Antonio Mazzonis „Antigono“

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Das gibt es auch längst nicht mehr alle Tage: eine Weltpremiere auf CD einer so gut wie unbekannten Oper wenn auch als Aufzeichnung – im Januar 2011 im Centro Cultural de Belem von Lissabon für das Label Dynamic aus Genua aufgenommen. Es handelt sich um Antonio Mazzonis  Antigono, der nichts zu tun hat mit der aus Geschwisterliebe die Gesetze des Staats missachtenden Antigonae, auch wenn in der Oper eine Ismene, also Trägerin des Namens der Schwester Antigonaes, vorkommt. Der Aufnahmeort  Lissabon ist nicht zufällig, sondern wohl bewusst gewählt, denn hier erlebte das Werk 1755 im prächtigsten Theater Europas, der Ópera de Tejo, seine Uraufführung, ehe kurz danach am 1.11. das bekannte Erdbeben die Stadt mitsamt dem Opernhaus zerstörte. Mit vielen anderen Bewohnern verließ der in Bologna geborene Komponist die Stadt fluchtartig, weilte für kurze Zeit in Madrid, ehe er in seine Heimatstadt zurückkehrte, wo er als angesehener Musiker bis zu seinem Tode 1785 lebte. Er gehörte zu der Kommission, die über die Zulassung Mozarts zum musikalischen Leben Bolognas befand, gab ein Gastspiel in Petersburg und schrieb neben anderen Kompositionen allein 19 Opern, von denen die meisten verschollen sind.

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Antigono ist in ihrem Aufbau eine typische Oper des Spätbarock an der Wende zum Klassizismus. Es gibt nur ein Duett, ansonsten begegnen sich die Personen nur in den Rezitativen, die von Da-Capo-Arien gefolgt sind. Dabei tauchen die gebräuchlichen Bravourarien als  aria d‘ agilità, aria di vendetta, di guerra, di sdegno oder andere auf. Sämtliche Rollen wurden von Kastraten gesungen, auf der CD wird die Titelpartie von einem lyrischen Tenor, sein Gegenspieler von einem Countertenor, alle anderen werden von Frauen vertreten. Im Mittelpunkt der Handlung steht trotz des Titels die ägyptische Prinzessin  Berenice, die von zwei Königen und einem Königssohn begehrt wird und nur letzteren liebt. Das führt zur Verbannung des Prinzen Demetrio von Macedonien durch seinen Vater Antigono, der vom Rivalen König Alessandro von Epiro angegriffen wird, der wiederum von der macedonischen Prinzessin Ismene geliebt wird.  Der Prinz von Homburg lässt grüßen, wenn wir erfahren, dass Demetrio für seinen Vater die Schlacht gegen Alessandro anders als Homburg verliert, weil er entgegen dessen Befehl eine eigenständige Kriegsführung bevorzugte. Antigono wird Gefangener Alessandros, der ihn freilassen will, wenn Berenice ihn heiratet. Aber selbst nach einem Sieg der Macedonier bleibt Antigono im Kerker. Nachdem Demetrio im letzten Moment vom Selbstmord abgehalten wurde, kehrt Vernunft ein, die die auftraggebenden Könige der Aufklärung gern auf der Bühne sahen, und Demetrio darf Berenice, Ismene Alessandro heiraten, Antigono übt weisen Verzicht.

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Ein großer Gewinn für die drei CDs ist das Orchester, der Divino Sospiro unter Enrico Onofri, das mit Frische, Esprit,  Nachdruck und Stilsicherheit die Musik Mazzonis zu Gehör bringt. In zwei Tracks neben der Ouvertüre ist es nicht nur Begleiter, einer marcia di guerra und einem Intermezzo mit Harfe. Der Tenor Michael Spyres hat es nicht leicht mit der Partie des Antigono, in der es von Intervallsprüngen und Koloraturen wimmelt. In der Höhe fühlt sich die Stimme eher wohl als bei den Salti in die Tiefe, in den wichtigen Rezitativen kann er sein bemerkenswertes Verständnis für diese Art Musik demonstrieren. Einen satten, vollen, dunklen Countertenor hat Martin Oro für den Alessandro, eine charaktervolle Stimme, die sich besonders wohl in „Sai qual ardor m‘accende“ zu fühlen scheint. Den Prinzen Demetrio singt Pamela Lucciarini, die ihrer leichten Stimme durch nachdrückliches Singen vokales Gewicht verleiht, und deren Geschmeidigkeit sie in „Già che morir degg’io“ unter Beweis stellt. Den Freund Clearco singt Maria Hinojosa Montenegro mit leichter Stimme und entsprechender Mühelosigkeit für die Presti in „Guerrier, che i colpi affretta“. Die beiden Damen sind als Berenice mit Geraldine Mcgreevy in wärmerer, reiferer  und Ismene mit Ana Quintans in zarterer, frischer vokaler Hand. In einer Zeit des Wiederauflegens alter Aufnahmen oder der Übernahme aus dem Fernsehen ist das Einspielen eines solchen Werkes immer eine lobenswerte Tat (3 CDs Dynamic 7686 1/3). Ingrid Wanja (oben Michael Spyres/Foto Marco Borelli/Erato)

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.