Verlegerische Großtat

 

Gediegener geht es nicht: auf nachtblauem Grund eine Fülle von Namen in hellerem Blau, von denen einige durch etwas dickere Buchstaben dezent hervorstechen: Beethoven, Eötvös, Françaix, Humperdinck und auf der Rückseite Korngold, Kreisler, Nono, Penderecki  und schließlich Wagner. Sie künden von der Vielfalt der Komponisten, die die Dienste des Musikverlags in Anspruch nahmen, der, so der schlichte Untertitel, seit nunmehr 250 Jahren besteht und aus diesem Anlass eine Chronik mit dem Titel Die Schott Music Group, deren Logo eine halbe Note vor dem Firmennamen ist, herausgegeben hat.

Wer das reich und interessant bebilderte Buch durchblättert, dem wird schnell klar, dass es sich nicht um eine schlichte Firmengeschichte handelt, sondern , so auch das Vorwort, um Musik-, Sozial-, Geistes-, Wirtschaftsgeschichte und, möchte man hinzufügen, Kulturgeschichte. Der Band ist durchgehend chronologisch gegliedert, unterbrochen von Kapiteln über Sachgebiete wie zum Beispiel die Geschichte des Notenstechens oder des Schott-Archivs (heute vor allem in Berlin und München), außerdem werden den Chefs des Unternehmens besondere Abschnitte gewidmet. Zu jedem Kapitel gehört ein einführender Text, am Seitenrand ist Anekdotisches zu lesen, viele Quellen, ob Urkunden oder Briefe, so einer von Beethovens Hand, verleihen dem Werk viel Authentizität. Die einzelnen Kapitel sind von unterschiedlichen Autoren erstellt worden, die sich durchweg durch angenehme  Sachlichkeit und Kompetenz auszeichnen.

Es beginnt mit den Anfängen, den Jahren 1770 bis 1800, dem Gründer Bernhard Schott, dessen Vater Bäcker, aber auch bereits Notenstecher war. Der erste überlieferte Druck des jungen Unternehmens, das sein Gründer durch schwierige Zeiten mit wechselnder Herrschaft von Preußen und Franzosen über die Heimatstadt Mainz laviert, stammt aus dem Jahre 1779, von 1780 das Privileg zum Notenstechen, auf das man sich bald nicht mehr beschränkt, indem man auch mit Papier und Instrumenten handelt. Das alles geschieht dort, wo sich auch heute der Hauptsitz des Unternehmens befindet: in Mainz, Weihergarten 5. Zwei der drei Söhne Bernhards werden dessen Werk fortführen, es werden Filialen in Antwerpen, Paris, London und Sydney gegründet, mit wechselndem Schicksal, so wenn im 1. Weltkrieg deutsches Vermögen in England beschlagnahmet, deutsche Firmeninhaber interniert werden.

So spielgelt das Schicksal der Firma das deutsche wider und umgekehrt- und das wird überaus anschaulich und durch viel Bildmaterial vermittelt. Zeitströmungen, wie die wachsende Beliebtheit der Hausmusik auch in bürgerlichen Familien, bestimmen das Gedeihen der Firma, mit Konkurrenten wie Peters oder Breitkopf & Härtel muss man sich auseinandersetzen, Schott kauft viele andere Betriebe auf, verzichtet auf den Bau von Klavieren oder gibt Zeitschriften wie Cäcilia oder Der musikalische Hausfreund oder Lexika heraus.

Vielseitig ist das Buch, wenn es von der Kontaktaufnahme zu Richard Wagner wie auch von interessanten Fragen des Urheberrechts handelt.

Aus Schott wird B.Schotts Söhne, nämlich Andreas und Johannes Joseph, der dritte Sohn wird Militärmusiker in britischen Diensten und stirbt in Indien. Und nicht nur heutige Fernsehgrößen widmen sich dem Weinbau, das taten bereits die Schotts.

Der Ära Wagner ist ein eigenes Kapitel gewidmet, denn anders als Beethoven, der den Schotts zwar die Missa Solemnis und die 9. Sinfonie überließ, aber in Wien blieb, quartiert sich Wagner bei seinen Verlegern ein, werden die Wesendonck-Lieder in ihrem Haus uraufgeführt. Aber auch vor Trivialem, so dem Gebet einer Jungfrau schreckt man nicht zurück, denn dies und Ähnliches bringen viel Geld in die Kasse.  Inzwischen ist bereits der Enkel des Gründers, Franz, der Chef des Hauses.

Im Jahre 1900 erscheint der Jahrhundertkatalog mit 847 Seiten, mit der preiswerten Edition Schott, eine Art Reclam-Heft, werden breite Schichten als Käufer geworben. Weitsichtig hat der letzte Schott-Chef ein Fünftel des Erbes einem jungen Mann namens Ludwig Strecker vermacht, der die Firma durch den 1. Weltkrieg und die nicht weniger gefahrvolle Zeit danach führt. Auch in dieser Epoche ist die Verlagsgeschichte ein Spiegelbild der allgemeinen Geschichte und gerade deswegen eine so wertvolle Lektüre. Hindemith, Orff, Strawinsky werden gewonnen, und wie im Jahrhundert zuvor gibt es nicht nur geschäftliche, sondern auch enge menschliche Beziehungen zwischen Verleger und Komponisten. Ein „großer Erfolg“ und ein „Tiefpunkt“ zugleich ist die finanziell erfolgreiche Herausgabe des Soldatenliederbuchs in der Nazizeit.

Ludwig Strecker jun. Ist nicht nur Verleger, sondern auch Librettist, so zu Egks Die Zaubergeige oder Wolf-Ferraris Der Kuckuck von Theben. Die Frauen der Verleger werden in dem Buch nicht vergessen, ob sie nun Herrin eines musikalischen Salons sind oder sich um die Rehabilitierung von von den Nazis verfemten Werken kümmern.

Nach dem Krieg werden neue Komponisten gewonnen, so Henze, Reimann, Penderecki, Ligeti. Ab 1974 leitet Peter Hanser-Strecker den Verlag, der bis 1955 in der französischen Zone ansässig war, ehe die Bundesrepublik  souverän wurde. Musikalische Zeitschriften wie Melos und Darmstädter Beiträge, Lehr-und Unterrichtswerke, schließlich auch Popmusik und moderne Instrumente gehören nun zum Sortiment. Über mehrere Seiten erstreckt sich das Verzeichnis von Unternehmen, die in den letzten Jahrzehnten in Schott aufgingen, über 100 000 Medien sind auf Webseiten verfügbar, 31 000 käufliche Titel, zu denen jährlich 500 neue kommen. Ein Interview mit Peter Hanser-Strecker bildet das letzte Kapitel, und schließlich wird darauf hingewiesen, dass für die Nachfolge bereits die Tochter Saskia bereit steht. Joy of music ist das Jubiläumsmotto, und es passt zu dem Unternehmen, auf das Deutschland stolz sein kann (145 Seiten, 2020 Schott Music). Ingrid Wanja