Gutes Schlangen-Karma

 

Die Messlatte ist hoch. Als Vorbild für sein Auftragswerk im Rahmen des aus drei Schlangen-Opern, The Ouroboros Trilogy, bestehenden Festivals in Boston hatte sich der 69jährige Virgil Thomson-Schüler Scott Wheeler 2016 ausgerechnet in Mozarts Zauberflöte verguckt. Auch in Wheelers Zweiakter Naga wird ein junger Mann von Schlangen in Schrecken versetzt: es sind die beiden Schlangen Madame White Snake und die in sie verliebte und ihre dienende grüne Schlange namens Xiao Quing, die den jungen Mönch auf seinem Weg der Erkenntnis und Erleuchtung begleiten. Zwischen Märchenoper und mythologisch-religiösem Spiel schickt Wheeler seinen buddhistischen Mönch auf eine spirituelle Reise und in eine Welt, die von guten und bösen Kräften bestimmt ist. Den Text, wie auch für die beiden weiteren Schlangen-Opern des Festivals, lieferte ihm die aus Singapur stammende Cerise Lim Jacobs, die bereits für Zhou Longs auf der gleichnamigen chinesischen Legende basierende Madame White Snake das Libretto geschrieben hatte. Das chorlastige Werk, inklusive eines durchgängig prominent eingesetzten Kinderchores (der Boston Children Chorus), reflektiert bereits im Prelude christliche, hinduistische und buddhistische Mythen – „In the beginning God said“, „Where are you now triumphant Krishna?“, „Where are you now holy Nuwa?“ – und gipfelt in der Anrufung des altägyptischen Gottes Apophis „Apophis comes, Apophis comes“. Mit der Attitüde der Königin der Nacht erklärt sich Madame White Snake zur Krönung der Schöpfung, was Stacey Tappan in feinen Verzierungen und Staccatos in der Sopranhöchstlage in „What moves these mortals?“ unterstreicht; zusammen mit der grünen Schlange treibt sie die Handlung voran. Die grüne Schlange ist androgyn angelegt und mit dem elegischen Anthony Roth Costanzo, der sich 2019 an der Met als Echnaton in Akhnatan von Glass weiter in ägyptische Mythologie vertiefte, ausgezeichnet und prominent besetzt. In „We have watched many humans come and go“ bringt er mit fast kindlich zarter Anmut seine Liebe zur weißen Schlange zum Ausdruck, die wiederum vom Mönch angezogen ist. Ein weiterer inniger Moment für Cotanzo ist seine Arie im zweiten Akt „How many winters have changed to spring“, die deutlich auf „Must the winter come to soon“ in Barbers Vanessa verweist.

In einem schönen, fast spätromantisch anmutenden Duett nimmt der junge Mönch Abschied von seiner Frau (Sandra Piques Eddy) und dem gemeinsamen Heim, das eine Art Eden sein muss. Der wenig belastbare Bariton von Matthew Worth klingt nicht unattraktiv, seine Arie am Ende des ersten Akts „O beauty beyond belief“ hat einen netten Musical-Touch. Wheeler akzentuiert die Figuren, zu denen als Mentor des Mönchs und Feind der Schlangen und Sarastro-Pendant noch der Master (der robuste Bass David Salsberry Fry macht deutlich, dass er aus einer sehr diesseitigen Welt kommt) hinzutritt, und Sphären mit einer fein geklöppelten, durchaus leidenschaftlichen Musik, die in den Chören ganz von Fern an die zupackenden Art in Peter Grimes denken lässt, ein bisschen spätromantisch welk à la Barber und Thomson ist, und klugen Gebrauch von den Instrumenten macht, natürlich Harfe für die Märchenwelt, aber vor allem alle Art von Gongs, Schlag- und Klingelwerk für die rätselhaften und unergründlichen Momente der Handlung. Vielleicht mag man auch an Tippett denken, der 1955 mit The Midsummer Marriage einen blässlichen Zauberflöten-Nachfolger geschaffen hatte. Sprache und Sprechgesang bringen den Text klar zum Ausdruck, die Arien – und deren sind es viele, wenn auch größtenteils recht kurze – sind hinreichend opernhaft, fast spätromantisch schmeichelnd. Der erleuchtete und um Erkenntnis reichere Mönch verhindert am Ende, dass der Master die weiße Schlange tötet („I save your immortal soul from the karma of killing her“), die grüne Schlange reißt die weiße mit sich fort, während diese im divenhaften Abgang mit hohem C verspricht „You and I shall meet again“. Carolyn Kuan dirigiert Chorus und Orchestra des White Snake Projects, das im September 2016 in Bostons prächtigen Beaux Arts Cutler Majestic Theatre stattfand. Die 90 Minuten lassen sich gut aushalten. (2 CD New World Records 80814-2). Rolf Fath