Quer durch die nordische See

 

Nachdem Edward Gardner 2007 den Chefposten der English National Opera übernommen hatte, gehörte Peter Grimes bald zu den Schlüsselwerken seiner Ägide. Verständlich, dass er das Werk auch in Bergen zeigen wollte, wo er seit 2013 amtiert. Mit nicht unbeträchtlichem Aufwand versammelte er rund hundertfünfzig Chorsänger aus vier Chorkollektive aus Norwegen – den Bergen Philharmonic Choir, Choir of Collegium Musicum und Edvard Grieg Kor – und vom Royal Northern College of Music, um George Crabbes Dorf von der Ostküste Englands in Norwegen entstehen zu lassen, wo in Bergens schicker Grieghallen im November 2019 diese Chandos-Aufnahme entstand (2 CDs CHSA 5250), der bereits 2017 Aufführungen vorausgegangen waren. Von betörender Schönheit erklingt das erste Interlude mit dem anschließenden Chor „Welcome the hour when fishing through the tide“, der von solch klangseeliger Sanftheit und präziser Klarheit ist, dass man dahinter nicht den aufgebrachten kleinstädtischen Mob vermutet würde, der sich später gegen Peter Grimes stellen wird und mit präziser Wucht und so nie erlebter Fülle seine „Peter Grimes“-Rufe wiederholt. Eine Idylle, die später gesprengt wird. Gardner ist ein achtsamer Klangdramaturg, der die Protagonisten bildhaft aus den Kulissen treten lässt: die Pub-Betreiberin Auntie („Hell may be fiery but the pub won’t burn“), den Methodisten Bob Boles, den Fuhrmann Hobson, die von Laudanum abhängige Witwe Mrs. Sedley („I have never been in a pub in my life“) und die Lehrerin Ellen Orford als Stimme der Vernunft („Cast the first stone“), es ergibt ein flüsterndes, plapperndes Dorfbild. Inmitten die „lonely soul“ Peter Grimes. Er wurde von leichteren Tenören wie Peter Pears, Anthony Rolfe Johnson, Philip Langridge wie von Heldentenören, darunter der enigmatische Jon Vickers oder Ben Heppner, gesungen. Stuart Skelton, gehört eindeutig zur zweiten Gruppe und liefert das psychologische Porträt eines Zerrütteten und Ausgestoßenen von großer Eindringlichkeit. Behutsam, die Nerven quasi gespannt, gefangen und ausgeliefert, was er in seinem Gesang mit manchmal fast brechendem Tenor nachzeichnet. Skelton hat den Fischer bereits an der ENO gesungen, mit Gardner in Edinburgh, beim South Bank Festival und Oslo präsentiert und verbindet subtile Einzelmomente („Now the Great Bear and the Pleiades“) von düsterer Beklommenheit und die großen bedrohlich-resignativen Monologe des zweiten Aktes, schließlich die Angst und Verzweiflung am Ende, zu einem einzigartigen Strom der Gefühle. Diesen seelischen Sturm entfacht auch Gardner mit theatralischer Wucht, Spannung und Leidenschaft, orchestral glühend und heftig, natürlich, doch nicht nur, in den Interludes, vor allem der großartigen Passacaglia, welche die beiden Szene des zweiten Aktes verbindet, was das Bergen Philharmonic Orchestra glänzend umsetzt und die Aufnahmetechnik, die auch eine fabelhaft plastische und unmittelbare Breitwandszene zeichnet, staunenswert einfängt. Die Aufnahme kann neben den großen Beispielen von Britten, Davis (gleich zweimal) oder Haitink bestehen. Daneben hat Gardner mit Susan Bickley als Auntie, Catherine Wyn-Rogers als Mrs. Sedley routinierte Britten-Sängerinnen mit nach Bergen genommen, dazu den lyrisch wendigen Bariton Roderick Williams, der dem Balstrode freundliche und sympathische Züge verleiht und fast zu jung für den ehemaligen Kapitän und das Gewissen von Peter Grimes ist. Die Tenöre Robert Murray und James Gilchrist steuern als Boles und Reverend Adams, die Bässe Barnaby Rea und Neal Davies als Hobson und Swallow kleine Charakterporträts bei und geben den Chargenrollen Gesicht, die Nichten der Mrs. Sedley bleiben, wie so häufig, verschwommen (Hanna Susáhr, Vibeke Kristensen), mit Erin Walls spitzer Ellen Orford muss man sich anfreunden (Chandos 5250, 2 CD mit Booklet). Rolf Fath