Religiöse Fleissarbeit

 

Vielleicht sogar ein Lebens-, auf jeden Fall aber ein Lebensabschnittswerk ist das von Andrea Chudak, die fünfzehn Jahre lang unterschiedliche Versionen des Ave Maria“ aus sieben Jahrhunderten sammelte und sie nun, 68 an der Zahl, auf fünf CDs bei der Antes Edition in der Funktion als Initiatorin, Produzentin und Sängerin herausgegeben hat.

Angesichts einer solchen Fülle von zwar in Bezug auf den Text sich leicht, in  Bezug auf die Musik sich stärker voneinander unterscheidender Tracks fragt man sich natürlich, für wen die fünf CDs bestimmt sein, wen sie interessieren könnten. Der Musikhistoriker wird sicherlich dadurch irritiert, dass chronologisch gesehen ein wildes Durcheinander, kein ihn befriedigendes Ordnungsprinzip herrscht. Auch kann ihn nicht zufrieden stellen, dass kaum eins der Stücke in Originalbesetzung erklingt, sondern dass das vorhandene Potential an mitwirkenden Künstlern eingesetzt und die Stücke auf dieses, was Sänger und Instrumentalisten betrifft, zugeschnitten werden musste. So mussten besonders die für oder mit Chor vorgesehenen Stücke wesentlich verändert werden. In dieser Hinsicht befriedigen dann noch am ehesten die Aves, die von vornherein für die Sängerin komponiert wurden. Auch nach der Herkunft der Komponisten, von denen es deutsche, französische, italienische und weitere gibt, wird nicht gegliedert, noch nach Originalen und Fälschungen oder Originalen und Bearbeitungen. Und sollte man es sich zum Prinzip gemacht haben, nach wechselnden Sängern und Instrumenten zu gliedern, dann wäre das höchst fragwürdig. Es bleibt also nur der schlichte, sich an Musik erfreuende Hörer als Interessent und der dürfte nach dem ununterbrochenen Anhören aller fünf CDs und aller 68 Avi (oder Aves) reif sein für das Kloster oder eine andere Anstalt.

Das umfangreiche Booklet erläutert zunächst in der „Einführung“ die Geschichte des Ave Maria und seiner vielfältigen Erscheinungsformen, ehe 1568 eine feste Form dafür gefunden wurde. Es erwähnt als bekanntestes das von Schubert, als ebenfalls sehr populäres das von Bach/Gounod und hält fest, dass es enorme  Qualitätsunterschiede gibt, erwähnt Gregorianik, die Herkunft von Gassenhauern, den Gebrauch als Salonstück und die Fülle von Bearbeitungen. Dieser Artikel ist informativ und bereitet den Hörer angemessen auf den Genuss der CDs vor.

Es folgt eine umfangreichere Beschreibung der einzelnen Titel, teils mit interessanten Informationen wie der, dass der Komponist des ersten Tracks auch der der Musik zu der Fernsehreihe „Um Himmels Willen“ ist, dass Mozarts Ave klingt wie das Duett Fernando/Guglielmo aus Così fan tutte, Bo Wiget für sein Ave nur den Konsonanten M zuließ oder Rudolf Weinwurm einen Text von Kaiserin Sisi verwendete. Auch Anekdotisches wie die mit dem Ave verbundenen Flirtversuche zum Beispiel Bruckners können das Interesse des Hörers und Leers verstärken. Dass Karl May immerhin ein, Saint-Saëns dagegen volle zehn Aves komponierte, von denen auf der CD immerhin drei, aber nicht hintereinander, sondern verstreut vertreten sind, lässt wieder die Frage nach dem Ordnungsprinzip aufkommen. Dieser Artikel, so gut er gemeint sein mag und so hilfreich er vielleicht auch bei der Bewältigung des Hörpensums ist, irritiert durch zahlreiche seltsame Wendungen wie „ „allerdings aus einer mehrstimmigen Chanson“, „von Laien gut ausführbar und dennoch intime Wirkung entfalten“ oder „eine weitere Gruppe eröffnet sich durch plumpe Fälschungen“.

Erfreulich ist dann doch, und das ist ja die Hauptsache, die Ausführung des Unternehmens durch die drei Gesangssolisten, die sich ganz uneitel ihrer Aufgabe gestellt haben. Der Sopran von Andrea Chutak ist klar und mädchenhaft, bemüht sich mit Erfolg um eine schöne Schlichtheit und kann in der Höhe leuchten. Wenn die Laute begleitet, nimmt die Stimme einen geradezu kindlichen Klang an und wird a cappella angenehm instrumental geführt. Julian Rohde hat einen angenehm timbrierten und klar konturierten Tenor, singt in der Höhe allerdings recht offen. Grundsolide ist der Bariton von Matthias Jahrmärker. Die Instrumentalisten sind  Andreas Schulz (Klavier), Jakub Sawicki, Robert Knappe  und Matthias Jakob  (Orgel),  Olaf Neun (Laute), Lidiya Naumova (Gitarre), Michael Schepp und Susanne Walter (Violine), Stefan R. Kelber (Viola), Ekaterina Gorynina (Cello) und Olaf Neun (Erzlaute) und Almute Zwiener (Horn).

Wegen der Corona-Pandemie müssen die eigentlich vorgesehenen Konzerte, darunter in der Potsdamer Friedenskirche, wo die Aufnahmen entstanden, ausfallen. Ob sich genügend „Ave-Maria“-Begeisterte für die fünf CDs interessieren (ANTES BM179001)? Ingrid Wanja

 

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