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Eine Sopranarie mit obligater Flötenbegleitung und ein obskurer Titel sind so ziemlich das einzige, was – wenn überhaupt – im öffentlichen Bewusstsein von Giacomo Meyerbeers Singspiel Ein Feldlager in Schlesien übrig geblieben ist. 1843 an der Königlichen Hofoper von Berlin gilt die Oper als Vehikel für die berühmte Primadonna Jenny Lind, was auch nicht ganz stimmt, denn Leopoldine Tuczek sang die Premiere wie auch die danach bearbeitete Vielka 1847 in Wien. Die Lind stieg in Berlin später ein und wurde dann erneut von der Tuczek abgelöst. Dennoch – für den gelernten Belcanto-Fan und Meyerbeer-Freund ist diese frühe Oper Meyerbeers ein ganz wichtiger Meilenstein. Und die Genesis des Feldlagers mit ihren Etappen zur Vielka, dann zum Etolie du Nord und auch dem Nordstern ist eine spannende.
Meines Wissens ist die nun beim Hamburger Archiv für Gesangskunst (HAfG) herausgegebene Radioaufnahme von 1984 (ohne Dialoge) die einzige dokumentierte (von der späteren Vielka fehlt jede Spur, ebenso vom deutschen Nordstern, allerdings gibt es den französischen Etoile du Nord mehrfach, so bei Naxos aus Wexford). Deshalb sei dem damaligen Opernchef des Berliner SFB, Einhard Luther, hier noch einmal ein großer Lorbeerkranz gewunden, denn seine Phantasie, seine konstruktiven Bemühungen, seltene Operntitel mit seinen vielen Konzerten in deutscher Sprache „an´s Volk“ zu bringen, können nicht hoch genug gelobt werden. Vom Dvorákschen Jakobiner über Leoncavallos Roland von Berlin bis hin zur Halévyschen Jüdin oder Lortzings Hans Sachs spannte sich der weite Bogen der Entdeckungen. Dazu kamen beste Kräfte wie der junge Peter Seifert, Gabriele-Maria Ronge, Jörn W. Wilsing, Wieslav Ochman, Volker Horn, Norma Sharp und Andrea Trauboth, Helmut Krebs oder Ruthild Engert, die meisten aus der Berliner Opernlandschaft, Wilsing und Ochman aus Stuttgart und Warschau. Dies alles meist unter der Leitung von Fritz Weisse am Pult des Symphonischen Orchesters Berlin. Ein später Dank an Einhard Lutter also, ohne den viele dieser Sammlerstücke nicht zustande gekommen wären (denn der geneigte Fan hat sowas natürlich).
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Als eingeschobenes PS. hier ein Zusatz von 2023, weil nämlich der verstorbene Operndirektor Andreas Meyer an der Oper Bonn die szenische Nachkrieg-Erstraufführung der Oper im Dezember 2022 an der Oper Bonn herausbrachte, Hermes Helferich dirigierte. Allerdings wurden die Dialoge gestrichen (wieder einmal) zugunsten eines ins Stück eingebauten Sprechers. Wegen Corona und Dauerausfällem im Personal kam es nur zu einer Vorstellung, und die Radioübertragung war eine Art Pastiche aus den Proben und der Aufführung; eine CD war geplant und wurde nicht realisiert.
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Ein Dank nun an das HAFG für die CD-Ausgabe, der wir den nachstehenden Artikel von Joachim Leufgen entnommen haben. Es singen Jörn W. Wilsing/ Saldorf, Ruthild Engert/ Therese, Norma Sharp/ Vielka, Volker Horn/ Conrad, Helmut Krebs/ Steffen, Theo Römer/ Tronk sowie Josef Hopferwieser/ Ein schwarzer Husar unter Fritz Weisse am Pult des Berliner Konzertchors und des Philharmonischen Orchesters Berlin (34018, 2 CD ohne Libretto). G. H.
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1842 kehrte Giacomo Meyerbeer (1791-1864) von Paris in seine Geburtsstadt Berlin zurück und übernahm dort die Stellung des Generalmusikdirektors der Königlichen Oper. Nach Amtsantritt dirigierte er selbst die deutsche Erstaufführung seiner eigenen Oper Die Hugenotten (Les Huguenots) sowie den Wilhelm Tell von Rossini und Linda di Chamounix von Donizetti.
In der Nacht vom 18. auf den 19. August 1842 verlor Berlin durch einen furchtbaren Brand sein königliches Opernhaus. Unmittelbar nach der Brandkatastrophe ordnete Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) den Wiederaufbau an. Während der nur siebzehn monatigen Bauphase wurden die Aufführungen in das Schauspielhaus verlegt. Die neue Oper konnte neben technischen Verbesserungen auch einen mit vier Rängen und annähernd 1800 Plätzen deutlich großzügigeren Zuschauerraum aufweisen.
Anlässlich der Wiedereröffnung erlebte das Feldlager in Schlesien seine Uraufführung am 7. Dezember 1843. König Friedrich Wilhelm IV. hatte Meyerbeer den Auftrag für eine Oper mit einem Stoff aus der deutschen Geschichte erteilt. Vielleicht war es auch Meyerbeers eigene Idee, als deutscher Komponist eine deutsche Oper in Berlin zu präsentieren. Es lag nahe, den berühmten königlichen Vorfahren Friedrich II., genannt „Der Große“, zum Thema des Werks zu wählen. Allerdings war es nicht statthaft, Mitglieder der königlichen Familie auf der Bühne darzustellen. Meyerbeer löste das Problem, in dem er den König nicht als Person, sondern akustisch, durch ein aus dem Hintergrund erklingendes königliches Flötenspiel, in die Oper einbezog. Schauplatz und Titel der Oper wurde das für den Verlauf des Siebenjährigen Kriegs so wichtige Feldlager in Oberschlesien.
Das Libretto für dieses Auftragswerk stammte eigentlich von Eugène Scribe (1791-1861), ein langjähriger Freund und von Meyerbeer und ein von ihm überaus geschätzter Librettist. Scribe offerierte Meyerbeer seinen Text für eine komische Oper in drei Akten mit dem französischen Titel Premier flutiste du roi, episode de la guerre de sept ans. Für 5.000 Francs erwarb Meyerbeer die vollständigen Eigentumsrechte des Librettos für alle europäischen Theater, ausgenommen Paris und andere französische Bühnen. Sehr zum Missfallen Meyerbeers mischte sich der preußische König nun höchstpersönlich ein und forderte die Vergabe des Auftrags an den von Meyerbeer nur wenig geschätzten Ludwig Rellstab (1799-1860). Ein französischer Bühnenautor schien dem König als Librettist für eine preußische Repräsentationsoper nicht angemessen. Heimlich einigte man sich darauf, dass Scribe das Libretto verfassen, jedoch nicht auf seine Urheberschaft bestehen sollte. Rellstab war letztlich nur für die Übersetzung des bereits ausgearbeiteten Librettos zuständig, sollte das Werk aber als sein eigenes ausgeben. Scribe versicherte ehrenwörtlich, niemals öffentlich als wahrer Verfasser in Erscheinung zu treten. Seine Mitwirkung wurde erst viel später aufgedeckt. Die Verpflichtung von Rellstab hatte einen großen praktischen Vorteil, denn der gefürchtete Musikkritiker der Vossischen Zeitung stand nun auf Seiten der Hofoper und schied als gefährlicher Fach-Rezensent aus.
Neben der Sorge um das Libretto bereitet auch die Besetzung der Rollen einige Schwierigkeiten. Das Stammensemble der Berliner Hofoper war keinesfalls erstrangig und eine nach den Maßstäben Meyerbeers geeignete Sopranistin für die Rolle der Vielka, die zentrale Partie der Oper, war in Berlin nicht zu finden. Im Herbst 1841 hatte Meyerbeer die schwedische Sängerin Jenny Lind (1822-1887), eine Schülerin Manuel Garcias‘, in Paris gehört und wollte diese nun unbedingt für die Rolle der Vielka im Feldlager engagieren. Jenny Lind hatte schon als Agathe (Freischütz), Alice (Robert le Diable) und Valentine (Les Huguenots) Aufsehen erregt. Die Einladung nach Berlin nahm sie mit großer Begeisterung an. Es gab jedoch zeitliche Probleme. Da die schwedische Sängerin zur Zeit der Proben zeitweise in Stockholm engagiert war, wurde der Koloratursopranistin Leopoldine Tuscek, die schon lange dem Stammensemble der Hofoper angehörte, in Aussicht gestellt, die Rolle der Vielka für die eine oder andere Vorstellung alternierend mit Jenny Lind zu übernehmen. Sehr zum Leidwesen Meyerbeers wählt der dem Ensemble verpflichtete Generalintendant Karl Theodor von Küstner die hauseigene Primadonna Tuscek nun auch für den Eröffnungsabend aus. Der Streit wurde schließlich von König zugunsten der Tuscek entschieden und der Widerspruch Meyerbeers blieb erfolglos. Zu den weiteren Sängern der Berliner Premiere gehörten Pauline Marx, Eduard Manthius, Louis Botticher, Heinrich Blume und andere. Die berühmte Pauline Lucca war zudem eine der späteren Interpretinnen für die Vielka in Berlin und Wien wie auch im Etoile du Nord.
Jenny Lind sang die Vielka in Berlin also tatsächlich erst am 5. Januar 1845. Der Erfolg der Oper blieb zunächst hinter den Erwartungen zurück, was man auch der Tuczek anlastete. Bereits nach fünf Aufführungen wurde das Feldlager wieder aus dem Programm genommen. Erst mit dem glanzvollen Debut der Jenny Lind konnte das Feldlager das Berliner Publikum erobern. Insbesondere der Höhepunkt der Oper, ein hochvirtuoses Duett zwischen Sopran und Flöte, wurde von Jenny Lind eindrucksvoll dargeboten und blieb fortan eng mit der schwedischen Sängerin verbunden. Das gilt auch für ihren Wiener Auftritt, den sie sich mit Leopoldine Tuscek in der gleichnamigen Vielka (ab 1847) teilte. Joseph Staudiunger und andere waren am Theater an der Wien ihre Kollegen.
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Zur Vielka findet man bei Wikipedia: Der Direktor des Theaters an der Wien, Pokorny, bat um die Erlaubnis für eine Inszenierung von Feldlager mit Jenny Lind. Dies stellte aufgrund der historischen Rivalität zwischen den Dynastien Hohhenzollern und Hanbsburg ein Problem dar. Das Libretto wurde daher umgeschrieben, zunächst von Rellstab, später von Birch-Pfeiffer. In der neuen Fassung wurde Vielka, der König, zum Herzog und Saldorf zum General. Während die ersten beiden Akte eine ähnliche Handlung wie in Feldlager aufweisen, spielt der letzte Akt im Schloss des Grafen Aubitz und hat einen ganz anderen Handlungsstrang. Es gibt eine komplexe Reihe von Verkleidungen, Verwechslungen und Anschlägen auf das Leben des Herzogs, bei denen Vielka eine Kugel abfängt und getötet wird. In ihrer letzten Arie hat sie eine Vision vom Himmel, die am 18. Februar 1847 in Wien uraufgeführt wurde. Lind übernahm die Rolle der Vielka bei der vierten Aufführung.
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Die Oper: Das Feldlager in Schlesien ist keine Oper im eigentlichen Sinne, sondern mehr ein patriotisches Huldigungs-Festspiel, aus gegebenem Anlass komponiert, dem militärisch geprägten Zeitgeist des preußischen Obrigkeitsstaates verpflichtet und vor allem als Dank Meyerbeers an seinen König zu verstehen. Der militärische Charakter des Werks wird betont durch Märsche, Soldatenlieder, Trommeln, Fanfaren und Kanonendonner. In den 1850er Jahren rückte das Feldlager in Schlesien in den Rang einer preußischen Nationaloper auf und erlebte mehr als 60 Aufführungen. In der Bearbeitung von Charlotte Birch-Pfeiffer feierte die Oper unter dem Titel Vielka am 18. Februar 1847 mit Jenny Lind in der Titelrolle im Theater an der Wien Premiere (andere Quellen geben auch hier Leopoldine Tuczek als Premierenbesetzung an, zumindest übernahm sie danach die Rolle von der Lind wieder). Es wurde ein sensationeller Erfolg, vor allem für Jenny Lind, die allerdings nur zwei Jahre später für immer von der Opernbühne abtrat.
Einige Nummern des Werks nahm Meyerbeer in seine Oper L’étoile du nord auf, die am 16. Februar 1854 an der Pariser Opéra Comique uraufgeführt wurde. Diese Oper spielt fünfzig Jahre früher als das Feldlager. Friedrich der Große wird durch Zar Peter den Großen ersetzt und die Handlung orientiert sich sehr deutlich an der bereits 1837 in Leipzig uraufgeführten Oper Zar und Zimmermann von Albert Lortzing. Ort der Handlung ist ein Dorf am Finnischen Meerbusen. In Paris erlebte das Werk mehr als hundert Wiederholungen. Eine von Rellstab unter dem Namen Der Nordstern herausgebrachte deutsche Fassung der Oper wurde Ende 1854 uraufgeführt, konnte sich aber in Deutschland nicht gegen die beim Publikum weitaus beliebtere Fassung Zar und Zimmermann von Lortzing durchsetzen. Joachim Leufgen/ Ergänzungen G. H.
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Die Handlung – 1. Aufzug: Friedrich II. hat sich während einer Schlacht in das Haus des pensionierten Hauptmann Salsdorf retten können. Er ist in Gefahr, von ungarischen Reitern gefangen genommen zu werden. Salsdorfs Tochter Therese und vor allem seine Ziehtochter Vielka, die Tochter einer Zigeunerin, lenken die Verfolger ab, während Salsdorfs Pflegesohn Konrad mit dem König die Kleidung tauscht, ihm zur Flucht verhilft und sich für ihn gefangen nehmen lässt.
2. Aufzug: In einem preußischen Feldlager wird während einer Kampfpause gesungen, gezecht und getanzt. Da verbreitet sich die falsche Nachricht, dass der König gefangen genommen wurde und daran Salsdorf schuld sei. Schon will die aufgebrachte Menge den Hauptmann wegen Verrats töten, als der wirkliche König unversehrt eintritt und Salsdorf retten kann.
3. Aufzug: Vielka und Konrad kommen nach Sanssouci, um bei dem König für Konrads Bruder Leopold, welcher der Desertion beschuldigt wird, um Gnade zu bitten. Der König, der seine einstigen Retter freudig begrüßt, lässt dem zum Tode Verurteilten die Freiheit wiedergeben. Auf der Flöte wetteifern der König hinter und Konrad vor den Kulissen mit Vielkas Koloraturen (Foto oben: Illustration aus dem Schul-Dokumentarfilm „Absolutismus“ bei www.dukumentarfilm.com).
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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.