Kaprizöse Initiative

 

Wie die Macarons bei Sprüngli, wo sie eigentlich Luxemburgerli heißen, liegen die zartfarbenen CDs in den Klappboxen, lindgrün in bordeauxfarbener Pappe für Verdi, orangefarben in rot für Wagner, gelb in blau für Frank Martin und blaugrün innen wie außen für Berlioz. Ausgesprochen geschmackvoll. Für Aufnahmen des Orchesters der Zürcher Oper, das seit wenigen Jahren etwas kapriziös als Philharmonia Zürich firmiert, scheinen die Auslagen der feiner Confiseriekunst Pate gestanden zu haben. Die Verpackung stimmt. Das zwischen 2013 und 2017 entstandene Programm vermeidet Experimente. Auf zwei CDs finden sich Ouvertüren und Vorspiele Verdis (PHR 0109), keine Repertoirelücken, aber vertrautes Terrain für Fabio Luisi und das Orchester, die immerhin die fast zwölfminütige sinfonisch-potpurrihafte Fassung der Aida-Ouvertüre aufgenommen haben. Auch das Peregrina -Ballett aus dem Don Carlos. An der in Arienkonzerten als Füller überstrapazierten Forza del destino-Ouvertüre hat man sich sattgehört. Aber Luisi breitet sie mit einem ungemeinen Gespür für theatralische Effizienz aus, klanglich zunächst etwas irritierend, ohne Italianità, auch sind mir manche Gegensätze zu manieriert, doch insgesamt entwickelt Luisi das Stück logisch und packend, überzeugt durch Drive, Attacke und Intensität. Vor allem in den umfangreichen Vespri-, Nabucco-, Battaglia di Legnano-Ouvertüren mischen sich Dramatik und sinfonischer Gestus, im kurzen Ballo-Vorspiel erzeugt Luisi viel Atmosphäre, in Beispielen aus der Frühzeit die genialischen Momente.

Ebenfalls zwei CDs für Wagner (PHR 0102), darunter auch, um „die große Evolution der Orchestersprache“ zu verfolgen, die Feen-, Liebesverbot- und Rienzi-Ouvertüren, die mir mit dem Erbe der deutschen Romantik à la Weber, des französischen Klassizismus und der Grand opéra am interessantesten scheinen und die in ihrer sowohl lärmenden wie instrumentalen Finesse mit theatralischer Treffsicherheit erklingen. Berlioz darf da nicht fehlen. Konsequenterweise haben sich die Interpreten für die Symphonie fantastique entschieden (PHR 0101), die natürlich nach Vergleichen schreit. Die Sterne holt Luisi in den „Episoden aus dem Leben eines Künstlers“ nicht vom Himmel. In den „Träumereien – Leidenschaften“ des ersten Satzes legt Luisi mehr Gewicht auf die Träumereien und unterstreicht die romantische Zerrissenheit und Stimmungswechsel und zeigt in den romantischen Passagen, wie sehr Berlioz Weber bewundert hat. Das ist alles breit, fasslich und ordentlich ausgebreitet, dennoch erreicht die Aufnahme bei gelegentlich brisken Tempi weder die Düsternis im „Gang zum Richtplatz“ noch die Erschütterung und Dämonie des teuflischen Treibens im „Traum einer Sabbatnacht“.

Am wichtigsten die Veröffentlichung von Martins Cornet, mit der allen Beteiligten eine Referenzeinspielung der während des zweiten Weltkriegs entstandenen Vertonung von Rilkes Sensationserfolg von 1899 gelang (PHR 0108). Umso erfreulicher als der zwischen Atonalität und Tonalität schwankende Martin im Konzertleben ziemlich in Vergessenheit geraten ist. Lange hatte Frank Martin gezögert, „eine Sprache in Musik umzusetzen, die mir nicht geläufig und ganz vertraut ist“ und Rainer Maria Rilkes Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke zu vertonen, auf die ihn seine Frau gestoßen hatte. Den Ausschlag zur Komposition gab Paul Sacher, der sein Kammerorchester beisteuerte und 1945 die Uraufführung dirigierte. „Nichts eignet sich besser für diesen Text, dieses epische Gedicht, dessen zarte Linie sogar in der Schilderung der brutalen Rohheiten des Krieges eine unglaubliche Sensibilität bewahrt. Das kleine Orchester kann so die ganze Farbskala des literarischen Werkes entwickeln, ohne durch die Masse der Ausführenden zu dick zu werden. Was die Form betrifft, die Aufteilung und Schnitte der Bilder…. So fand ich sie hier klar und charakteristisch aus des Dichters Hand, von Rilke selbst, vor.“ Tatsächlich fügt sich in Martins Cornet alles wie von selbst: der in 23 Abschnitte gegliederte Text, eher Erzählung als Gedichtzyklus, ist wie selbstverständlich in die Musik eingebettet, die sich nie in den Vordergrund drängt, kommentiert oder verstärkt. Auch wenn Okka von der Damerau über den von Luisi hauchzart gesteuerten Klängen der Philharmonia Zürich ausgesprochen textklar singdeklamiert und -agiert, ist es ein Versäumnis in einer so wohlausgestatten Edition auf den Abdruck der Texte zu verzichten. Orchester und Mezzosopranistin ergänzen sich in der einstündigen Einspielung so ingeniös wie Musik und Text. Zunächst mag man sich eine in vokaler Hinsicht reichere Ausdeutung wünschen, etwa wie sie Jan van Nes gelang, doch von der Damerau überzeugt durchgehend durch die Sanftheit, mit der sie ihre Opernstimme zügelt, die zunehmende Intensität in den letzten Abschnitten und die sängerische Intelligenz ihrer Interpretation.    Rolf Fath

 

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