich hat es bis zur Jahrtausendwende kaum ein Dirigent außer Abbado gewagt, das Monstrum aufzuführen. Abbado hatte die perfekten Kontakte zu den weltbesten Rossini-Sängern. Das hat sich seit einigen

Jahren geändert. Inzwischen ist das Werk keine Edel-Rarität mehr, sondern gehört zur Reihe der wirklich beliebten Rossini-Opern, zumal für junge Sänger. Beim Rossini-Festival in Pesaro ist der Viaggio nun schon seit längerer Zeit jedes Jahr zu sehen, immer mit jungen Nachwuchskünstlern. Und da war es wohl an der Zeit, dass das andre „kleine“ jährliche Rossini-Festival in Bad Wildbad 2014 endlich mit einer eignen Produktion nachzog.

Fast perfekte Sängerriege: Belcanto-Freunde wissen: der kleine Pesaro-Bruder in Deutschland ist der italienischen Konkurrenz mittlerweile gut gewachsen. Das beweist diese Einspielung einmal mehr. Es gibt eine erstrangige Pesaro-würdige Männer-Garde. Maxim Mironov und Bogdan Milhai sind die beiden virtuosen Tenöre mit atemberaubenden Spitzentönen, die Bass-Riege wird markant und brillant ausgefüllt u.a. von Belcanto-Ikonen wie Bruno de Simone und Bruno Praticò.

Und fast alle Damen sind ausgezeichnet, besonders Sofia Mchedlishvilli, die die haarsträubend schwierige Partie der Contessa wirklich rockt! Die einzige Sängerin, die mir im Ensemble etwas abzufallen scheint wegen ihres etwas scharfen Timbres ist die Corinna – Laura Giordano. Aber das sind insgesamt dreizehneinhalb von vierzehn Punkten! Da kann man bei solch einem schwierigen Werk wirklich mehr als zufrieden sein. Und Antonino Fogliani, inzwischen gestandener Wildbad-Dirigent, zeigt hier einmal mehr, dass er Rossinis musikalische Pointen witzig und intelligent zu setzen weiß (Mit Laura Giordano, Marianna Pizzolato, Sofia Mchedlishvili, Alessandra Marianelli, Bogdan Mihai, Maxim Mironow, Bruno de Simone, Camerata Bach Choir, Virtuosi Brunensis (Leitung Antonino Fogliani; 2CD Naxos 8.660382-84). Matthias Käther

  1. Philipp Schwarz

    Erstaunliches aus Wildbad
    Einen Zusammenschnitt dreier Aufführungen vom Juli 2014 aus Wildbad präsentiert NAXOS auf 3 CD’s als „Live-Aufnahme“ der selten gespielten Oper IL VIAGGIO A REIMS von Rossini. Erstaunlich ist das allemal, denn man beansprucht für sich, erstmalig das komplette Werk aufgenommen zu haben. Zu diesem Zweck hat man ein überwiegend junges Sänger-Ensemble engagiert und überrascht mit vokalen Spitzenleistungen, hörbarer Spielfreude und einem Feuerwerk aus spritzigen Melodien und teilweise perfekt aufeinander abgestimmten Aktionen. Hauptverantwortlich für diesen Erfolg sind sicherlich die Virtuosi Brunensis unter der Leitung von Antonino Fogliani, aber auch einige der Solisten bleiben durch verblüffende vokale Leistungen nachhaltig im Gedächtnis. So sind die Darsteller/innen der Corinna (Laura Giordano), der Contessa (Sofia Mchedlishvili) und des Conte di Libenskof (Maxim Mironov) besonders erwähnenswert. Besonders Letzterer hat im internationalen Opernzirkus (vielleicht ganz bewusst?) nicht die Prominenz erreicht, die ihm leistungsgerecht zustehen würde… (Juan Diego Florez hat wohl das bessere Marketing – aber zwischen diesen beiden Künstlerpersönlichkeiten liegen keineswegs Welten, sondern allenfalls Nuancen…). Insgesamt ist diese Aufnahme eine lohnenswerte Anschaffung und wird auch beim wiederholten Hören nie langweilig, dennoch – die legendäre Aufnahme von 1984 wird in keinem Moment übertroffen. Sie bleibt unerreicht – schon wegen Claudio Abbado!!!

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