Halévys Oper „La Reine de Chypre“

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Nun endlich, nach so vielen Jahren des Wartens, beschert der Opernhimmel uneingeschränktes Glück: Halévys Grand opéra La Reine de Chypre auf CD (als „Nebenprodukt“ des Konzertes im Pariser Théâtre des Champs-Elysées am 9. Juni 2017 im Rahmen des 5. Palazetto-Opernfestivals, über das in operalounge.de so viel berichtet wurde). Es war die zypriotische Königin (in Volker Tostas Ausgabe von der Edition Nordstern), die das Rennen machte, die damals wie nun heute Ohr und Geist erfreut und die das Genre der Grand opéra zum Besten vorführt. Nun gibt es sie bei Ediciones Singulares im eleganten CD-Booklet und mit den üppigen zweisprachigen Beiträgen zum Werk (2CD ES1032).

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Als im Vorfeld des Konzertes 2017 die Absage nun auch des zweiten Tenors (nach dem originalen Marc Laho wurde dann Cyrille Dubois krank) für die Duprez-Partie des Gérard bekannt wurde, seufzte der angereiste Besucher tief auf, und natürlich konnte Sébastien Droy kein ausreichender Ersatz sein, hatte er die Noten doch erst vormittags bekommen. Aber um der Ehre willen muss man auch sagen, dass er wirklich alles und dies mit Erfolg gab, um die Figur des schmachtenden Liebhabers mit ihren mehr als anspruchsvollen musikalischen Anforderungen (Duprez eben) zu skizzieren. Den vielen fast unmenschlichen hohen Noten kam er geschickt mit starkem Einsatz der Kopfstimme bei und sang an den entscheidenden Stellen und vor allem im 5. Akt mit Engagement und leidenschaftlichem  Elan – eine bewundernswerte Leistung, die den rappelvollen Abend rettete.

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In der neuen Aufnahme ist nun Cyrille Dubois zu hören, der seinen Part mit Glanz versieht. Vielleicht ist die Stimme ein Quentchen zu lyrisch, aber er meistert furchtlos die geforderten Höhen und die gewünschte Emotion. Mich stört gelegentlich der weiche Gaumen (soft palate syndrome) im Stimmansatz, aber das sind unnötige Kritteleien. Dubois, den wir in letzter Zeit in vielen Aufnahmen und Konzerten des französischen Repertoires hören (auch in Berlin in der konzertanten Dinorah) ist eine pure Freude und ein jugendlich-romantischer Vertreter seines Fachs. Chapeau.

Die im Umfeld des Konzertes eingespielte Studio-Aufnahme (wie auch der konzertante Abend) profitiert vor allem vom erstklassigen Französisch der durchweg frankophonen Èquipe – das ist  französische Diktion vom Feinsten. Und das eben führte vor, was französische Oper ist: gesungene Deklamation, wozu die langen Parlandi der Oper ausreichend Gelegenheit gaben, darin La Juive ähnlich. Es ist wunderbar, Franzosen ihre eigene Sprache singen zu hören. Und bevor sich eine Hand des Protestes regt: Dies gilt auch für Christophoros Stamboglis in der Partie des venezianischen Senators Andrea, dessen angedrohter Tod durch den Bösewicht Moncénigo der Auslöser für die Handlung ist. Stamboglis hat viel in Frankreich und viel Französisches gesungen und macht einen erstklassigen Bass-Job. Bemerkenswert ist Eric Huchet mit markantem Tenor in der Partie des erwähnten Fieslings Moincénigo, dessen Erpressung das junge Liebespaar Catarina und Gérard trennt und sie auf den Thron von Zypern bringt, wo König Lusignano unwissentlich dem Konkurrenten erst das Leben rettet und ihm anschließend – von Moncinégo vergiftet – Thron, Frau und Kind übergibt. Was für ein Finale. Mit allem Drum-und-Dran.

Halévys „La Reine de Chypre“ im Konzert 2017/ Foto Gaelle Astier Perret/ Palazetto Bru Zane

Wie in Monte-Carlo als französischer Wolfram beeindruckt als großherziger König der Bariton Étienne Dupuis mit schön geführter Stimme, mit zum Teil wirklich balsamischen Noten und markantem Timbre – eine Besetzung de luxe.

Und sie? La reine même? Ganz wunderbar! Véronique Gens, die Hausprimadonna des Palazetto auf so vielen Aufnahmen und neu mit einem bemerkenswertem Album französischer Arien der Romantik bei Alpha ist in Bestform. Die Stimme weit und im Timbre dunkel, falcon-gleich und absolut ideal für diese Partie der Catarina Cornaro, der sie Drama, Zärtlichkeit und Fraulichkeit verlieh, die Tiefen durchaus auch mal brustig und die Höhen sicher und leuchtend. Zudem ist ihre Deklamation viel prägnanter geworden (naja, weitgehend…). Artavazd Sargsyan und Tomislav Lavoie ergänzen angenehm in den kleinen Partien. Es ist  wirklich ein Erlebnis, eine fast ausschließlich französische Besetzung zu erleben, der Frau Gens die Krone aufsetzte. Vraiment une reine.

Am Pult des schlagkräftigen flämischen Radio-Chores und des Orchestre de chambre de Paris steht Hervé  Niquet, der am Abend selbst launige Zwischenbemerkungen verteilte, Ortsführungen machte und den eingesprungenen Tenor ehrte. Er zeigt eine straffe Hand, treibt die Tempi und das Volumen voran, hat Zeit für die emotionalen Momente (und lässt unverstellt auch die Assoziationen an Halévys Zeitgenossen wie Donizetti/ Dom Sébastien, Meyerbeer/ Les Huguénots und Robert oder auch Offenbach/ La Grande Duchesse zu), aber eben auch den Drive für das Drama – eine mehr als gelungene musikalische Ergänzung zu den hervorragenden Sängern. Das Herz des Melomanen scheint fast zu bersten vor Glück! Stefan Lauter

Ein mythischer Titel: „La Reine de Chypre“ von Halévy war so beliebt, dass sie auf einer Beilagenkarte erschien/ Chocolat Guérin-Boutron/ OBA

La Reine de Chypre von 1841 ist – im Libretto von Jules-Henri Vernoy de Saint-Georges – als Grand opéra in 5 Akten die Geschichte der Catarina Cornaro, wie wir sie von Donizetti (1843, neben Lachner 1841,  Balfe 1844 und manchen anderen Komponisten der Zeit wie Pacini) kennen. Das Sujet ist – abgesehen von der Musik – insofern bemerkenswert, als Halévy sich wie in La Juive und Charles VI. erneut einer Periode der ferneren Geschichte zuwendet und damit von der akuten sozialen Problemen im Frankreich der Bürgerkriegskämpfe und der erdrückenden Restauration ablenkte oder sie zumindest verklausuliert – Oper wieder einmal als Fluchtpunkt also. G. H.

Dennoch – Diana Hallman schreibt dazu auf der Website vom Palazetto Bru Zane (und im Booklet): Laut seinem Bruder Léon Halévy, dem künstlerischen und biographischen Mitarbeiter des Komponisten, war eine der wichtigsten Inspirationsquellen der“ düstere und mysteriöse Terror“ von Venedig. Dieses Bild der Stadt zeichnete sich in zahlreichen sehr politischen Darstellungen der Republik Venedig, die auf den geheimen Despotismus der herrschenden Patrizier anspielten oder diesen offen verurteilten. Dieser „Terror“, den Léon Halévy erwähnt, entspricht einer üblichen Vorstellung der venezianischen Tyrannei, die in Theaterstücken, Opern und historischen Büchern dargestellt wurde, die auf metaphorische Weise den Machtmissbrauch darstellten.

Zu „La Reine de Chypre“: Rosine Stoltz war die Sängerin der Tirelrolle in der Uraufführung, hier auf einem Foto von 1856/ Nadar/ OBA

Wie der Historiker James H. Johnson betont, wurde dieser Mythos der venezianischen Tyrannei vor allem im Drama Blanche und Montcassin oder in Les Véniciens von Antoine-Vincent Arnault (1798) hervorgehoben. Das Werk enthielt eine ideologische Nähe mit der revolutionären Rhetorik von Napoléon und seinen Militäraktionen um Venedig anlässlich des Italienfeldzugs von 1796 – 1797 vom Rat der Zehn und der staatlichen Inquisition zu befreien. Diese politische Verbindung, die Widmung des Stücks an Napoleon und die Tatsache, dass Arnault den originalen glücklichen Schluss durch ein tragisches Ende ersetzt hat, führte wohl zum Verbot seiner Werke nach den „Zehn Tagen“, zu seinem Ausschluss aus der Académie francaise und seinem Exil fern von Frankreich bis 1819. Das Stück Arnault zeichnet klar einen unterdrückenden Staatsrat: Der Vater von Blanche, der dazu gehört, zwingt sie, ihren geliebten Montcassin, einen Normannen, zu verlassen, um einen politisch brauchbareren Heiratskandidaten zu heiraten. Eine oper, inspiriert vom Stück „Bianca e Falliero, o sia Il Consiglio dei Tre“ von Gioachino Rossini und Felice Romani, uraufgeführt 1819 an der Scala, verkleinert den Despotismus, der im Werk von Arnault so vorherrscht. Dagegen prangert Lord Byron, dem Werk  Arnault viel näher Venedig in seinem Stück von 1821 an, Marino Faliero, wo der Doge des 14. Jhdts. verhaftet und enthauptet wurde, weil er einen Staatsstreich gegen die Aristokraten, die die Stadt regierten, versucht hatte. Marino Faliero von Gaetano Donizetti zeigt eine andere Version der Gesichte des unglücklichen Faliero. Diese Oper von 1835, deren Libretto eher eine Adaption von Giovanni Emanuele Bidera der Tagödie von Casimir Delavigne als des Stücks von Byron  ist, kritisiert die Institutionen von Venedig weniger. Giuseppe Verdi und Francesco-Maria Piave zeichneten die Repression der Stadt in ihrer Adaption des Stücks von Byron “The two Foscari“ unter dem Titel „I Due Foscari“, uraufgeführt in Rom 1844, viel stärker.

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Konform mit der politischen Botschaft vieler solchen venezianischer Dramen, ebenso wie die anti-autoritären Akzente der Juive, der Huguénots und anderen der Reine de Chypre vorangehenden großen Opern, erinnert die Geschichte von Catarina Cornaro, die von  Saint-Georges und Halévy dargestellt wurde, vor dem Hintergrund der Verbindung zwischen Venedig und Zypern, an ähnliche Darstellungen der venezianischen Tyrannei. Die napoleonische Ideologie ist merkbar in der düsteren Art, wie die Oper Pietro Mocenigo, ein Mitglied des Rats der Zehn, darstellt, der den Patrizier Andrea mit dem Tod bedroht, wenn er dem Befehl Venedigs nicht Folge leistet: Er muss die Heirat seiner Nichte Catarina mit den Adligen Gérard de Courcy verhindern. Um die düstere Macht von Mocenigo auszudrücken, erfindet Halévy ein sich wiederholendes Motiv, das auf einem beunruhigenden Ostinato von sich wiederholenden Noten basiert ist, das C-Moll beginnt während seiner Gespräche mit Andrea, der gezwungen wird, die Hand des Mädchens den zypriotischen König Jacques de Lusignan zu geben, wodurch die Herrschaft Venedigs in Zypern gesichert wird. Die Verwandtschaft dieser Behandlung mit den dramatischen Werken vonArnault – diu gebrochene Verlobung und die erzwungene Heirat aus politischen Gründen – lässt vermuten, dass es eine Verbindung mit der Quelle seines Werks von 1798 gibt, eine Möglichkeit, die umso wahrscheinlicher wird, wenn man die enge Verbindung zwischen Arnault und dem Bruder von Halévy, Léon, bedenkt, aber auch den Einfluss, den der Dramaturg am Beginn der Julimonarchie zurückgewann. Es ist interessant eine versteckte Anspielung erkennen zu können bezüglich der repressiven Maßnahmen Frankreichs gegen Arnault, sein erzwungenes Exil und das Verbot seiner Werke. Diana Hallman (Quelle Palazetto Bru Zane/ Übersetzung Ingrid Englitsch)

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Zu „La Reine de Chypre“: Marmorbüste von Caterina Cornaro von Romano in Asolo/ Wiki

Spannend ist das Libretto insofern auch, als hier es die Titelheldin ist, die das Geschick der anderen lenkt, was in den Opern Frankreichs jener Zeit, anders als Italien (bei Rossini, Bellini, Donizetti) eher unüblich war. Angesichts der übrigen zeitgenössischen Opern, in denen wie bei Auber, Donizetti (Dom Sébastien), Niedermeyer (Stradella) oder auch in weiteren Opern Halévys selbst hier die politisch Handelnde eben eine Frau ist, werden sonst die Männer als Agierende gezeigt. Halévys Hinwendung zu einer Frau als politische, sozio-historische Kraft passt zu einer aufkommenden Prominenz starker Frauen in Frankreich, denen die Johanna von Orléans als Leitbild voranschritt (so die Odette in Halévys Charles VI 1840) – die Mitte des Jahrhunderts wird die Zeit der Frauen in der Öffentlichkeit, sogar in Hosen wie Georges Sand. Sängerinnen wie Rosine Stoltz und Pauline Viardot sorgen in der Oper dafür.

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Die Resonanz der Reine de Chypre war enorm – auch Richard Wagner (dem fälschlich immer wieder eine akute Abneigung gegen die französische Oper angedichtet wird, was nicht stimmt, war er doch mit vielen Komponisten in seinen Pariser Jahren befreundet oder bekannt und verdiente er sich ein Zubrot mit dem Erstellen von Reduktionen ganzer Opern für Klavier oder kleine Kammergruppe, so auch La Reine de Chypre oder die bereits vorgestellten anderen Opern von Auber und Halévy) war von der zyprischen Königin eingenommen und schrieb in der Revue et Gazette musicale 1842 ebenso Lustiges wie Lobendes über Halévys Werk und Saint-Georges Libretto (davon nachstehend Auszüge). Man kann sogar Parallelen sehen zu eigenen Wagnerschen Werken, was die Deklamation, Erinnerungsmotive und im musikalischen Bereich die Verwendung des Bleches und der Chromatismen betrifft. Erinnerungsmotive verwendet Halévy im Orchester, wenn die düsteren Pläne des Venezianischen Senats im Libretto oder im Bühnengeschehen Thema werden, dem Lohengrin und Tannhäuser nicht unähnlich. In diesen Opern finden sich auch die Gleichgesinnten der starken Frauen Wagners, die eine Männerwelt aufmischen und in ihrem Beharrungsvermögen einen neuen Frauentyp aufzeigen. Senta im Holländer oder Elisabeth im Tannhäuser sind gute Beispiele dafür.

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Zu „La Reine de Chypre“: Esquisse de décor de l’acte IV (le grande place de Nicosie) de la „Reine de Chypre“ par Charles Cambon/ Gallica/ BNO

Unter allen Opern, die Wagner in seiner Pariser Zeit hörte und kommentierte, kommt die Reine de Chypre am besten weg (wenngleich er La Juive für die wertvollere hält). Er bewundert Halévys Methode, die Stimmen fast nackt und rhythmisch-syllabisch und nicht wie gewohnt virtuos-melismatisch zu präsentieren. Er schätzt den charakteristischen Gebrauch des Orchesters – so die Verwendung des Blechs in der Krönungsszene des IV. Aktes sowohl auf der Bühne wie auch im Graben. Wagner sah Halévy vor allen anderen französischen Kollegen als einen Neuerer unter den Traditionalisten. Und empfiehlt ihn seinen deutschen Kollegen als Vorbild eines Opernkomponisten.

La reine de Chypre von Fromenthal Halévy wurde am 22. Dezember 1841 an der Pariser Oper (Salle Pelletier) uraufgeführt – eine illustre Besetzung wurde von der gefürchteten Pariser Primadonna Rosine Stoltz angeführt, deswegen auch die Beschränkung auf nur eine weibliche Hauptrolle (anders als in La Juive). Die Stoltz war für ihre Intrigen bekannt, wie Donizetti und selbst Verdi leidvoll feststellen mussten. Aber sie war die gefeierte Primadonna ihrer Zeit, ein Publikumsmagnet. Neben ihr traten die Besten der Pariser Oper auf: Gilbert Duprez als Tenorschwarm Gérard und Paul Barrhoilet als fieser Lusignan, beides Größen vergleichbar mit Corelli oder Cappuccilli vielleicht. Auch sie hoch in der Gunst der Besucher und erfahrene Profis. Die prunkvolle Bühne stammte vom Erfolgsteam Cambon & Philastre. Später sang die uns aus Wagners französischem Tannhäuser bekannte Fortunata Tedesco (dort die Vénus) die Titelpartie. Die Oper hielt sich in Paris bis 1878.  G. H.

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Zu „La Reine de Chypre“: Fromenthal Halévy/ Foto Nadar/ Taschen

Nachfolgend ein Text des renommierten Doyen der Musikwissenschaft und Opernforschung Sieghart Döhring zur Bedeutung der Reine de Chypre in ihrer Zeit:  Das auf eine authentische Episode aus der venezianischen Geschichte zurückgehende Libret­to stellt eine romantisch-melancholische Liebeshand­lung der gedämpften Affekte in ein kontrastreiches historisches Ambiente, das ein weites Couleur-locale– Spektrum für Musik und Szene erschließt. Weniger überzeugt, wie schon in Guido et Ginevra (1838), die allzu kopflastige dramaturgische Anlage: Der im I. Akt knapp und prägnant exponierte Konflikt zwi­schen Liebe und Staatsräson wird bereits im II. Akt zugunsten der letzteren entschieden. Das Fehlen einer Peripetie führt in den drei noch folgenden Akten zu einem Spannungsabfall, den auch pittoreske Genre­szenen und repräsentativer Pomp nicht auszugleichen vermögen. Zumal im IV. Akt (Einfahrt der festlich geschmückten venezianischen Staatsgaleere in den Hafen von Nikosia; »Cortege« der Trauungszeremo­nie) erstickt die Handlung unter der Pracht der Szene, die von der Musik nur dekorativ verstärkt, aber nicht dramatisch belebt wird.

Halévys Vertonung zeigt ihre Vorzüge überall dort, wo es die innere Dynamik seelischer Konflikte subtil und spannungsvoll zu ge­stalten gilt. Herausragende Beispiele sind aus dem II.  Akt die große Arie der zwischen Resignation und Hoffnung schwankenden Catarina (»Le gondolier dans sa pauvre nacelle«) und ihr von Theophile Gau­tier als »fort dramatique« bewundertes Duett mit Gé­rard (»Arbitre de ma vie«) sowie aus dem V. Akt die Szenen um den sterbenden Lusignan, für deren unter­gründige Leidenschaftlichkeit Halévy eine differen­zierte musikalische Ausdruckspalette der »gedeckten« Farben aufbietet. Die Melodik der Reine de Chypre erhält ihr Gepräge durch ein an Gaetano Donizettis späten Opern orientiertes italianisierendes Brio, das nicht auf einzelne Nummern beschränkt bleibt, son­dern dem vokalen Idiom insgesamt ungewohnte Ge­schmeidigkeit und Eleganz verleiht. Dies gilt freilich nicht für die populärste Nummer der Oper, das Freundschaftsduett Gerard/Lusignan »Salut à cette noble France« (III. Akt), das musikalisch einen kon­ventionellen Marschtypus ausbeutet und textlich allzu unverhohlen an einen Patriotismus appelliert, den sensiblere Zeitgenossen (Hector Berlioz, Gautier) schon als tendenziell chauvinistisch empfanden.

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Halevys „Reine de Chypre“/ illustrierter Klavierauszug um 1860/ Wikipedia

erbreitung: Mit La Reine de Chypre  gelang es Halévy, an den Erfolg von La Juive (1835) anzuknüpfen. Die schon in Donizettis La Favorite (1840) erprobte Trias Rosine Stoltz (Catarina), Gilbert Duprez (Gérard) und Paul Barrhoilhet (Lusignan), mit der sich die Hauptrollen-Distribution (Mezzo-) Sopran/Tenor/Bariton auch in der Grand opéra verfestigte, dominierte ein Ensemble aus den Spitzenkräften des Hauses. Von verschwenderischer Pracht waren die Bühnenbilder (Charles-Antoine Cambon und Humanite Rene Philastre) und Kostüme; die Mise en scene des IV. Akts gehörte zu den Ausstattungstriumphen der Opera im 19. Jahrhundert. Bis 1858 stand La Reine nahezu jährlich auf dem Spielplan der Opera und erreichte insgesamt 118 Aufführungen. Zu den späteren Inter­preten gehörten unter anderem Fortunata Tedesco, Adelaide Borghi-Mamo (Catarina), Felix Mécène Marie de l’Isle und Gustave-Hippolyte Roger (Gé­rard). In der Salle Garnier kam es 1877 nochmals zu einer Inszenierung (Catarina: Rosine Bloch, Gérard: Pierre Frangois Villaret, Lusignan: Jean-Louis Lassal­le), die es bis 1878 auf 33 Wiederholungen brachte. Auch außerhalb von Paris war La Reine de Chypre jahrzehntelang Erfolg beschieden. Aufführungen gab es in Antwerpen 1843, Brüssel 1844, London, New Orleans und New York 1845 sowie italienisch 1842 in Florenz und, in der Übersetzung von Angelo Zanardini, 1882 in Parma. In der deutschen Übertragung Johann Christoph Grünbaums wurde das Werk 1842 in Leipzig und 1858 in Wien gegebenSieghart Döhring (Quelle s. unten)

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Zu „La Reine de Chypre“: Fortunata Tedesco sang im Verlauf der Aufführungen in Paris die Titelpartie/ Very special thanks to Gary Bryant of operamania ipernity.com, whose phantastic collection of wonderful and incredibly many and well preserved photographs of 19th century opera singers is simply overwhelming and a must-look-at for every discerning opera lover. it´s difficult to imagine a similar collection. We are profoundly grateful for his generosity to be allowed to use some of his pictures

Und nun zu Richard Wagner, dessen Beiträge in der Dresdner Abendzeitung ein ebenso interessantes Licht auf ihn wie auf Halévy werfen. Wobei ironischer Weise anzumerken ist, dass die originalen Dix ecrits sur la Reine de Chypre Wagners in der Revue et Gazette musicale, vol. 9, nos. 9, Februar 1842 mit seinen deutschen Berichten durchaus differieren. Und später, in seinen Erinnerungen Mein Leben, unterschlägt er den Namen Meyerbeers total, der 1841 noch „in Gnade“ war, als Wagner für den Musikverleger Schlesinger in Paris u. a. eine Klavier-Reduktion der Reine de Chypre erstellte… Galeerenjahre eben – undeine amüsante Inhaltsangabe dazu:

(…) Im Buche der Geschichte hatte (der Librettist) Herr St. Georges gelesen, daß in der letzten Hälfte des 15. Jahrhunderts Venedig, in seinen räuberischen Absichten auf die von Königen aus dem französischen Hause Lusignan beherrschte Insel Cypern, sich eines Prinzen dieses Hauses, dessen Thronrecht von seiner Familie bestritten wurde, heuchlerisch annahm, ihm zur Krone verhalf und seinen unheilvollen Einfluss dadurch aufzudringen suchte, daß es ihm Catarina, die Tochter des venetianischen Senators Andreas Cornaro, zum Weibe gab. Bald starb dieser König, und zwar, wie man allgemein vermutete, an Venedigs Gift; denn in der Nacht seines Todes brachen Verschwörungen aus in der Absicht, der Königswittwe die Regentschaft für ihren kleinen Sohn zu rauben; an  Catarina’s hartnäckiger Weigerung, der Regierung zu entsagen, sowie an ihrem muthvollen Widerstande scheiterte aber für dießmal Venedigs Plan. – Dieß ist eine entschiedene Staatsaction, – Keiner wird es läugnen. Sehen wir nun, wie diese geschichtliche Notiz von Herrn St. Georges zu einem fünfaktigen lyrischen Drama benutzt wurde.

Der erste Akt spielt in Venedig, im Palaste des Senators Andreas Cornaro; dieser ist im Begriff, seine Tochter Catarina einem französischen Ritter, Herrn Düprez – ich wollte sagen – Gerard de Coucy, zu vermählen. Gerard und Catarina lieben sich, und versichern sich dessen in einem ziemlich langen Duett von Neuem; – der gute Senator freut sich dieser Liebe und segnet sie: – da tritt ein Mann in rothem Gewande mit einer schwarzen Schärpe ein; Cornaro erkennt ihn als Mitglied des Rathes der Zehn, erschrickt und schickt das Brautpaar hinweg. Moncenigo, so heißt der Friedensstörer, macht den Senator damit bekannt, daß es der Beschluß des Rathes sei, Catarina dem Könige von Cypern zu vermählen, und daß Andreas somit nichts Anderes und Schleunigeres zu thun habe, als sein dem französischen Ritter gegebenes Wort zurückzunehmen und in diese königliche Ehe zu willigen, oder, den Befehlen Venedigs ungehorsam, mit dem Tode zu büßen. Er bewilligt dem Senator eine kurze Bedenkzeit, welche  dieser zu kummervollen Betrachtungen verwendet. Während dem beginnt die Hochzeitsfeier; venetianische Herren, sowie französische Ritter – Gerard’s Freunde – erscheinen als Gäste; nur der Senator bleibt aus; dafür bekommt aber ein hübscher schlanker Mann Gelegenheit, mit zwei seiner äußerst kurzröckigen Freundinnen ein höchst beliebtes Pas de trois auszuführen, welches jedoch sein Ende findet, als der unglückliche Vater hereintritt und allen Anwesenden bekannt macht, daß die Hochzeit nicht stattfinden werde, und daß er sein, Gerard gegebenes Wort zurücknähme. Alles ist wie geschlagen; Fragen, Bestürmungen, Klagen, Drohungen wechseln ab: Gerard’s Freunde schelten den Senator wortbrüchig, die venetianischen Herren vertheidigen ihn, der getäuschte Bräutigam raset, die bejammernswürdige Braut sinkt in Ohnmacht, und der Vorhang fällt. – Könnt Ihr für einen ersten Akt mehr verlangen? –

Zu „La Reine de Chypre“: Gilbert Duprez war der Gérard der Uraufführung/ Foto Nadar/ Taschen

Der zweite Akt führt uns in Catarina’s Betzimmer, welches jedoch nicht unterläßt durch weit offene Fenster auf den großen Kanal auszugehen; der Mond scheint, und Gondoliere singen. Die trostlose Patriziertochter blättert in einem Gebetbuche und findet darin einige Zeilen ihres Geliebten, welche ihr ansagen, daß er um Mitternacht kommen werde sie zu entführen, worüber sie sich denn außerordentlich freut. Schon harret sie des Ritters, als der gebeugte Vater  hereintritt, sich bei der Tochter entschuldigt und sie, seiner und ihrer eigenen Ruhe wegen, zu vermögen sucht, in die Ehe mit Cyperns König zu willigen: so sehr er ihr das Gute dieser Partie anpreist, so wenig vermag er jedoch sie nach seinem Wunsche zu stimmen, und er verläßt sie mit trauerndem Herzen. Kaum sieht sich aber Catarina allein, als sie in ihrem ruhigen Betzimmer auf’s Neue gestört wird: sie hört ihren Namen rufen. Ihr wißt ja recht wohl aus Victor Hugo’s Tyrann von Padua, daß jener heillose Rath der Zehn im Hause jedes Venetianers von einiger Bedeutung geheime, den Bewohnern selbst unbekannte Gänge und Thüren kennt, vermöge welcher seine Spione nach Belieben in das Innerste der wohlverwahrtesten Paläste dringen, um dort ihre Verräthereien ausführen zu können. Solch‘ eine Thüre, und solch‘ ein heimlicher Gang öffnen sich denn nun auch an der einen Wand des jungfräulichen Betzimmers, und wer heraustritt ist Niemand anders, als Signor Moncenigo, Mitglied des Rathes der Zehn. Kurz und bündig erklärt er der erschrockenen Patriziertochter, daß sie ihrem Geliebten, sobald er sich eingefunden haben würde, zu versichern habe, sie liebe ihn nicht mehr, und fühle sich freiwillig von der Krone Cypern angezogen: – nur dadurch könne sie nämlich sein Leben retten. Sie fragt, wer ihn ermorden würde? Er öffnet die geheime  Thür, zeigt ihr mit den Worten: »diese Hände!« eine ansehnliche Versammlung dolchzückender Mörder, und zieht sich in den Gang zurück. – Es schlägt Mitternacht: – der Geliebte läßt sich vernehmen, die Unglückliche vermag nicht ihm entgegen zu eilen. Nun urtheile man, welch‘ ein Duett hier folgen muß! Der Ritter, der zärtlich zur Flucht drängt, – die Geliebte in tödtlicher Angst vergehend, belauscht und bedroht von Mördern. Auf seine Vorwürfe über ihre scheinbare Kälte will sie mit der Wahrheit herausfahren, –da öffnet sich das eine Mal jene abscheuliche Thüre ein klein wenig warnend vor ihrem Blicke; das andere Mal tritt, immer nur ihr sichtbar, Signor Moncenigo mit drohender Gebärde selbst hervor: – in Verzweiflung ruft sie endlich dem Ritter zu, daß sie ihn keinesweges mehr liebe, und daß sie Königin zu werden wünsche. Was Gerard darauf antwortet, läßt sich leicht denken: nach einigem Erstaunen über die Grobheit seiner Geliebten, kündigt er ihr seinen Haß, seine Verachtung an; sie leidet fürchterlich und droht umzusinken, was denn endlich auch nicht ausbleibt, als der getäuschte Geliebte mit einem höchst schmerzlichen »adieu pour ja mais!« davon eilt. Moncenigo und die Mörder brechen hervor und bemächtigen sich der Hingesunkenen, um sie nach Cypern zu schaffen. – Dies ist venetianisch und keinesweges uninteressant.

Zu „La Reine de Chypre“: „Catarina Cornaro spodestata dal regno di Cipro“ von Francesco Hayez, 1842/ Museum Bergamo/ Wiki

Nun aber läßt uns Herr St. Georges ohne alle Kosten nach Cypern reisen, welches uns der dritte Akt in aller Herrlichkeit erschließt: – wir sind in einem »Casino« Nicosia’s; tausend Kerzen erhellen die wohllüstige Nacht, wundervolle Haine und dichte Boskets umgeben den Schauplatz; – hier sitzen cypriotische Herren, dort venetianische, – schöne üppige Frauen mischen sich in das Fest, köstlicher Wein funkelt in den Bechern, – man spielt, man singt, man tanzt: – das Herz lacht Einem, wenn man es mit ansieht. Signor Moncenigo verfehlt nicht auch hier zugegen zu sein: Venedig und sein Rath der Zehn ist überall. Auch hier findet er sogleich Arbeit. Ihm wird gemeldet, daß sich eine verdächtige Gestalt, ganz dem Ritter Gerard de Coucy ähnlich, blicken lasse, worauf er sogleich es für räthlich hält, Befehl zu des Unglücklichen Mord zu ertheilen, da dieser hier leicht große Unannehmlichkeiten verursachen könnte. Als sich das bunte Gewühl der Gäste verzogen hat, hört man denn auch wirklich ganz in der Nähe den Hülferuf des französischen Ritters; dann folgt Schwertergeklirr, und endlich die Flucht der Mörder. Gerard tritt mit einem fremden Ritter auf, dem er für die glückliche Hülfe dankt, durch welche er ihn von den Dolchen der Mörder errettete; der Unbekannte, Niemand anders als Jacques Lusignan, der König von Cypern selbst, behauptet, nur seine ritterliche Schuldigkeit gethan zu haben, verweigert aber seinen wahren Namen zu erkennen zu geben, indem er sich begnügt, Frankreich sein Vaterland zu nennen. Gerard ist entzückt einen Landsmann gefunden zu haben, Lusignan nicht minder: – »Heil Frankreich, dem schönen Lande!« tönt es von Beider Lippen; – ritterliche Freundschaft wird geschlossen. Beide fragen sich so schicklich wie möglich aus; Einer klagt dem Andern so diskret wie möglich sein Leid; Lusignan betrachtet sich als einen armen Verbannten, der genöthigt sei, in fremden Landen sein Recht zu wahren; Gerard aber bekennt, daß ihn ein großer Gram und die Begierde, sich an dem Räuber seines Glückes zu rächen, nach Cypern führe. Beide geloben sich Beistand, schwören sich Hülfe und Treue. Da tönen Kanonen vom Hafen her: – das Schiff der Königin naht sich Cypern! Lusignan athmet auf in Freude und Entzücken: sein guter Stern soll ihm aufgehen! – Gerard, von ganz anderen Gefühlen bestürmt bei dem Donner der Kanonen, klagt über Untreue und wüthet nach Rache! –

So gelangen wir in den vierten Akt: da giebt es Festlichkeiten und Pomp sonder Gleichen! Wir sind am Hafen und erwarten mit dem jauchzenden Volke die Ankunft des Schiffes der Königin: – es naht, sie betritt auf kostbaren Teppichen das Land; Lusignan, als König, kommt ihr aus dem Schlosse entgegen, – Geschützdonner, Glockengeläute, Trompeten-Geschmetter begleiten den prunkenden Zug in die Kathedrale. – Die Scene ist leer und öde geworden, da tritt er auf, der unglückselige Gerard, und brütet über den Vollzug seiner Rache: er weiß, daß er sich selbst in den unausbleiblichen Tod stürzt; dennoch will er sich rächen, und dann den schmachvollsten Tod erleiden. Er will in die Kirche, wird aber durch den wiederkehrenden Zug zurückgetrieben; an einer Mauer des Schlosses nimmt er seinen Stand ein, erwartet den König, und als Catarina an dessen Hand naht, stürzt er sich mit gezücktem Dolche auf ihn los. Da erkennt er seinen Landsmann und Retter: entsetzt über sein Vorhaben, prallt er zurück, die Wachen aber ergreifen ihn. Das Volk verlangt wüthend seinen Tod; der König wirst ihm voll Verwunderung und Entrüstung den Treubruch vor: »Mich, der dich von Mörderhänden errettete, wolltest du tödten?« – Dennoch wehrt er dem mordlustigen Volke, und übergiebt ihn den Händen der cypriotischen Justiz.

Zu „La Reine de Chypre“: Paul Barroillet war der Lusignan der Uraufführung/ Wiki

Der fünfte Akt spielt nun zwei Jahre später. Die geschichtliche Zwischenzeit beläuft sich eigentlich auf vier Jahre; mit großem Geschick hat jedoch Herr St. Georges eine so peinliche Pause um die Hälfte zu verkürzen gewußt. Der König, vor der Zeit gealtert, liegt an einer schleichenden tödtlichen Krankheit darnieder. Catarina, ergeben in ihr Loos, und von Achtung für ihren Gatten erfüllt, wacht am Krankenbette. Lusignan dankt ihr für ihre Güte und Treue, und entdeckt ihr, daß er um ihr früheres Verhältniß zu Gerard wisse; als er diesen nämlich von dem Tode durch Henkersbeil heimlich gerettet, habe er ihm aus Dankbarkeit Alles vertraut, und er, weit entfernt deßhalb seiner Gattin zu zürnen, sei vielmehr von Bewunderung für ihre Treue und Standhaftigkeit durchdrungen, und wünsche ihr Glück, daß durch seinen baldigen Tod, der nicht mehr lange ausbleiben könne, sie der gezwungenen Bande entledigt werden würde. – Ein Maltheserritter in wichtigen Aufträgen für den König, läßt sich melden: Lusignan befiehlt, er solle seiner Gattin vorgeführt werden; denn er fühlt, daß seine letzte Stunde herannahe, und will seinem Weibe die Verwaltung der Regierung für seinen Sohn übergeben. Der Maltheserritter, Niemand anders als Gerard de Coucy, tritt ein, und wird von der Königin empfangen: das führt denn einen peinlichen Auftritt herbei, – Schmerzen der Erinnerung werden wach. Gerard kann nicht umhin, seine Vorwürfe der Treulosigkeit zu erneuen, welche Catarina jedoch dadurch zurückzuweisen versteht, daß sie ihm die entsetzlichen Umstände angiebt, unter welchen sie ihm erklären mußte, sie liebe ihn nicht mehr. Gerard, befriedigt, eilt nun der Königin seine Aufträge auszurichten: – er ist von dem in Reue gestorbenen Senator unterrichtet worden, daß Lusignan an Gift darniederliege, welches ihm Venedig, erzürnt über des Königs Unfolgsamkeit und nicht vermutheten Selbstständigkeitswillen, bereitet habe; er sei gekommen, um Lusignan zum Lohne seiner gegen ihn bewiesenen Großmuth von dem höllischen Komplotte zu benachrichtigen, und wo möglich noch zu retten. »Zu spät!« donnert der heimlich eingetretene Moncenigo. »Niemand vermag den König mehr zu retten; in diesem Augenblicke erliegt er der Strafe, die Venedig, erzürnt über den Trotz, den er seinem Einflusse entgegenzusetzen wagte, über ihn verhing! Und dir, Catarina, – willst du dein eigenes Leben erhalten, – befiehlt Venedig, die Zügel der Regierung in seine Hände zu legen.« – »Niemals!« versetzt entrüstet die Königin: »ich werde regieren für meinen Sohn und um den Gatten zu rächen!« – »Auf wen bauest du, um uns zu trotzen?« – »Auf mein Volk, dem ich zur Stunde Venedigs schändlichen Verrath kund machen will!« – »Niemand wird dir glauben, denn ich werde erklären, daß du, im ehebrecherischen Einverständniß mit jenem Ritter dort, deinem Gatten den Tod gabst: wer wird mich Lügen strafen?« – »Ich!« – ruft der hier eintretende, bereits todt geglaubte König, bleich, von heftigen Leiden verzehrt, sterbend seine letzte Kraft zusammennehmend, mit der er sich an den Eingang des Gemaches geschleppt und Moncenigo’s schändliche Rede gehört hat. – Dieser Moment ist von außerordentlicher Wirkung. – Der König erklärt, die letzten Augenblicke seines Lebens dazu verwenden zu wollen, Venedigs niederträchtigen Verrath zu vereiteln, und dem Volke die Unschuld seiner Gattin zu versichern. Da giebt der unerschütterliche Moncenigo zum Fenster hinaus mit seiner Schärpe ein Zeichen, – Kanonendonner, Aufruhr läßt sich vernehmen: zu spät wird der Verräther von des Königs Wachen ergriffen. Man eilt zum Kampfe, zur Unterdrückung der venetianischen Rebellion; Gerard, froh, Lusignan dienen zu können, treibt mit seinen Rittern die Venetianer aus dem Arsenal: Catarina stellt sich an die Spitze des Volkes, das sie schnell für sich begeistert hat: Venedig wird geschlagen, und der sterbende König übergiebt die unheilvolle Krone in seiner Gattin Hände. Diese nimmt ihr Söhnlein auf den Arm, welches übrigens, auf Herrn St. Georges‘ wohlthätige Zeitverkürzung nicht achtend, sich streng geschichtlich als ein tüchtiger Knabe von wenigstens drei Jahren ausweist; das Volk schwört Treue, und der Maltheserritter, seines Ordensgelübdes eingedenk, trennt sich von seiner Frühgeliebten auf ewig. –

Zu „La Reine de Chypre“: Dekors für den 5. Akt der Uraufführung von Charles Cambon/ Gallica/ BN

Wer wird nun läugnen, daß dieß ein Operntext sei, wie man ihn sich unter Umständen gar nicht besser wünschen kann? Da ist eine Handlung, welche den Zuschauer von Akt zu Akt fesselt, spannt und unterhält, rührend – wo es hingehört, entsetzlich – wo es  sich gut ausnimmt, – dem Komponisten hundert Gelegenheiten bietend, all‘ seine Fähigkeiten und Fertigkeiten an das Licht zu bringen.(…)

Herrn Halévys (…) Musik ist anständig, gefühlvoll, an manchen Stellen sogar von bedeutender Wirkung. Eine Anmuth, die ich an Halévy’s Talente früher noch nicht kannte, liegt in den vielen hübschen Gesangstellen, zu denen der Text reichlichen Stoff bot, und vor Allem fiel mir in der Bearbeitung des Ganzen ein gutes Streben nach Einfachheit auf. Es wäre ein wichtiges Moment für unsere Zeit, wenn dieses Streben von der Pariser großen Oper ausgehen sollte, in einer  Epoche, wo unsere deutschen Opernkomponisten eben erst angefangen haben, dem französischen Luxus und Pompe nachzueifern; wir hätten dann nichts Gescheidteres zu thun, als auf halbem Wege wieder umzukehren, um wenigstens in dieser rückgängigen Bewegung den Franzosen zuvorzukommen. Mit Glück hat Halévy nach Vereinfachung jedoch nur in der Vokal-Partie seiner Oper gestrebt, aus der er alle jene perfiden Kunststückchen und unausstehlichen Primadonnen-Zierrathen verbannt hat, welche (allerdings zum großen Entzücken der glorreichen Pariser Dilettanten) aus den Partituren Donizetti’s und Consorten in die Feder manches geistreichen Komponisten der französischen Oper geflossen waren. Viel weniger ist ihm dieß dagegen in der Instrumental-Partie gerathen. Wollen wir – Gott weiß aus welchen Gründen – die moderne Anwendung der Blechinstrumente aufgeben, so müssen wir nothwendig auch die Kompositionsweise verlassen, die jene Anwendung hervorgerufen hat; in Wahrheit ist aber die z.B. Halévy eigenthümliche Auffassung der dramatischen Musik viel eher als ein Fortschritt, denn als ein Rückschritt zu betrachten, und die – ich möchte sagen – historische Richtung, die in derselben vorwaltet, muß als eine gute Basis angesehen werden, auf welcher wir weiter, zur Lösung vielleicht noch ganz unausgesprochener Aufgaben gelangen dürften. Daß diesem historischen  Charakter die geistvolle Anwendung, zumal der modernen Blechinstrumente, wie wir sie z.B. in Halévy’s Jüdin kennen, sehr gut entspricht, ist nicht in Abrede zu stellen, und hat sich dieser talentvolle Komponist, vielleicht durch die Gewahrung des scheußlichen Misbrauches, den neuere italienische Opernmacher und Pariser Quadrillen-Komponisten von dieser Instrumentationsweise machen, von ihrer ferneren Anwendung abschrecken lassen, so befindet er sich jedenfalls in einem Irrthume, der zumal mit der Festhaltung seiner Kompositionsweise in vollem Widerspruche steht. Denn, ich wiederhole es, von seiner früheren Art der Auffassung dramatischer Musik hat Halévy auch in diesem seinem neuesten Werke nicht abgelassen, und so kommt es denn, daß sich zumal in den beiden ersten Akten Stellen vorfinden, die ihrem Charakter nach durchaus anders, ich will sagen »moderner« hätten instrumentirt werden müssen, um die jedenfalls beabsichtigte Wirkung hervorzubringen; dadurch ist Halévy in den Fehler gerathen, z.B. Clarinetten und Hoboen dieselbe Wirkung zuzumuthen, die nur von Hörnern und Ventiltrompeten zu erwarten steht; und so kommt es, daß diese Stellen den Eindruck einer völlig schülerhaften Instrumentation machen. Im Verlaufe der Oper hat der Komponist seine Grille aber fahren lassen, und instrumentirt, wie es nun einmal in seiner Natur liegt. Abgesehen von die- sem (im Ganzen doch nur Neben-) Punkte, sind überhaupt die letzteren Akte wirkungsreicher als die ersten: in jeder Nummer stößt man auf große Schönheiten, und es ist in diesem Bezuge namentlich der letzte Akt zu nennen, dem der Komponist wirklich einen hochpoetischen Duft zu geben gewußt hat: der sterbende König erhält dadurch eine rührende, ergreifende Bedeutung, und von wahrhaft erschütternder Wirkung ist ein Quartett, welches jener Situation angehört, die ich schon bei der Besprechung des Textes als schön anführte. Eine gewisse schauerliche Erhabenheit, durch elegischen Hauch verklärt, ist überhaupt ein charakteristischer Zug in Halévys besseren, aus dem Herzen geflossenen Produktionen.

Zu „La Reine de Chypre“: Dekors für den 1. Akt von Charles Cambon/ Gallica/ BN

Sage ich nun noch in der Kürze, daß, wenn diese Oper nicht an die Höhe der »Jüdin« reicht, dieß gewiß nicht einer Schwächung der Schöpfungskraft des Komponisten, sondern einzig dem Mangel eines großen, hinreißenden, oder allgemein erschütternden poetischen Hauptzuges in der Dichtung, wie er in jener »Jüdin« wirklich vorhanden ist, zur Last gelegt werden muß. Die Pariser große Oper kann sich aber immerhin zu der Geburt dieses Werkes gratuliren. (…) Richard Wagner, Paris den 31. Dezember 1841.

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Interessante Parallelen zwischen Halévys Reine de Chypre und Donizettis Oper Caterina Cornaro sieht der Belcanto-Spezialist Alexander Weatherson in seinem Artikel, der im Newsletter der Londoner Donizetti Society zum Pariser Konzert 2017 erschien, hier ein Auszug: „How much did (Caterina Cornaro) owe to Halévy?“

La Reine de Chypre des französischen Komponisten, eine Grand Opéra in fünf Akten mit einem Text von Jules-Henri Vernoy de Saint Georges, hatte einige Monate zuvor Paris in Atem gehalten. Sie enthielt genau die Hauptdarsteller, die er für sein Eigentum hielt – La Stoltz, Duprez und Barroilhet – sowie dieselbe Handlung und historische Bedeutung, aber obwohl Halévys imposante Partitur noch immer nachhallt, sind die wirklichen Ähnlichkeiten zwischen den beiden Opern erstaunlich gering. Die gallischen Akzente der französischen Tour-de-Force machen sich nur insofern bemerkbar, als sich diese Saga einer vereitelten Liebe und einer undurchsichtigen venezianischen Intrige in zwei Teile teilt: Donizettis in Paris begonnener Eröffnungsgambit flirtet kurz mit Halévys ausladender Szenegiatur – während der dramatische Kern seiner inbrünstigen Antwort auf die Handlung, Frucht seiner Rückkehr ins polyglotte Österreich, eine orchestrale Breite, eine reiserelevante Neugier und eine Reihe exotischer Bilder aufweist, die einer anderen Kultur angehören. Linda und Pasquale spielen hier keine Rolle, orientalische Würze aus dem maghrebinischen Dom Sébastien roi de Portugal wurde in die Mischung gerührt.

Vergleiche sind illusorisch, Träume von einem brüderlichen Klon sind illusorisch, die gleichen Begegnungen lösen in beiden Partituren ähnliche Reaktionen aus, aber die Hoffnung auf einen Durchschlag ist vergebens. Mit einem Fuß in zwei europäischen Hauptstädten und mit eigenen Grand Opéras hat Donizetti mindestens die Hälfte seiner Oper von einem Standardrezept aus seinem eigenen Portfolio abgeleitet. (…)

Das letzte Duett der großzügig angelegten Oper von Halévy – der proaktive emotionale Höhepunkt von La Reine de Chypre – befindet sich, wie man sieht, noch im ausufernden und eher diskontinuierlichen ersten Akt des italienischen Komponisten, und es markiert einen Begriff, Mit diesen gallischen Momenten verschwindet Halévy mehr oder weniger, sein Acte 4 wird ignoriert und sein Acte 5 zerstückelt, obwohl viele Aspekte der Handlung an Ort und Stelle verbleiben, bietet sein produktiver Zeitgenosse ein Atto Secondo nach seinem Geschmack, dessen Substanz mit Zähnen und Klauen meridional ist. Sobald Donizetti in seine kaiserliche Pfründe zurückgekehrt und das Schicksal der Oper gesichert war, brachte er die Handlung zu einer energischen Auflösung: Eingeleitet durch einen großen Moment für den Tenor, gefolgt von einer Gran’scena der Heldin vor der Bühne – eine zweiteilige Arie, die vom Coro eingeleitet wird, in deren Mittelpunkt eine Preghiera steht, die durch eine tränenreiche Todesszene des Baritons im Off in Form eines Tempo-di-mezzo unterbrochen wird, und das Ganze gekrönt von einer synkopierten Cabaletta-con-coro mit einem Abschiedsschrei (von Gerardo) und einer vollständigen Reprise. Alles in allem eine beredte, wenn auch alles andere als neuartige Sequenz mit der Absicht, den Vorhang für die eifrige Zustimmung seiner Mitbürger fallen zu lassen. (…) Diese Opern von Halévy und Donizetti entstanden, wie man sieht, aus gegensätzlichen Philosophien wie auch aus unterschiedlichen Schauplätzen. Das Publikum der grandiosen Opéra war blasiert, es ließ sich bezaubern und ablenken, aber es war stolz auf seine eifersüchtig bewahrte Désinvolture. Die Grand opéra war für ihr heiteres Gemüt gedacht, sie bot gehobene Themen mit einer gemächlichen Entfaltung in akribisch nachgebildeten historischen Kulissen mit bilderbuchmäßiger Wahrhaftigkeit und Kostümen, hyperreale voire grausame oder verstörende Spektakel als eine Hauptstärke, ein Ballett-Divertissement als leichte Erleichterung und eine dünne Streuung von vernünftig verteilten Gesangsstücken. Ungezügelter Enthusiasmus war den weniger bekannten Aufführungsorten vorbehalten. Übersetzt mit www.DeepL.com/.

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Die beiden Artikel von Sieghart Döhring entnahmen wir – in Auszügen – mit sehr liebenswürdiger Genehmigung des Autors dessen Beitrag in Pipers Enzyklopädie der Oper, Band 2, (München 1987, ISBN 3-02412-2). Wagners Text entnahmen wir mit starken Kürzungen seinen Gesammelten Schriften und Dichtungen. / 1: Bericht über eine neue Pariser Oper (La reine de Chypre, von Halévy), C. F. W. Siegel, Leipzig 1907. Alexander Weathersons Aufsatz erscheint im Juni-Newsletter 2017 der Londoner Donizetti Society:  http://www.donizettisociety.com/ – Foto oben:  Bild der Caterina Cornaro von Bordone, Paris 1520/ Wiki/ Wiki

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.