Vergessene Griechen

 

Schon lange vor der Gründung von operalounge.de war unser Interesse an griechischen Komponisten groß, eröffenete doch eine Einladung zu Carrers Oper Marathon Salamis und die Bekanntschaft mnit dem Doyen der griechischen Dirigenten, Bron Fidetzis (Musik wissenschaftler von Rang und Pionier für vergessene hellenischen Musik, wie sie dann in Teilen auf dem Label Lyra herauskam), eine ganz neue Sicht auf die Welt der klassischen griechischen Musik, die sich aus der wechselhaften Geschichte des Landes nach der Befreiung von den Osmanen/Türken als eine hochinteressabnte darstellt. Während sich die populäre Musik eher an der Unterhaltungsmusik der einstigen Beherrscher orientiert ist die klassische vor allem der deutrschen (Leipzig, Mendelssohn) und der französischen (Fauré, Duparc, Dubussy etc.) verpflichtet. Die Oper hingegen wurde schon sehr füh von den italienischen Truppen beeinflusst, die auf die zuerst befreiten Inseln aus Venedig und Italien herüberkamen und erst später auf dem Festland Fuß fassten. Über Komponisten wie Samara oder Carrer haben wir in operalounge.de mehrfach berichtet. Spannend ist eben auch die Frage der Klassischen Musiker, wie sie Skalkottas, Kalafati, Kolomiris, Mantzaros oder Hadjikakis (nicht zuletzt auch und fast vergessen der Dirigent Mitropoulos, der selber reichlich komponierte, so die Oper Soeur Béatrice) repräsentieren. G. H.

 

Anders als der in etwa gleichaltrige Dimitri Mitropoulos, der sich insbesondere als Dirigent einen Ruf von Weltgeltung verschaffen konnte, ist der griechische Komponist Nikos Skalkottas (1904-1949) heute weitgehend vergessen, dabei war er neben Mitropoulos der wichtigste Vertreter der Anfänge der Neuen Musik in Griechenland. Im Berlin der 1920er Jahre wirkte Skalkottas zunächst als Gegenvirtuose, um sich alsbald gänzlich der Komposition zu widmen, wo er unter anderem mit Kurt Weill in Berührung kam. Auch als Dirigent trat er in Erscheinung, obschon er dies offenkundig in erster Linie zur Finanzierung seiner Privatstudien tat. Die Rückreise nach Athen im Jahre 1933 fiel Skalkottas schwer, der von Depressionen geplagt wurde. Eine Rückkehr nach Berlin nach Kriegsende sollte aufgrund seines allzu frühen Todes nicht mehr zustande kommen. Kompositorisch ließ er sich keiner Stilrichtung zuordnen und trat besonders in der Kammermusik in Erscheinung. Gleichwohl sind es die größeren Orchesterwerke, die im Zentrum der ihm gewidmeten Neuerscheinung bei Naxos (8.574154) stehen.

Sowohl die Sinfonietta B-Dur von 1948 als auch die Klassische Sinfonie für Blasorchester von 1947 – letztere trotz gleichem Titel nicht an Prokofjew gemahnend – stehen, jeweils viersätzig, formal in der klassischen Tradition. Besonderes die Klassische Sinfonie mit ihrem feurigen Scherzo wäre es wert, öfter gespielt zu werden. Die sehr farbigen Vier Bilder (1948) sind Orchestrierungen aus dem Ballett Das Land und die See Griechenlands und mit Die Ernte, Die Aussaat, Die Weinlese und Das Traubenstampfen bezeichnet. Mit dem filmreifen Altgriechischen Marsch (1946/47) greift Skalkottas schließlich bewusst die antike Vergangenheit seines Heimatlandes auf. Tatsächlich unterscheiden sich alle Stücke in ihrem neoklassizistischen Tonfall von der Atonalität, die sich im früheren Œuvre Skalkottas‘ findet. Es handelt sich sämtlich um Spätwerke, die vom höchst idiomatisch agierenden Staatsorchester Athen (in welchem der Komponist zeitweise spielte) unter der Stabführung von Stefanos Tsialis kongenial umgesetzt werden. Die Klangqualität der 2018 in Athen entstandenen Einspielungen ist tadellos. Eine begrüßenswerte Neueinspielung, welche die Skalkottas-Reihe bei BIS ergänzt. Daniel Hauser

 

Hand aufs Herz: Wem sagte bisher der griechisch-russische Komponist Wassili Kalafati etwas? Er, 1869 auf der Krim geboren, machte sich zu Lebzeiten besonders einen Namen als Kompositionslehrer. Zu seinen Schülern gehörten u. a. Alexander Skrjabin und Igor Strawinski. Selbst ging Kalafati am Sankt Petersburger Konservatorium wiederum bei keinem Geringeren als Nikolai Rimski-Korsakow in die Lehre. Zwischen 1907 und 1929 war er am selbigen Konservatorium als Dozent und ab 1923 als Professor tätig. 1942 starb er im belagerten Leningrad. In Sachen Komposition trug er zu den Genres Oper (Cygany nach Alexander Puschkin, 1939-1941), Sinfonik, Sinfonische Dichtung sowie Orchesterouvertüre jeweils einen Beitrag bei. Zahlreicher seine kammermusikalischen Werke, Klavierstücke und Lieder, obgleich die Diskographie bisher äußerst mager ausfiel. Dies ändert nun abermals Naxos in seiner Reihe Greek Classics mit einer Neuerscheinung der wichtigsten Orchesterwerke (Naxos 8.574132). Auf der gut 81-minütigen Silberscheibe versammelt sind die Sinfonie a-Moll op. 12 (1899-1912), die Polonaise F-Dur op. 14 (1905) sowie die spätere Tondichtung Légende op. 20 (1928). Es handelt sich bei allen um Weltersteinspielungen. Diese werden, technisch auf hohem Niveau, besorgt vom Athens Philharmonia Orchestra unter der Stabführung des griechischen Dirigenten Byron Fidetzis, der für dieses Label schon andere Musik seiner Heimat beisteuerte (namentlich als Champion für griechische Opern: vergl. seinen Namen im Suchregister hier bei operalounge.de/ G. H.).

Wie nun klingt Kalafatis Stil? Fraglos orientiert er sich an der russischen nationalen Schule, wobei man eine besondere Nähe zu Alexander Glasunow feststellen könnte. Im Ganzen also gemäßigte Spätromantik, die stellenweise auch an Wassili Kalinnikow und Sergei Rachmaninow gemahnt, ohne aber deren Genie zu erreichen. Die klassisch aufgebaute viersätzige, etwa 45-minütige Sinfonie reißt nicht eben zu Begeisterungsstürmen hin, dümpelt etwas dahin, ist aber insgesamt grundsolide. Die Glasunow gewidmete kurzweilig-schwungvolle Polonaise kann in gerade sieben Minuten tatsächlich einiges an polnischem Kolorit herüberbringen. Am Interessantesten wohl die ambitionierte Sinfonische Dichtung Légende, die 1928 anlässlich des 100. Todestages von Franz Schubert entstand und Schubert’sche Themen in spätromantischer Manier verarbeitet. Dieses beinahe halbstündige Werk erzielte bei seiner Uraufführung einen beachtlichen Erfolg und kann als bedeutendster Beitrag Kalafatis zur Orchestermusik gewertet werden. Hier hat auch der kompetent agierende Chor des Musikfakultät der Universität Athen unter Nikos Maliaras seinen ziemlich kurzen, aus Vokalisen bestehenden Einsatz.

Die Tontechnik ist auf dem mittlerweile Naxos-üblichen hohen Standard (Aufnahme: Aretemis Concert Hall, Alimos, Griechenland, Jänner 2017 und November 2018). Die Textbeilage ist allerdings, genauso Naxos-typisch, mager. Auch wenn der große Aha-Effekt ausbleibt, doch eine hörenswerte Erweiterung in Sachen (fast) vergessene Komponisten. Daniel Hauser

 

(Weitere Information zu den CDs/DVDs  im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.)