Döhrings Ehrung aus gegebenem Anlass

Adieu Wagner/Verdi-Jahr und willkommen Strauss/Meyerbeer-Jahr – so denkt auch der Beck-Verlag (978 3 406 66003 0) und stellt pünktlich zum Jubiläum der beiden Komponisten neue Biographien vor, darauf zählen könnend, dass nicht wie im Vorjahr der Markt geradezu überschwemmt ist mit Veröffentlichungen über die beiden zu Feiernden.

Zwei besonders gute Kenner des in Berlin als Meier Beer geborenen Komponisten sind Sabine Henze-Döhring und Sieghart Döhring, die ihre Biographie Der Meister der Grand Opéra untertitelt haben und sich nicht nur dem Lebensweg, sondern auch einer Analyse der wichtigsten Werke des Komponisten gewidmet haben. Ob auch die Umwandlung des Nachnamens durch eine Zusammensetzung von Vor- und Nachnamen plus dem neuen Vornamen Jakob, sehr bald dann Giacomo, ein Zeichen der oft zitierten Eitelkeit und leichten Verletzbarkeit des jüdischen Wunderkinds am Klavier ist, scheint nicht genau zu ergründen zu sein. Jedoch scheint er zeitlebens „das ängtliche Genie“ seiner Anfänge geblieben zu sein. Was angenehm an dem Buch auffällt ist, dass stets die persönlichen Daten, Erfahrungen und Entwicklungen im Leben des Individuums Meyerbeer in den gesellschaftlichen Kontext gestellt und von daher erklärt werden. So erfährt man viel über das Leben der getauften oder nicht getauften Juden in Deutschland, insbesondere in Preußen im 19. Jahrhundert, über die Bedeutung der Salons, die besonders von emanzipierten Jüdinnen unterhalten wurden, über die verschiedenen Musikrichtungen der Zeit sowie über das Theater-, insbesondere das Opernleben in Berlin, später dann in Paris, aber auch in Italien, wo der junge Meyerbeer seine ersten Erfolge als Opernkomponist hatte. Die Einflüsse, die seine Musiklehrer auf ihn hatten, werden ebenso untersucht wie die des Idols und Freundes Rossini. Erwähnung finden die ersten Opern Romilda e Costanza und, Semiramide,  erstere eine für die Zeit typische Rettungsoper, die zweite mit einer Neuerung für die bereits in der Introduktion auftretende Primadonna.  Das ambivalente Verhältnis Meyerbeers zu Deutschland könnte u.a. in der kritischen Aufnahme seiner Oper Emma di Resburgo eine seiner Wurzeln haben.

Wie im Buch farbig und faktenreich zugleich geschildert, werden die Pariser Jahre zu denen der ganz großen Erfolge mit Robert le Diable, Les Huguenots, Le Prophète, Opern, deren Entstehung, Rezeptionsgeschichte und, ganz besonders wertvoll, musikalische und dramaturgische Struktur  Gegenstand sorgfältiger Untersuchungen sind.  Der Weg des Komponisten von der mythischen über die historische Oper wird ebenso nachvollzogen wie der zu einer Verbindung beider Sujets iIn der mythischen Sicht auf die Geschichte. Interessant ist es zu lesen, wie intensiv die Arbeit Meyerbeers wie wohl auch anderer Komponisten nach der Abgabe der fertigen Oper noch an der Aufführung derselben ist; mit der Auswahl der geeigneten Sänger, den Anweisungen an die Bühnenbildner, für Meyerbeers Monumentalwerke besonders wichtig, und oftmals auch das Dirigieren der eigenen Werke. Eine immense Reisetätigkeit ist die Folge, für Meyerbeer erst in der Postkutsche, bald aber auch mit dem neuen Verkehrsmittel Eisenbahn, im zersplitterten Deutschland mit vielen Etappen wegen des noch nicht einheitlichen Streckennetzes. Lebt der Komponist in Paris trotz langwährender Aufenthalte meistens im Hotel, so wird er in Berlin heimisch, nachdem er den Posten eines Generalmusikdirektors als Nachfolger Spontinis erhalten hat. Die Haltung der wechselnden preußischen Herrscher gegenüber der Kunst, Kompetenzstreitigkeiten mit dem Intendanten, Freundschaften wie die zu Alexander von Humboldt und das Ringen um die Friedrich-der-Große-Oper Ein Feldlager in Schlesien sind weitere Gesichtspunkte, denen sich das faktenreiche Buch widmet. Zwei Jahrzehnte lang verlieh der Komponist dem Berliner Musikleben Glanz, ebenso aber dem Hofleben, für das Hymnen, Fackeltänze, Trauermusiken geschaffen werden mussten.

Natürlich ist ein Kapitel auch dem Verhältnis zu Wagner und umgekehrt gewidmet. Auszüge aus Briefen Wagners zeigen dessen zunächst devotes Zugehen auf den Kollegen, das Umschlagen der ehrlich oder nicht positiv klingenden Meinung über dessen Musik und die schließliche Neuorientierung Wagners und seine Abwendung von der Grand Opéra zugunsten des Musikdramas. Aufschlussreich sind Aufzeichnungen Cosimas, die zeigen, dass sich Wagner auch in späteren Jahren zumindest innerlich noch mit Meyerbeer beschäftigte. Natürlich finden auch seine antisemitischen Schriften Erwähnung. Ein Zitat Richard Rothes aus dem Jahre 1919 ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich.

Nicht vergessen werden in dem vielseitigen Buch die vielen Ehrungen und Auszeichnungen, die Meyerbeer zuteil wurden, wobei seltsam berührt, dass er selbst mit Diamanten verzierte und von gekrönten Häuptern gesandte Tabakdosen beleidigt zurückschickte, wenn er sich einen Orden erhofft hatte, andererseits einen Adelstitel nicht benutzte. Problematisch wird die Arbeit an den beiden letzten Werken, der Umarbeitung des Feldlagers zu L’Etoile du Nord und L’Africaine, die wegen Besetzungsschwierigkeiten erst posthum aufgeführt wird. Ganz besonders interessant neben vielem, das hier nicht erwähnt wird, ist der Wandel in der Besetzung der Rollen in den drei Hauptwerken nach Meyerbeers Tod hin zum Leichten, Lyrischen, den die Verfasser unter anderem für den Rückgang der Aufführungszahlen verantwortlich machen, ebenso wie die Scheu, die Grand Opéra für das zu nehmen, was sie nun einmal ist. Das sollte ein Hinweis an zur Ehrung des Komponisten Bereite sein. Der Komik entbehrt es nicht, wenn die Afrikanerin immer noch als solche bezeichnet wird, obwohl sie eigentlich eine Inderin ist. Nach dem Lesen des Buchs teilt man die Hoffnung der Autoren, dass sich mit dem Wirken des 1991 gegründeten Meyerbeer-Instituts für kritische Ausgaben eine Wende zum Besseren vollzieht. Die Opernhäuser könnten ihr Repertoire endlich einmal wieder erweitern. Wenn sich das Buch als unterhaltsam und gut zu lesen erweist, sollte das nicht über seinen wissenschaftlichen Wert hinweg täuschen, der sich u.a. in umfangreichen Anmerkungen, einer Zeittafel, Literaturhinweisen und Werk- wie Personenregistern zeigt.

Ingrid Wanja 

 

Sabine Henze-Döhring und Sieghart Döring: Henze- Döhring: Giacomo Meyerbeer – Der Meister der Grand Opéra, C. H. Beck, 2014. 272 S.: mit 23 Abbildungen. Gebunden; ISBN 978-3-406-66003-0