Mattes Musiktheater

 

 Eine Oper nach Salman Rushdie? Nie davon gehört. Vier Jahre nach den Satanischen Versen veröffentlichte Salman Rushdie 1990 den allegorisch verschlungenen Roman Haroun and the Sea of Stories, der, obgleich für Rushdies 11jährigen Sohn Zafar geschrieben, mehr als ein Kinder- und Jugendbuch ist. Der Roman mit seinen zahlreichen Verweisen und Spiegelungen anderer Romane faszinierte den in diesem März im Alter von 81 Jahren verstorbenen Charles Wuorinen derart, dass er sich von James Fenton das Libretto zu der zweiaktigen Oper Haroun and the Sea of Stories schrieben ließ, die 2001 an der New York City Opera herauskommen sollte, aber nach den Terroranschlägen vom 11. September verschoben wurde. Die Uraufführung fand 2004 statt. George Manahan, 1996 bis 2011 Music Director des Hauses, dirigierte. 15 Jahre ruhte Wuorinens See der Geschichten still, bis sich das Boston Modern Orchestra im Januar 2019 zu einem halbszenischen Projekt entschloss, dessen musikalisches Ergebnis nun auf zwei, mit der Illustration des einstigen Buchcovers wunderschön verpackten und mit Textheft versehenen CDs vorliegt (BMOP…).

Der in New York geborene Charles Peter Wuorinen, Sohn finnischer Einwanderer, ist hierzulande vornehmlich als Komponist der Opernversion von Brokeback Mountain (Madrid 2014) bekannt. Mit seinen rund 280 Werken war er als Komponist, aber auch Dirigent und Pianist eigener wie Werken des 20. Jahrhunderts, eine maßgebliche Größe und ein Pionier der zeitgenössischen Musik in den USA: 1962 war er Mitbegründer von The Group for Contemporary Music, bereits mit 38 Jahren wurde er mit Pulitzer-Preis ausgezeichnet, nachdem seine Werke früh von den großen Orchestern und Dirigenten aufgeführt wurden und sich Christoph von Dohnanyi und James Levine sowie Garrick Ohlsson und Peter Serkin für ihn eingesetzt hatten. Die Farbigkeit und Vielfältigkeit dieses Lebens spiegeln sich in der Oper nicht wider. Haroun and the Seas of Stories ist das, was man gerne als handwerklich solide gemacht bezeichnet, doch für ein Thema, das die Macht der Literatur von Alice bis Peter Pan, von der Unendlichen Geschichte bis zu Tintenherz beschwört und zugleich eine politische Parabel ist, ist sie ausgesprochen gemächlich und irden. Haroun ist der Sohn des Geschichtenerzählers Raschid, der seine Frau Soraya verlässt und daraufhin die Kraft der Erzählkunst verliert. Gemeinsam erleben sie wundersame Begegnungen und bestehen Abenteuer. Fenton hat das alles reduziert und in eine lange Folge gut gemeinter liedchenhafter, doch nicht uncharmanter Texte gepackt. Das ist ein wenig ermüdend, ermüdender noch ist Wuorinens 130minütige Musik, die den Figuren Lebendigkeit, Witz und Geist nimmt, den Stimmen keine Chance zur Entfaltung und Gestaltung gibt. Wuorinen lässt das Orchester nach allen Richtungen rumoren und flüstern, gekonnt, routiniert, mit den zeitgenössischen Formeln vertraut, doch packen kann das phantasielose Aneinander nie. Er selbst beschrieb seine Musik so, “typical me, and does not try to be anything non-Western, non-me, or non-American.“

Heather Buck, die schon 2004 in New York als Sopran-Haroun dabei war, singt auch in Boston den Haroun. Der Bassbariton Stephen Bryant ist Rashid, Heather Gallangher die Soraya, der am Anfang und am Ende der Oper die hübschen Zeilen „Zembla, Zenda, Xanadu; all our dream worlds may come true“ zufallen. Die anderen Figuren, die so schöne Namen tragen wie Snooty Buttoo, Butt the Hoopoe, Prince Bolo, General Kitab und Iff the Water Genie werden von Matthew DiBattista, David Salsbery Fry, Charles Blandy, Aaron Engebreth und Brian Giebler dargestellt. Dirigent Gil Rose sowie das Boston Modern Orchestra Proejct and Chorus machten unter den Augen des anwesenden Komponisten alles richtig, ohne der ausgesprochen matten Oper zu andauerndem Erfolg verhelfen zu können. Es fällt schwer, dem Dirigenten zuzustimmen, “This opera gives people a chance to see Charles’s wit and humor, which in a symphony or string quartet may be more abstracted. I’d love for listeners to go from the beginning, where there’s this wonderful sense of hope and the future, to thinking this is a piece of interest to finally concluding that it’s a piece of vital theater.    Rolf Fath